»Der Gegenstand hier gehört einer mir gut bekannten und sehr angesehenen Beamtenfamilie, deren Namen ich zunächst nicht nennen möchte. Eine Verlegenheit – es handelt sich wohl um die Schulden eines Verwandten, die bezahlt werden sollen – eine Verlegenheit gibt Anlaß zu dem Wunsch, dieses Stück hier in nächster Zeit zu verkaufen oder zu beleihen. Der Kaufpreis war achtundzwanzigtausend Mark. Die Familie möchte sich unter der Hand und ohne Aufsehen erkundigen, ob sich eine mehr oder weniger zufällige Möglichkeit auftun kann, das Diadem ohne allzu großen Verlust abzugeben, oder zu welchem Preis ein Juwelier es heute übernehmen würde.«
»Ja, mein lieber Herr Oskar, das sind sehr schwierige Fragen.«
Der alte Herr holte eine scharfe Brille und ein Vergrößerungsglas.
»Im Juweliergeschäft rechnet man mit langen Lagerzeiten und großen Verdienstspannen beim einzelnen Stück. – Es ist auch ein wenig Spekulation dabei, und damit sieht es jetzt schlecht aus, denn die Geschäftsleute fangen an zu jammern. Man spricht mehr von Baisse als von Hausse. Das Stück ist gut, das sehe ich schon. Aber es muß einen Liebhaber finden. Haben Sie schon einmal einen Fachmann gefragt?«
»Nein.«
»In einer sehr großen Stadt finden sich natürlich immer mehr reiche und kauflustige Leute als gerade bei uns.«
»Sicher. Aber die Familie möchte die Sache nicht an die große Glocke hängen und nicht in der Oper ihrem eigenen Schmuck wiederbegegnen.«
»Tja … ja. Platin ist natürlich wertvoll, und der Stein ist schön. Ich weiß nicht, wann der Preis von achtundzwanzigtausend Mark bezahlt worden ist. Heute und bei uns – da muß ich Sie leider sehr enttäuschen – gibt ein Juwelier für dieses Stück nicht mehr als sagen wir – sechs- bis siebentausend Mark, wenn er es auf Lager nehmen muß und nicht zufällig schon einen privaten Interessenten an der Hand hat.«
»Das bedeutet allerdings einen beachtlichen Verlust – zweiundzwanzigtausend Mark Verlust. Und wie steht es mit den möglichen privaten Interessenten?«
»Reiner Zufall. Ich glaube nicht, daß eine der eingesessenen Familien bei uns das Ding kauft. Sie kennen ja die Leute hier. Höchstens ein Ortsfremder, irgendein reicher Gast, dergleichen Herren zeigen sich manchmal. Man muß warten können.«
»Was würden Sie in dem Fall raten?«
»Guter Rat ist teuer. Wenn die Familie nicht gezwungen ist zu verkaufen, würde ich den Besitz jetzt halten bis zu besseren Zeiten. Wenn sie aber verkaufen muß aus irgendwelchen Gründen, und zwar bald – dann allerdings so schnell wie möglich! Denn die Preise werden vorläufig kaum besser, wahrscheinlich aber noch schlechter.«
»Können Sie vielleicht eine Zeichnung und Beschreibung des Diadems hierbehalten, Herr Helmbrecht, für den Fall, daß einmal ein Deus ex machina in Gestalt eines englischen Lords oder eines reichen Amerikaners auftaucht?«
»Das kann ich natürlich, wenn Sie darauf Wert legen. Ich möchte Ihnen nur keine Hoffnungen machen.«
»Ihre Auskunft war mir schon sehr wertvoll und durchaus genügend. Ich danke Ihnen, Herr Helmbrecht, für die Freundlichkeit, mit der Sie sich am Sonntagmorgen meinetwegen geschäftlich bemüht haben. Vielleicht lasse ich das Stück bis heute abend hier – um diese Zeit fahre ich zurück –, und Sie werden bis dahin die Zeichnung und Beschreibung machen lassen?«
»Ich bin Ihnen dankbar, Herr Oskar, wenn es so geht und ich die Sache nicht überstürzen muß. Auf meine Diskretion können Sie sich verlassen.«
Man plauderte noch von vergangenen Zeiten und von Oskar Wichmanns Vater, dann verabschiedete sich der Assessor. Er wurde bei seinen Verwandten zum Mittagessen sehr erfreut und ein klein wenig neugierig empfangen und spürte die Versuche der älteren Schwester, über die Ursache seines plötzlichen Auftauchens etwas zu erfahren. Mit Lächeln wich er aus und blieb bei der Unterhaltung mit dem Schwager, der als Geschäftsmann über die Stimmung der Großstadt manches zu erfahren wünschte. Wichmann erreichte auch, daß er nicht an die Bahn gebracht wurde, so daß er unbemerkt noch einmal bei Helmbrecht vorbeigehen und dann in das Abteil 3. Klasse einsteigen konnte. Die Zahl der Mitreisenden war diesmal geringer, und der Heimreisende konnte sich einige Stunden auf der Bank ausstrecken. Er hatte den früheren Zug gewählt und kam schon um sechs Uhr fünfzehn morgens in der rußgeschwärzten weiten Bahnhofshalle an. Es blieb Zeit, vor dem Dienst in die Kreuderstraße zu gehen und sich zu erfrischen. Die Frau Geheimrat hatte das versäumte Sonntagsfrühstück auf den Montag verlegen lassen.
Als Wichmann an seinem Fensterplatz seinen gewohnten guten Frühstückskaffee trank, wurde drunten die Straße gekehrt. Die Uhr war noch nicht auf acht gerückt, und der Assessor griff nach der Zeitung, die Martha immer noch regelmäßig zum Frühstück mitbrachte. Nach halb neun Uhr, wenn der Ministerialdirigent im Kabriolett zum Dienst gefahren war, wollte Oskar Wichmann in der Kreuderstraße 3 ein Paketchen für Frau Grevenhagen abgeben. Vermutlich wunderte sich niemand darüber, und wenn sich die Wißbegier von irgendeiner Seite doch regte, stand Marion gewiß eine Ausrede zur Verfügung.
Die Ahornblätter hatten sich mit ihren Flächen zur Sonne gestellt. Die Rosenbeete zwischen Weg und kurzgeschnittenem Rasen standen in voller Pracht. Knospen und Blüten drängten sich und leuchteten mit ihren Farben durch die Eisenzierden des Gartentores. Das eine Fenster des Hauses, das auch im Sommer nach der Straße sichtbar blieb, lag in schimmerlosem Graublau. Wichmann hatte die Zeitung sinken lassen und schaute hinüber. Der Klang von Schritten kam an sein Ohr. Zwei Menschen gingen, der Rhythmus des Ganges verriet den ungleichen Wuchs. Von dem hellgrauen Pflaster im Morgensonnenschein hoben sich die beiden Gestalten in dem schwarzglänzenden Tuch der Reitkleidung ab. Die gemeinsame Schönheit der schlanken und aufrechten Linie ließ den Herrn und die Dame wie ein einziges Zusammengehöriges empfinden. Das hellgraue Haar des zurückkehrenden Reiters, sein schmales, Gesicht und die schlanken Hände waren die Einzelheiten, die den Charakter seiner Erscheinung dem Bewußtsein verdeutlichten. Seine Begleiterin war dunkel und weich in der Bewegung. – Er ging zwei Schritte voran und öffnete das Rosentor, und sie trat auf den sandbestreuten Weg, der das Geräusch ihrer Schritte schluckte. Die Pforte klinkte zu; der Betrachter sah die hell behandschuhte Rechte, die den Rosengriff wieder schloß. Der Kavalier führte seine Dame zwischen den blühenden Beeten und den grün schwellenden Rasenpolstern dem Hause zu. Das Schwarz der eleganten Reitkleidung, besonders wirkende Note im hellen Sommer, entschwand dem Auge des Außenstehenden.
Wichmann sah auf die Zeitung, ohne die Buchstaben zu erkennen. Er zweifelte einen Augenblick an sich selbst und daran, daß die Dame, die er soeben beobachtet hatte, dieselbe gewesen sei, die bei Alfons Musa gewesen war. Aber das Diadem in der Schatulle zeugte für die Wahrheit des bösen Traumes.
Der Assessor stand auf und ließ sich von Martha ein kleines Stück gutes Packpapier bringen.
Als das Frühstücksgeschirr abgeräumt war, packte er die Schmuckschachtel um, legte einige Zeilen mit dem Bericht über das Helmbrechtsche Gutachten bei und schrieb die Adresse:
Frau M. Grevenhagen – Kreuderstraße 3
Die Lektüre der Zeitung hatte ihre Anziehungskraft verloren. Die Uhr, die menschlicher Unruhe spottet, ging in nicht zu veränderndem Tick-Tack, Schritt um Schritt, Sekunde um Sekunde, Minute um Minute bis acht Uhr fünfundzwanzig. Der Motor des dunklen Kabrioletts gegenüber sprang an, und der Wagen verschwand in Richtung des Parks.
Oskar Wichmann nahm den grauen Sommerhut und machte sich auf seinen Weg. Es ist der letzte, Justus Grevenhagen, den ich ohne dein Wissen tue. Vielleicht ist es überhaupt der letzte, der mich in dein Haus führt.
Mit einem besonderen Gefühl ging der Besucher durch die eiserne Pforte und im Dufte der Rosen der Villa zu. Als er klingelte, öffnete der Diener, den er schon kannte, auch am frühen Morgen im Dreß. Wichmann trat in die lichte Diele ein, deren Wände mit englischen Stichen geschmückt waren.
»Wollen Sie dieses Päckchen Frau Grevenhagen überbringen, Johann, Frau Grevenhagen erwartet es.«
»Wollen