Jesus findet Muslime. Christiane Ratz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christiane Ratz
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783961400102
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ich zweifelte im Grunde nie an der Wahrheit der Bibel, aber vieles von dem passiert heute so auf jeden Fall nicht mehr – dachte ich. Wem in meiner Kirche war schon ein Engel erschienen und hatte laut hörbar mit ihm gesprochen? Welcher Blinde war schon sehend geworden oder welcher Querschnittsgelähmte schon vor meinen Augen aus seinem Rollstuhl aufgestanden? In aufregenden Geschichten oder Berichten hörte ich zwar davon, aber ich war nie hautnah dabei gewesen.

      Vor über zwölf Jahren hat Gott begonnen, in meinem Leben eine Geschichte zu schreiben, die mich dazu gebracht hat, den Geschichten anderer Menschen genauer zuzuhören. Ich durfte viele Menschen besuchen und sprechen und sie für Film und Fernsehen begleiten und interviewen.

      Heute sehe ich: Jesus geht Tag für Tag über diese Erde, der Heilige Geist ruft Menschen, und Gott schreibt ganz genau dieselben Geschichten, wie sie vor 2000 Jahren für uns in den Schriften der Bibel erhalten wurden.

      Muslime galten, soweit es mir bekannt war, als schwer vom Evangelium erreichbar. Ich dachte außerdem, dass Menschen in erster Linie durch Boten von der Guten Nachricht hören. Die Geschichten in diesem Buch zeigen tatsächlich, wie wichtig Botschafter der Guten Nachricht sind. Aber sie zeigen auch, dass Gott sich nicht zu schade ist, direkt Kontakt mit uns aufzunehmen. Gleich welcher Religion jemand bisher angehörte, egal wovon er bislang dachte, dass es „der Weg“ sei.

      Beim Bearbeiten der vielen Gespräche sind mir Spuren seines Charakters und seines Handelns aufgefallen. Es stellte sich natürlich immer wieder die Frage: Ist es wirklich Jesus, den die Menschen gesehen haben? Ich habe meinen Interviewpartnern geglaubt, wenn die folgenden vier Punkte in ihren Berichten gegeben waren, so verschieden die Erlebnisse ansonsten auch gewesen sein mögen:

      1 Jesus sagte ihnen Worte (oder die Menschen sahen ein Bild), die sich genauso auch in der Bibel finden und die die Menschen zum Zeitpunkt der Traumvision unmöglich kennen konnten. Um dies herauszustellen, habe ich einige Bibeltexte in die Erzählungen eingefügt, auf die ich während meiner Arbeit an diesem Buch stieß. Von manchen Bibelworten sprachen auch meine Interviewpartner, als sie mir von ihrem Erleben berichteten.

      2 In Jesu Nähe fühlen sich die Menschen lebendig, gesund, geliebt und in Frieden eingehüllt. Das machte schon beim Zuhören Sehnsucht nach „mehr“.

      3 Obwohl der Traum bei manchen Personen schon lange her war, konnten sie sich an jedes Detail darin erinnern. Einige träumen auch sonst oft, gaben aber freimütig zu, die Details normalerweise schnell wieder zu vergessen.

      4 Nach dem Traumerlebnis waren diese Personen nicht mehr dieselben wie zuvor. Sie hatten einen Ruf gehört, dem sie folgen mussten, und sie waren bereit, jeden Preis zu zahlen, den ihre Entscheidung für Jesus sie kosten würde. Denn jedem hat der Entschluss, Jesus nachzufolgen, vordergründig nur Schwierigkeiten eingebracht. Aber, sie waren der Liebe begegnet, und wenn sie sich entschieden hatten, sie anzunehmen, spürte ich ihnen eine tiefe Zuneigung zu Jesus ab. Ich sah sie in ihren Augen und in ihrem Handeln.

      Die in diesem Buch vorliegenden Geschichten haben mir die betreffenden Personen selbst erzählt. Einige habe ich in ihrer Heimat besucht, andere sind nach Europa geflohen, weil sie verfolgt werden. Ich habe keine genauen Ortsangaben verwendet und den Menschen Decknamen gegeben, um sie nicht unnötig einer Gefahr auszusetzen. Manche von ihnen sind gebildet, haben studiert, aber nicht wenige sind Analphabeten. Ihr Zeugnis habe ich in eine Kulisse gesetzt, die ihrem Lebensumfeld, in dem ich sie besucht und erlebt habe, entspricht. Sie soll die Wahrheit zum Leuchten bringen, das ist mein Bestreben und meine Verantwortung als Erzählerin gegenüber meinen Interviewpartnern, die mir ein unwahrscheinlich großes Vertrauen entgegengebracht haben. Ich danke ihnen, denn nur so ist es uns möglich zu erfahren, was Jesus Christus in dieser Welt tut.

      Alle diese Personen stammen nicht aus dem europäischen Kulturkreis. Ich empfinde, dass ihre Kultur, ihre Art zu denken und mit Gott zu leben, der biblischen Zeit und Kultur sehr nahesteht.

      Wie ich anfangs gesagt habe, dachte ich bis vor Kurzem: Was ich nicht kenne und erlebe, das gibt es nicht. Ha, das war einer der größten Irrtümer überhaupt.

      Jedes Land (genau wie jede Person) neigt dazu, ihre Kultur als die absolute anzusehen. Ich denke, wir sollten grundsätzlich demütig und lernbereit anderen Menschen, ihrer Geschichte und ihrer Kultur gegenübertreten. Es gibt darin so vieles zu entdecken, für uns selbst und für unseren Weg durch das Leben.

       „Viele Menschen suchen ein Ohr, das ihnen zuhört, und sie finden es unter den Christen nicht, weil diese auch dort reden, wo sie hören sollten. Wer aber seinem Bruder nicht mehr zuhören kann, der wird bald Gott nicht mehr zuhören, sondern er wird auch vor Gott immer reden … Wer nicht lange und geduldig zuhören kann, der wird am anderen immer vorbeireden und es selbst schließlich gar nicht mehr merken. Wer meint, seine Zeit sei zu kostbar, als dass er sie mit zuhören verbringen dürfte, der wird nie wirklich Zeit haben für Gott und den Bruder, sondern immer nur für sich selbst, für seine eigenen Worte und Pläne.“

       Dietrich Bonhoeffer

      Ich lade Sie ein, zuzuhören.

      1 Unerwartet

      Im Zwielicht beugt sich Rücken an Rücken auf staubigen Teppichen. Jeden Morgen, solange er zurückdenken kann, weckt ihn der Ruf vom Minarett an der Ecke. Hundertfach ertönen die Gebetsrufe der Muezzine von allen Himmelsrichtungen über der Stadt und mischen sich mit den Geräuschen des neu erwachenden Tages, Hähne, bellende Hunde, ein vorbeiknatterndes Motorrad.

      Enat verbeugt sich, im Rhythmus mit seinen Söhnen und den Nachbarn. Er nimmt die Hände an die Ohren und verneigt sich gen Osten. Anschließend knien sie vornübergebeugt, drücken die Stirn auf den Boden und setzen sich wieder auf. Unablässig murmeln alle die vorgeschriebenen Gebete. Eine Wolke der Klage ist es: Allmächtiger! Wo bist du? Hörst du?

      Den Allmächtigen in der Gemeinschaft der Gläubigen anzubeten ist ihm zur zweiten Natur geworden. Er ist überzeugt: So gefällt es Gott.

      Für Enat ist Gott ein Mysterium, allgegenwärtig und doch weit weg. Äußerlich pflegt er pflichtschuldig die vorgeschriebenen Rituale, während seine Gedanken um das Frühstück kreisen.

      Eine halbe Stunde dauert das Zeremoniell, dann klopft er sich den Staub von seinem Boubou und begrüßt Raoul, seinen Freund, während sie unter dem einfachen Grasüberdach hervortreten. Die beiden Tuareg drängen sich durch zwei Dutzend Männer hindurch der Stadt zu. Der Morgen dämmert bereits. Sie sind zufrieden, das Gebet war gut besucht. Immer mehr Männer nehmen diese Pflicht heutzutage wieder ernst.

      Die Sonne schiebt sich milchig über die noch schwarze Silhouette der Stadt. Enat und Raoul treiben ihre Esel zum Markt. Raoul hat viel zu erzählen. Von Überfällen Radikaler an der Grenze, dem Dahinschlachten ganzer Dörfer, den Flüchtlingen, die sich in kleinen Booten übers Mittelmeer wagen und dass manche dabei ertrinken. Sein Freund kann etwas lesen und ergattert ab und zu eine Zeitung. Er versorgt Enat jeden Morgen mit Neuigkeiten aus aller Welt. Gestern war er allerdings beim Air Tel Shop, der Besitzer dort hat neuerdings ein Fernsehgerät vor seinem Laden aufgebaut. Schreckliche Bilder hätten sie gezeigt. Enat glaubt das nicht. Gläubige bringen doch keine Gläubigen um!?

      Freunde seiner Söhne sind auf dem Weg nach Norden. Tagelang saßen sie beieinander, redeten von nichts anderem als von Europa. Dort soll es Arbeit und eine Zukunft geben. Hier gibt es für die meisten nichts davon. Seine Söhne wären auch gerne dabei. Doch Träume sind teuer. Irgendwie ist Enat auch ein bisschen froh, dass sie ihr Fernweh mit dem Verkaufen von Wasserkanistern an Reisende stillen müssen. Oben in Agadez, am „Tor zur Welt“, wie sie oft mit einem Unterton von Sehnsucht berichten. Sie haben ihr Business und verdienen ihr eigenes Geld, gerade so viel, dass sie ihm nicht auf der Tasche liegen.

      Als Enat seinen Esel hoch mit Wüstengras beladen nach Hause führt, sieht er schon von Weitem seine Frau. Ihre gemeinsame Hütte steht in einem schattigen Hof hinter einer hohen Ziegelmauer. Davor arbeitet Aima, von Kunden umringt. Sie hat eine kleine Frühstücksbäckerei: Zwischen drei Steinen rauchen krumme Holzstangen, über dem Feuer brodelt ein Topf mit heißem Fett. Breitbeinig sitzt Aima auf einer umgedrehten Kallebasse und schöpft eben