Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783957840127
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Schwankungen der Konjunktur, auch wenn sie vorausgesehen wurden, können hier allerdings eine verderbliche Rolle spielen, und der ›Run‹ ist für den Privatmann nicht weniger ruinös, als er bei Ausbruch von Krisen immer für die Banken gewesen ist. Es ist dabei für Wirtschaft und Gesellschaft ohne Zweifel wichtig, daß heute der Beamte in ihrem Aufbau im Vordringen ist und mit seinem gesicherten, wenn auch nicht allzu hohen Einkommen ein festes Gerüst abgibt, sofern die Ehrenhaftigkeit seiner Lebensführung mit den Begriffen, die man sich darüber zu machen pflegt, übereinstimmt und das dürfte ja nur in wenigen Fällen nicht zutreffen, die dann um so mehr und auch berechtigtes Aufsehen erregen.‹«

      »Und was soll der ganze Quatsch?«

      »Willst du leugnen, Freund, daß du kapiert hascht? Madame Grevenhagen hat die Geschäftsführung eines Fonds für Studentenhilfe – Madame Grevenhagen stammt von einem polnischen Gut, obgleich auch das schon bezweifelt wird – Madame Grevenhagens Gatte ischt Beamter, sein Lebensstandard geht weit über sein Beamteneinkommen hinaus. Aber lies nur weiter. Es kommt noch besser.«

      »›Der Fall Emmerich, der nun entschieden ist mit einem Vergleich auf der Basis von 60 : 1, hat die Diskussion über die Gütertrennung im Ehestand und die möglichen Folgen für die Gläubiger wieder ins Rollen gebracht. Nicht weniger interessant sind die Folgen dieser Rechtskonstruktion für die beteiligten Eheleute selbst. Der Ehemann kann sich – wenn wir einmal den Fall setzen wollen – vor der Situation sehen, daß weder Gattin noch Bank ihm Auskunft über die Vermögensverhältnisse der Frau geben, andererseits Gläubiger auftauchen, die Schuldtitel auf den Namen der Frau der Rechtlichkeit des Ehemannes präsentieren. Es wird sich sofort der Zweifel erheben, ob der Betreffende tatsächlich von nichts gewußt habe und wie weit er moralisch verpflichtet ist einzuspringen.‹«

      »Reizend.«

      »Ja, mein Lieber. Stell dir den Boschhofer und den Nischan vor, wie die das zusammen gelesen haben und wie dem Boschhofer sein Bauch vor Freude gehopst ischt!«

      »Kann man nichts machen gegen eine solche Schweinerei?«

      »Wozu hascht du Jura studiert, mein Freund? Mit Beleidigungsprozeß kommt da nix zustand. Den Redakteur erschieße – zahlt sich auch net aus. Du bischt hilflos gegen die Eberzähne und kannscht dich nur auf die Verleumdungsarie zurückziehe. ›Und der Arme muß verzagen – den Verleumdung hat geschlagen!‹«

      »Da nimm dein Dreckblatt wieder. Ich mache meine Verordnung fertig.«

      »Auf Wiedersehen.« Casparius klopfte Wichmann, der sich über die Arbeit beugte, seufzend auf die Schulter und verließ das Zimmer.

      »Der Grevenhagen tut mir leid«, hatte er noch im Hinausgehen gesagt.

      Wichmann spürte den eigenen heißen Kopf. Dieser Hundsfottartikel war natürlich das Signal dafür, daß sich alles, was an Gläubigern der Marion Grevenhagen vorhanden war, auf den Gatten stürzte. Der Zweifel an seiner Ehrenhaftigkeit, der Spott über seine mangelnde Orientierung waren eine Gemeinheit. Wer hatte diesen Artikel veranlaßt? Wie sie jetzt gelaufen waren, die Herren Mitarbeiter, um noch ein Stück von diesem Schundblatt zu bekommen! Wen hatte wohl Boschhofer geschickt, es besorgen zu lassen? Oder hatte Nischan ihm gleich eines mitgebracht?

      Ahnte Grevenhagen schon etwas von der Sache? Hoffentlich nicht. Er konnte ja doch nichts tun, als den Angriff an sich ablaufen lassen und die Folgen abwarten. Das Thema für die ›Stille Klause‹ stand jedenfalls fest.

      Als Wichmann des Abends nach Hause kam und gebürstet, gekämmt im besseren Rock erschien, um mit der Geheimrätin unter dem Ölporträt des alten Geheimrats Krautwickel zu speisen, sah er auf einem Nebentisch das ›Nachrichtenblatt‹ liegen und verschluckte sich beim ersten Bissen.

      »Ach, Herr Doktor Wichmann, was sagen Sie nur zu diesem entsetzlichen Skandal! Daß man so etwas erleben muß in unserer Kreuderstraße! Bei dieser Familie! Mich traf fast der Schlag, als heute beim Tee der Frau Rohrbach schon alles davon sprach! Ich hatte ja einiges unter der Hand gehört, was mich tief erschütterte …«

      »… von Martha?«

      »Ach … hat sie mit Ihnen auch darüber gesprochen? Ich kann mich noch gar nicht fassen. Es ist unbegreiflich. Wie werden die alten Exzellenzen darunter leiden! Was sagt man denn im Ministerium dazu?«

      »Da werden so ein paar Anwürfe in einer wenig angesehenen Zeitung wohl unbeachtet bleiben. Grevenhagens Ehrenhaftigkeit ist über jeden Zweifel erhaben.«

      »Das denken Sie doch auch? Nicht wahr? Aber diese Sache mit Schomburg und diese entsetzliche Szene – hat Ihnen Martha das auch erzählt? Frau Grevenhagen hat ihrem Gatten doch jede weitere Auskunft über ihre finanziellen Verhältnisse verweigert. Was will er machen? Die Bank ist zur Diskretion verpflichtet. Er kann sich überhaupt nicht orientieren.«

      »Ich nehme an, daß er der Mann dazu ist, doch zu erfahren, was er wissen will.«

      »Ja, aber wie? Er kann seine Frau doch nicht prügeln oder würgen. Scheiden lassen dauert lang – um Gottes willen, was ist denn los?«

      Auch Wichmann war aufgesprungen. Ein lauter Ruf oder Schrei einer menschlichen Stimme war von der anderen Straßenseite her ins Zimmer gedrungen. Martha stürzte aufgeregt, mit aufgerissenen Augen herein. »Frau Geheimrat! Um Gottes willen! Sie bringen sich drüben um!«

      Die beiden Frauen liefen in Wichmanns Zimmer an die geöffneten Fenster. Martha rang die Hände.

      »Die junge Frau hat laut geschrien – sie hat Worte gerufen – habe nichts verstehen können – jetzt ist es wieder still.«

      Wie zu allen Tagen breitete der Ahornbaum sein Laub über die eiserne Pforte. Rosenduft zog durch den Abend. Das eine sichtbare Fenster der Gartenvilla war durch den Vorhang gegen außen abgeblendet. Im Zimmer schien Licht zu brennen, wie ein heller Schein verriet.

      »Mein Gott, mein Gott, Herr Wichmann, was werden wir noch erleben müssen! Was haben Sie denn gehört, Martha?«

      »Ich will doch gerade dem Herrn Assessor das Zimmer für die Nacht fertigmachen – lasse die Fenster noch auf, wie er’s gern hat und bin an der Couch – da höre ich einen Schrei – ja, die Tür hatte ich auch offengelassen, deshalb wird es die Frau Geheimrat auch gehört haben – und es muß drüben ein Fenster offen gewesen sein oder vielleicht nur angelehnt – und ich horche sofort, und da wird drüben noch etwas laut gerufen – ein paar Worte – es war die Stimme der jungen Frau – und dann ist es gleich wieder ganz still gewesen. Aber an dem Fenster, das man drüben sehen kann, hat sich nichts gerührt.«

      »Es ist ja grauenvoll – sehen Sie, unsere Nachbarn sind auch alle an den Fenstern – ein solch entsetzlicher Skandal! Ich werde heute nacht kein Auge zutun. Was wird denn nur geschehen sein!«

      »Eine eheliche Auseinandersetzung, gnädige Frau, ist sicher nicht so schlimm. Die junge Frau Grevenhagen bleibt meist sehr ruhig, doch ich glaube, wenn ihr Temperament erst ins Schwingen kommt, kann sie auch einmal sehr heftig werden. Wir dürfen aber in Frieden schlafen, ohne uns Sorgen zu machen, davon bin ich überzeugt.«

      »Es ist eine Wohltat, Ihre besonnene Stimme zu hören, Herr Doktor. Es scheint nun auch wirklich wieder Ruhe eingekehrt zu sein. Was muß das für eine Szene gewesen sein. Mein Herz klopft noch wie ein Hammer. Aber kommen Sie – die Krautwickel und die Kartoffeln werden kalt.«

      Man begab sich wieder zu Tisch.

      »Ich würde auf Martha einwirken, gnädige Frau, damit sie sich möglichst wenig an dem Klatsch über die Kreuderstraße 3 beteiligt und auch ihre Freundin Fanny warnt. Die Mädchen wissen ja gar nicht, was sie anrichten und wie sie sich selber womöglich noch Unannehmlichkeiten zuziehen können.«

      Wichmann nahm sich die zweite Krautrolle. Essen mußte man schließlich.

      »Aber habe ich Ihnen nicht immer gesagt, Herr Doktor, diese Heirat war ein Unglück?! Die alten Exzellenzen tun mir maßlos leid! In dem Artikel ist ausgedrückt, daß vielleicht noch viel mehr Verpflichtungen bestehen als die gegenüber Schomburg – und denken Sie, ein paar hunderttausend Mark Vermögen von Vater und Großvater auf den Tisch legen für