Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783957840127
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nach dem Ausritt und nach dem zweiten Frühstück.«

      »Hm?«

      »Die Fanny half bei der gnädigen Frau oben im Ankleidezimmer, als der gnädige Herr auf einmal hereinkam. Die Fanny ist natürlich sofort gegangen, weil sie seinen Blick verstanden hat, und ist nebenan im Schlafzimmer geblieben …«

      »… und hat gelauscht?«

      »Aber nein, was denken der Herr Assessor, so etwas tut kein Mädchen, das auf sich hält. Die Herrschaften wußten ja, daß sie nebenan ist, aber sie dachten nicht, daß sie Französisch versteht, aber die Fanny hat schon viele erstklassige Stellungen gehabt, und zum Verstehen reicht’s schon bei ihr mit dem Französischen.«

      »So.«

      »Ja – und nun – der Frau Geheimrätin hab’ ich’s noch gar nicht gesagt die wird sich ja aufregen – daß das … nein … die Frau Grevenhagen hat doch furchtbare Schulden gemacht bei einem Herrn Schomburg, das ist ein Direktor von irgend so einer Bank – und die Wechsel waren schon fällig.«

      »Ach, du lieber Himmel.«

      »Ja, da erschreckt sich der Herr Assessor auch, nicht? Es ist kaum auszudenken. Der Herr Grevenhagen muß jetzt alles bezahlen.«

      »Wenn er das will und kann, ist es ja in Ordnung.«

      »Können wohl – er muß reich sein – aber immerhin – er war sehr böse.«

      »So.«

      »Ja. Schimpfen tut so ein Herr natürlich nie. Aber die Fanny erzählt, der gnä’ Herr und die gnä’ Frau haben nur alle paar Minuten ein Wort zueinander gesagt – aber das hat dann gesessen wie ein Messerstich. Es war schrecklich. Eine halbe Stunde ist es so gegangen und in der ganzen Zeit keine zwanzig Worte gesagt – die Stimmen klangen so, als ob die gnädige Frau im Sessel sitze und der gnädige Herr ziemlich weit von ihr entfernt bei der Tür stehe – und dann hat der gnä’ Herr die Fanny gerufen, weil der gnä’ Frau nicht gut sei, und die Fanny hat Kölnischwasser gebracht und einen starken Wein, denn die gnä’ Frau war halb ohnmächtig, und ihr Puls war kaum zu spüren. Aber der gnä’ Herr ist leise hinausgegangen, und das Mittagessen hat die gnä’ Frau im Bett eingenommen. Aber wie wird es jetzt drüben aussehen? Nein, man kann es nicht glauben.«

      »Regen Sie sich nicht auf, Martha, die Angelegenheit ist gar nicht so erschütternd. Ein paar hunderttausend Mark, das ist für solche Leute nicht mehr als ein paar hundert Mark für Sie – bitter, wenn man sie verliert – aber durchaus zu ertragen. Diese Sache wird rasch beigelegt sein.«

      »Glauben Sie, Herr Assessor? Aber die Fanny hat gesagt, es war ganz furchtbar.«

      »Das kommt einem im Augenblick so vor. Aber nein, nein, deshalb brauchen sich weder Fanny noch Sie graue Haare wachsen zu lassen. Wäre schade um ihr jugendliches Aussehen!«

      »Ach, der Herr Assessor spottet. Aber ich will jetzt gehen, es ist schon zu spät.«

      »Gute Nacht, Martha.«

      »Gute Nacht, Herr Assessor. Wünsche, recht wohl zu ruhen.«

      Das Mädchen ging.

      Wichmann schaute auf seinen leer gegessenen Teller.

      So weit war es also schon. Schomburg bekam sein Geld. Er bekam es – wußte der Himmel, ob sich noch andere Gläubiger meldeten und ob Grevenhagen sie alle befriedigen konnte. Mußte Wichmann nicht Helmbrecht warnen? Aber zwei Monate Frist waren nun einmal ausgemacht. Und er, Wichmann, konnte jetzt nicht noch die Hunde auf Grevenhagen hetzen.

      Nein, das konnte er nicht.

      Fünfzehntausend Mark waren dann freilich ein kleiner Teilbetrag gewesen, und Schomburg hatte sich nicht damit abgefunden.

      Weiber, Weiber … nein. Wichmann beschloß, nicht ans Heiraten zu denken. Übel war es, wenn über die Sache gesprochen wurde. Aber wie dem Mädchen und der Frau Geheimrat Schweigen gebieten? Das war vergebliches Bemühen. Sie schwiegen so wenig wie die Herren Beamten.

      Wichmann schlief trotz der Nachricht, die seine Gedanken und Gefühle stark beschäftigte, sehr bald ein. Körper und Nerven waren erholt.

      Im Dienst verliefen die drei ersten Tage ruhig. Der Assessor bemerkte wohl, daß bei Erwähnung des Namens Grevenhagen immer ein Augengeblinker und verlegenes Lächeln entstand, aber er kümmerte sich nicht darum. Als er sich bei dem Ministerialdirigenten vom Urlaub zurückgemeldet hatte, war er verbindlich und kurz, wie immer, empfangen worden. Von der Wirkung privater Angelegenheiten war Grevenhagen äußerlich nichts anzumerken.

      So kam der Donnerstag, an dem der Himmel trübe war und Wichmann sich mit wiedereinsetzender Arbeitslust in seine Tätigkeit stürzte. Die Neueingänge auf dem Aktenbock waren schon erledigt. Wichmann hatte sich Material zur Vorbereitung der Verordnung zusammengeholt, die demnächst erlassen werden mußte, und feilte an dem Text. Es war viel zu bedenken, wenn man den Herren Parlamentariern keinen Angriffspunkt geben, die Praxis befriedigen und vor Grevenhagens Sachwissen standhalten wollte. Das Wort »hinsichtlich« war zu vermeiden.

      Wichmann hatte das Klopfen kaum gehört, da tat sich die Tür auch schon auf, und Kaspers treuherziges Gesicht erschien. Die rundlichen Wangen waren rot angelaufen, der Freund schlug gegen seine sonstige Gewohnheit die Tür heftig hinter sich zu, ließ sich mit ausgestreckten Beinen auf einen der beiden vorhandenen Stühle fallen und warf Wichmann ein Zeitungsblatt über den Verordnungstext zu.

      »Da … jetzt haben wir den Salat.«

      »Was ist denn los?«

      »Lies nur.«

      »Ich kann doch nicht die ganze Zeitung lesen. Du mußt schon so gütig sein und mir einen Wink geben, welcher Erguß der Journaille dein Seelenleben derangiert, daß du hier eindringst wie Kimbern und Teutonen. – Halt, laß mir meinen Verordnungstext liegen. Es genügt, wenn du die Zeitung wieder in deine zitternden Finger nimmst. Wer hat sich denn verlobt? Schildhauf mit der Hüsch oder der Baier oder der Korts?«

      »Schweig mit deinem Lästermaul, Wichmann, das Spotten wird dir gleich vergehen.«

      »Was ist das überhaupt für ein albernes Käseblatt? Schämst du dich nicht, so was zu kaufen?«

      »Ich bin froh, daß ich noch ein Stück davon ergattert habe. Jetzt ischt es schon ausverkauft …«

      Wichmann schüttelte den Kopf.

      »Du sitzt natürlich wieder in deiner Mönchszelle«, tadelte Kasper, »und ahnst die Wogen der Welt nicht, die dreckschäumend über uns gehen! Weischt du net, daß des Blättle draußen am Zeitungsstand auf ’m Königsplatz verkauft worde ischt! Die haben ein Geschäft gemacht! Die sind saniert für ein halbes Jahr! Ich seh’ immer noch, wie sich der Borowski bei der Lektüre die Lippen schleckt!«

      »Wie heißt das Ding? ›Nachrichtenblatt‹? Na, ist das nicht die elende Klatschjauche? Warum faßt du das überhaupt an?«

      »Das wirst du gleich sehen. Wenn Dreck auf meinem Weg liegt, muß ich durch, auch auf die Gefahr hin, daß es nachher Schuh zum Putzen gibt. Da – lies. Ich mag’s nimmer angucke.«

      »›Aus der guten Gesellschaft‹?«

      »Jawohl.«

      »›In diesem Zusammenhang wird … ‹ In was für einem Zusammenhang?«

      »Ein paar Sätze vorher.«

      »… hat die Statistik des akademischen Nachwuchses und seiner Herkunft gezeigt, daß immer noch ein großer Teil der Studentenschaft aus Akademikerfamilien stammt. Da in diesen Kreisen die Vermögen vielfach durch die Inflation vernichtet sind, bleiben jetzt auch oder gerade für sie die Studentenbeihilfen, in welcher Form sie immer gewährt werden mögen, von erheblicher Bedeutung. Versiegt irgendeine derartige Quelle, so ist die berufliche Laufbahn begabter Studenten immer auf das bedauerlichste gefährdet.

      In diesem Zusammenhang wird auch viel über die angeblichen Schwierigkeiten eines angeblich im Ausland gelegenen Gutes gesprochen. Die kultivierte Lebensführung läßt sich