Still, ohne Antwort, zierlich und spöttisch glitzerte das Diadem auf der Saffianmappe.
Wie war einem Fisch an dem Angelhaken zumute? Wichmann wußte es, ja, er wußte es. Aber lieber die Zunge zerreißen, als sich noch einmal herbeiziehen lassen.
Hätte er ihr’s vor die Füße geworfen!
Jetzt lag es da und glitzerte.
Was tun, Anuschka? Gehen, fortgehen, wie du gegangen bist, in eine andre Stadt, unter andre Menschen. Eine andre Arbeit tun? Man war jung, und die Kräfte waren noch unverbraucht.
Nein, Anuschka, wir sind ein Mann und wollen dies erst zu Ende bringen.
Was tat ein Gentleman an Oskar Wichmanns Stelle? Was? Ja, was? Er wollte sich nicht rächen. Nur eine Genugtuung wollte er genießen, die, daß er Marion beschämte. Es war ein Gedanke wie Balsam, Marion Grevenhagen dreißigtausend Mark zu überweisen – da – nimm das Geld, um das es dir zu tun war. Die Gedanken mochten einmal diesen Weg laufen. Wie, wenn der Assessor über Sonntag in seine Heimatstadt fuhr und den alten vornehmen Juwelier Helmbrecht aufsuchte, der mit seinem Vater bekannt gewesen war und mit dessen Kindern Oskar gespielt hatte? Ein Diadem – sehr kostbar – eine Familie ist in Verlegenheit – sie möchte den Verkauf nicht öffentlich bekannt werden lassen. Vielleicht gibt sich eine günstige Gelegenheit unter der Hand …? Ja. Und dann? Was dann? Was tat Oskar Wichmann mit einem Betrag, nun, sagen wir, von zwanzigtausend Mark? Auf das Gutskonto überweisen, auf das Konto, das Marions leichtsinnigem Bruder auch offenstand? Oder ihr selbst den Betrag überbringen? Sie noch einmal sehen – aber wo und wie, ohne bemerkt zu werden? Vielleicht ergab sich wochenlang keine Gelegenheit, und wenn sie sich ergab, durfte er dann Justus Grevenhagen noch in die Augen blicken? Der Gatte hatte das Diadem gekauft, ohne Zweifel, mit Geldern seines Vermögens. War es ehrenhaft, wenn Oskar Wichmann sich von Marion anstiften ließ, es heimlich zu verschachern? Schomburg drängte. Drängte er wirklich? War er nicht vorläufig zufrieden, nachdem er gehört hatte, daß Grevenhagens Beamteneinkünfte noch nicht angetastet waren?
Fragen, Fragen ohne Antwort.
Du bist kein guter Geist, Marion. Verwirrung begleitet dich. Felonie, Felonie …
Oskar Wichmann hätte noch einmal fünf Jahre alt sein mögen, heimlich heulen wie ein trotziger Junge und die Tränen abwischen, ehe die Mutter sie sah, die ja doch alles wußte.
Dirne.
Wichmann faßte das Schmuckstück an wie Nesseln. Er packte es hastig ein und verschloß es in dem mittleren Fach des kleinen Schranks, zu dem er den Sicherheitsschlüssel besaß und in dem er auch einiges Wertvolle aus eigenem Besitz aufzubewahren pflegte.
Nun konnte sie ihn des Diebstahls bezichtigen! Warum denn nicht. Die Haussuchung entlarvte ihn als Verbrecher. Draußen war die Sonne aufgegangen, die Strahlen spielten am Fenster. Wichmann sehnte sich nach der Ruhe, der weltüberwindenden Stimmung des vergangenen Abends. Anuschka hatte sie ihm gegeben. Aus eigener Kraft vermochte er sie nicht wiederherzustellen. Sie war dahin. Widerwärtige Eifersucht bedrängte ihn, sein Gefühl wurde zu einem brodelnden Kessel mit häßlichen Blasen. Er haßte sich und das Weib; er haßte den Dienst, in dem er dem Namen Grevenhagen wieder begegnen mußte. Du hast recht gehabt, Anuschka, ein böser Käfer hat sich in meine Knochen gefressen, und nun wühlt er. Nichts mehr ist heiter und rein.
Assessor Dr. Wichmann kam an diesem Tag um halb acht Uhr mit den Amtsboten zum Dienst. Aber auch die Fäden der Arbeit wollten sich ihm nicht ordnen, und sein ›Wi‹ hatte einen zerfahrenen Zug. Ein unsichtbarer Angelhaken reichte bis in das Ministerium. Die Gedanken drehten und wanden sich. Marion hätte diesen Platinreif Schomburg unmittelbar als Pfand für seine Forderungen geben können. Warum denn die Umwege? Hatte sie gehofft, aus Wichmann einen höheren Betrag herauszuziehen? Allerdings, gnädige Frau, ein Verehrer, der ohne Umschweife zwanzigtausend Mark auf den Tisch gelegt hat, der besitzt wohl hunderttausend oder zweihunderttausend nach Ihrer Rechnung. Irrtum, Marion, es gibt Menschen, die bereit sind, alles zu schenken, wenn sie lieben, die alles schenkten, wenn sie liebten – es war einmal. Nimm dein Platin wieder, du kannst es ja jetzt mit Schomburg versuchen. »Wir sind mit Schomburg in großen Schwierigkeiten«? Wir? Wer? Marion und ihr Bruder Luftikus? Oder Marion und ihr Gatte? Alles blieb offen. Warum sprach Schomburg nicht mit Grevenhagen selbst? Warum wählte er die Hintertüren für seine Erkundigungen? Hatte er etwas zu verbergen? Hatte er den Gatten zu scheuen? Auch er?
Pfui, Wichmann. Wohin bist du geraten.
Nein – was hast du dir schon vorzuwerfen? Gedanken – Träume – keine Sünden, die die Welt faßt. Einmal hatten ihre Hände an seinen Wangen gelegen, einmal hatte ihr Kopf an seiner Schulter gelehnt. Ich habe dich nie geküßt, Marion. Warum muß in einem schönen Körper nicht auch eine schöne Seele wohnen? Wie du die Zigarette hieltest, Marion – ich hätte dich getötet, wenn ich nicht ein Feigling wäre.
Sie sind bieder und schal – Kasper, Korts, die Hüsch und Dieta. Du warst einmal anders als alle – aber wenn du Frau Musa sein wirst … Marion, bist du kein Geheimnis mehr – und Anuschka ist größer als du.
Anuschka, es ekelt mich hier alles an. Es ekelt mich vor mir selbst. Ist solches Gedankengewimmel eines Mannes würdig? Du hast ganz einfach gehandelt. Das wollen wir auch tun. Laß uns doch einmal ruhig nachdenken und ordnen, was ist. Wir sind um einen wunderbaren Traum ärmer geworden. Gestehen wir, daß es schmerzt, und arbeiten wir.
Wichmann wartete an den folgenden Tagen darauf, ob in der ›Stillen Klause‹ von dem Abend bei Musa gesprochen werde. Niemand erwähnte ihn. Loeb war schweigsam.
Als das Wochenende kam, meldete Oskar Wichmann ein Ferngespräch zu seiner verheirateten Schwester an und teilte mit, daß er vom Sonntagmittag bis zum Abend bei seinen Verwandten sein werde, Sonntag vormittag wolle er gern unbehelligt streunen und eine kleine persönliche Angelegenheit ins reine bringen. Er werde des Nachts hin- und herfahren – ja, mit Schlafwagen, natürlich.
In Wahrheit natürlich nicht, liebe Schwester Olga, denn Oskar hat zwanzigtausend Reichsmark verliehen und eine Barschaft von dreihundert Reichsmark am vorigen Abend in Anuschkas Manteltasche gesteckt. Er ist heute auf die Bank gegangen und hat hundert abgehoben, was nicht zu tun er doch entschlossen gewesen war.
Die Nachtfahrt war langweilig und ermüdend, aber als Wichmann in der Morgenfrühe des Sonntags durch die stillen, besonnten Straßen ging, die er alle kannte, und als die Leute ihn grüßten, die alle noch von seinem Vater Professor Ludwig Wichmann wußten, da hoben sich seine Stimmung und seine Kräfte. Er pfiff vor sich hin. Ein Frühstück in der kleinen Kneipe, in der er als Primaner den ersten heimlichen Rausch gehabt, erfreute ihn sehr. Er aß Würstchen mit Senf, ein Paar, ein zweites und ein drittes Paar. Die Sonne schien herein, und der Wirt ließ sich erzählen, was man in der großen Stadt denn am Sonntag tue und wie es wohl in den Restaurants zugehe, in denen man ein halbes Hundert Mark für ein einziges Essen mit unbewegter Miene auf den gedeckten Zahlteller legte.
Als zehn Uhr vorbei und die Würstchen verzehrt waren, machte sich der Gast auf den Weg zur Helmbrechtschen Wohnung. Sie befand sich in einem alten, gediegenen, nur zweistöckigen Haus der gartenreichen Seitenstraßen, und als der Ankömmling die Klingel drückte, kam Emmeline, das Faktotum, um zu öffnen.
»Nein, aber was, der junge Herr Doktor!« Sie lief fort, um anzumelden.
Als Wichmann bei dem alten Herrn in dem vertrauten, altväterisch reich möblierten Zimmer stand, wurde er in einen Sessel genötigt und mußte erzählen. Man sprach dies und das, von Politik, von der Arbeit, von der Stadt, von den gemeinsamen Bekannten. Es wurde Wichmann doch schwer, mit seinem Anliegen herauszurücken. Die sehr hellen blauen Augen des zierlichen alten Mannes beschworen eine Erinnerung. Endlich gab Wichmann sich einen Ruck. Zu lange konnte man einen Vormittagsbesuch nicht ausdehnen.
»Bitte stellen Sie sich vor, Herr Helmbrecht, daß ich Sie heute als Geschäftsmann – vertraulich – um ein Gutachten bitten möchte. Sie sind der einzige, zu dem ich mit diesem Anliegen kommen kann, und ich habe, ehrlich gestanden, darum die Reise hierher unternommen.«
Der Gesichtsausdruck des Juweliers mit dem