Seine alte Flugschale hatte Sehto in der Höhle des Waldschrates nicht wiederfinden können. Doch es war für ihn nicht schwer, sich mit etwas anderem zu begnügen. Der Kessel, in dem am Abend zuvor die Suppe kochte, war leicht zu vergrößern. Doch er wurde dadurch auch sehr schwerfällig. Sehto stieg in den Kessel hinein, nachdem er ihn so vergrößert hatte, dass er bequem hineinpasste.
Es sah schon ein wenig merkwürdig aus, als sich dieses unförmige Fluggerät langsam in die Luft erhob und Sehto es über die Wipfel des Waldes steuerte. Den Handschuh hatte er wieder auf seiner linken Schulter sitzen. Trajan wollte sich unbedingt den Wald von oben ansehen.
Mehr als drei Stunden irrte der Kessel mit seiner seltsamen Fracht im langsamen Flug über den Wipfeln der Bäume umher. Glücklicherweise schneite es nicht und so war die Sicht recht gut.
Trajan entdeckte zuerst eine dünne Rauchfahne, die sich weit entfernt zum Himmel erhob. Hoffentlich war dort jemand, der dem alten Diener und der Elfenseele helfen konnte. Weder Sehto noch Trajan wussten, wo sie sich befanden.
»Bestimmt sind es Menschen oder Elfen, die sich an einem Feuer wärmen und uns freundlich gesinnt sein werden«, flüsterte Trajan Sehto ins Ohr. »Es können aber auch Riesen sein, oder Zwerge, die auf der Jagd sind.«
Als sie sich mit ihrem Kessel dem Feuer näherten, erkannten sie, dass sich eine kleine Gruppe Elfen und sieben kleine Kobolde um eine große eiserne Schale scharrten. Sie schienen den fliegenden Kessel erst zu bemerken, als er nur noch hundert Schritte entfernt war und dicht über den Boden schwebte.
Albanarius war der Erste, der die Fracht des Kessels erkannte. »Das kann doch nicht wahr sein«, flüsterte er vor sich hin. Dann rannte er auf den Kessel zu, als dieser wenige Schritte vor ihm zur Landung ansetzte.
Orbin stellte sich neben seine Schwester und zeigte mit seinem Zauberstab zu dem Kessel. »Wenn mich meine Augen nicht belügen, so ist gerade Sehto zu uns zurückgekehrt«, erklärte er der Königin.
Artur und der Bergboss sahen sich kurz an, als sie Orbins Worte hörten. Dann sahen sie zu, wie sich Albanarius und Sehto um den Hals fielen. Vor Freude rollten ihnen die Tränen in den Bart des Nekromanten. Es dauerte einen Augenblick, bis sich die beiden Freunde voneinander lösen konnten.
Dann wurden Sehto und sein kleiner Freund im Handschuh von allen Freunden begrüßt und begutachtet. Selbst den Kessel schauten sie sich aufmerksam an. Cylor klopfte sogar an die Wand des seltsamen Fluggerätes. »Das Ding ist eine solide Schmiedearbeit«, stellte der Nekromant anerkennend fest.
Albanarius redete vor lauter Freude ununterbrochen auf Sehto ein, sodass ihn Theodora mit einem strengen Blick ermahnen musste. »Lass den armen Mann doch erstmal richtig Luft holen!«, unterbrach sie den Redeschwall des Nekromanten. »Er wird uns bestimmt so einiges zu berichten haben.«
»Oh ja, natürlich«, antwortete Albanarius etwas leiser. »Es ist nur die Freude, die mich überwältigt hat.«
Sofort zauberte Albanarius seine große Tafel und einen Haufen Stühle herbei. Bei der eisigen Kälte dampften die Speisen und Getränke besonders stark.
»Dieses Zauberkunststück wirst du wohl nie verlernen«, meinte Sehto, als er sich lächelnd an die Tafel setzen wollte.
Artur war jedoch dagegen, denn er stellte sich auf Sehtos Stuhl. »Einen kleinen Augenblick Geduld noch«, rief er dem alten Diener zu. Dann schwenkte er seinen Zauberstab hin und her. Dabei sprach er einen Zauberspruch aus, den seine Brüder nur zu gut kannten. Im nächsten Augenblick war Sehtos zerlumpte Kleidung verschwunden und der alte Diener stand frisch gewaschen in neuen Wintersachen vor dem Kobold.
Zufrieden stieg Artur vom Stuhl herunter und Sehto betrachtete sich. Der leuchtend gelbe Mantel und der dicke Pelzkragen gaben ihm das Gefühl, endgültig bei seinen Freunden angekommen zu sein. Sogar die neuen Stiefel passten, ohne zu drücken.
Trajan sprang mit dem Handschuh auf den Tisch. Dann schimpfte er aufgeregt los. »Und was ist mit mir? Ich würde auch gern etwas essen. Doch ich kann nicht. Ich bin ja nur noch eine Seele. Kann mir niemand von euch helfen? Ich bin doch aus Bochea. Und ich habe Sehtos eisernen Bann gebrochen. Das muss doch für euch etwas wert sein.«
Noch ehe jemand dem armen Trajan antworten konnte, hörten alle ein leises Zischen. Es war nur für einen kurzen Moment zu hören und der Elfenkrieger Gordal wollte schnell den Handschuh vom Tisch nehmen. Doch er war nicht schnell genug. Es war der Hauptmann der Minitrolle, der mitten auf dem Tisch landete und den Handschuh zu packen bekam.
»Pass doch auf, du Grobian!«, brüllte Trajan los. »Beinah hättest du mein Auge in die heiße Soße getaucht!«
»Oh Schreck!«, rief der Hauptmann, als er bemerkte, was er da in seinen Händen hielt. »Ein sprechender Handschuh. Und ein Auge hat er auch noch. So etwas habe ich noch nie gefangen.«
Trajan schimpfte sofort wieder los und drei andere Minitrolle, die ebenfalls auf dem Tisch gelandet waren, fingen an zu kichern. Der Hauptmann setzte den Handschuh behutsam auf den Tisch ab und betrachtete ihn genauer.
»Das ist mein Freund Trajan«, erklärte Sehto. »Er hat mich befreit und er steht unter meinen Schutz.«
»Ach was. Und wer bist du?«, fragte Barbaron, der sich ebenfalls den Handschuh ansehen wollte.
Sehto stellte sich kurz vor und erklärte dann, dass er eine Möglichkeit suchte, das Schicksal von Trajan zu ändern. Barbaron wollte eigentlich Theodora berichten, dass sie die Lichtmagierin Flavia gefunden hatten und das sie bereits auf dem Weg zum Feuertempel der Erz-Elfen sei. Doch das überließ er Nummer Sieben und Nummer Neun. Er ließ sich lieber berichten, wie Trajans Seele in den Handschuh kam. Danach befragte er sofort seinen Kompass nach dem Verbleib von Trajans Körper. Irgendwo musste er ja sein.
Theodora hatte Nummer Sieben und Nummer Neun einfach rechts und links auf ihre Schultern verteilt. Dann sah sie Barbaron zu, wie er seinen Trollkompass beschwor. Als der kleine König aller Minitrolle plötzlich in der Luft schwebte und nach Osten zeigte, verstummte auch der letzte Minitroll.
»Zwölf Meilen in dieser Richtung fließt ein Bach!«, rief er aufgebracht. »Er entspringt einer unterirdischen Quelle. Und genau dort, wo er an die Oberfläche kommt, hat sich Trajans Körper am Ast eines großen Strauches verfangen!«
Es war, als hätte Barbaron zu einem Wettrennen aufgefordert. Plötzlich stand er mit Sehto und dem Handschuh allein in der alten Schmiede zwischen den steinernen Säulen der Erz-Elfen.
Eine der Säulen bewegte sich und der Kopf von Trond, dem Fürsten der Schmiede, wurde sichtbar. »Keine Angst«, erklärte Barbaron sofort. »Wir haben euch nicht vergessen. Die Hilfe ist unterwegs. Ihr werdet staunen, wie hübsch die Lichtmagierin ist.«
Eine zweite Säule bewegte sich. Es war Norger, der Bruder von Trond. »Uns ist egal, ob sie hübsch oder hässlich ist«, sprach Norger mit tiefer Stimme. »Sie kann auch dick sein und einen Buckel haben. Die Hauptsache ist doch, sie kann uns helfen.«
»Na ja, du hast ja recht«, meinte Barbaron, während er sich ein Stück vom Schweinebraten abschnitt. »Doch hübsch ist besser. Da hat man mehr zum Staunen. Und wie heißt es doch so schön? Das Auge isst mit.«
»Hoffentlich verschlucken sich deine Augen nicht«, antwortete Norger.
Es dauerte nicht lange und die ersten Minitrolle trafen wieder in der Schmiede ein. Sie berichteten aufgeregt, dass Trajans Körper von ihnen gefunden wurde und das ihn Theodora selbst herbringen wollte.
Als die Königin neben Albanarius großer Tafel landete, schob Sehto einige der Speisen zur Seite. Er half Theodora, den leblosen Körper von Trajan auf die Tafel zu legen. Aufgeregt zappelte der Handschuh mit der Seele auf der Schulter von Sehto hin und her.
Die anderen Freunde kamen nach und nach angeflogen. Cylor hatte Gordal auf seiner Flugschale mitgenommen und sie landeten erst, als alle anderen schon zurück waren. »Albanarius sollte dir ein Flugamulett anfertigen«, sprach Cylor zu dem Elfenkrieger. »Dann kannst du selbst mit einer Flugschale fliegen.«