Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783957840127
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      Er wollte den Kampf aufnehmen und das elende Geschwätz zum Schweigen bringen. Der Assessor schaltete die Stehlampe noch einmal ein, er holte sich Bleistift und Papier und rechnete. Er wünschte, in der Kreuderstraße wohnen zu bleiben. Freund Casparius hatte den verborgenen Einflüsterungen von Wichmanns eigenem Herzen nur allzu stichfest, mit Wichmanns neuen Entschlüssen zu vereinbarende Gründe geliehen. Wenn der Assessor den Etat für das Abendessen um die Hälfte herabsetzte und die Kleiderrücklage kürzte, war ein erheblicher Betrag gewonnen. Man konnte auch mit der Geheimrätin verhandeln, eine Zeitung abbestellen und 4-Pfennig-Zigaretten rauchen. Aus dem Klub wollte er nicht austreten, aber der Reitsport war zu streichen – den ersetzte dann allenfalls das Paddelboot mit dem Wochenendmädle. Wichmann verzog die Mundwinkel, um sich selbst zu verspotten. Vielleicht kam Ende des Jahres doch noch die Ernennung zum Regierungsrat. Er konnte auch die letzte Reserve von eintausendfünfhundert Mark in monatlichen Raten zusetzen. Aber das lag nicht im Wesen seiner Erziehung und seines Charakters.

      Als der Regierungsassessor am folgenden Donnerstag hinter dem Schatten des Ahornbaumes erleuchtete Fenster schimmern sah und sich im Gesellschaftsanzug zum Besuch des ›jour fix‹ bereit machte, fühlte er sich im Zustand einer Larve, deren Kruste sich härtet. Er mußte seine Blicke, jede Regung, ja, jeden Gedanken kontrollieren. Seine Muskeln strafften und seine Mienen schlossen sich, seine ganze Körperlichkeit gehorchte dem Bilde, das er sich von sich selbst machte. Der Diener bemühte sich heute noch um eine Note achtungsvoller um Herrn Dr. Wichmanns Garderobe.

      Als ein Mann, der selbstgezogene Grenzen aus Selbstbewußtsein zu achten entschlossen ist, ging er durch die bekannten Räume. Er begrüßte die Hausfrau mit dem förmlichen Handkuß und ohne Verlegenheit, was ihn selbst in Erstaunen setzte. Frau Grevenhagen lächelte erfreut. Der Verehrer hatte einen Augenblick gefürchtet, daß sie von der Befangenheit des Schuldners gegenüber dem Gläubiger befallen werden könne, aber es war nicht an dem; Marion hatte vermutlich keine bürgerlichen Vorstellungen von dem Druck finanzieller Verpflichtungen. Sie war heiter, soweit ihre Natur das zuließ. Wie ein dunkles Wasser, in dem der lichte Himmel sich spiegelt, so mochte die Oberfläche ihrer Seele heute von angenehmen Vorstellungen erhellt sein. Wichmann sah die Hände, die an seinen heißen Schläfen gelegen hatten, aber es war ihm, als ob das, was er erblickte, nur das Abbild seines Traumes sein könne, nur kühles Wachs, was danach geformt worden war.

      Die Stelle des abwesenden Hausherrn vertrat heute sein Vater, der alte Minister a. D. Die Geheimrätin hatte nicht zuviel gesagt, wenn sie ihn eine prachtvolle Erscheinung genannt hatte. Es gelang Oskar Wichmann, von ihm und von einigen älteren Herren – eben jenen, die am Kamin ihren Spaß an Lotte Hüsch gehabt hatten – in das gemeinsame Gespräch aufgenommen zu werden.

      »Sie kennen ja die Gedankengänge meines Sohnes, Herr Dr. Wichmann. Er ist nicht sehr optimistisch in bezug auf die Wirtschaftsentwicklung.«

      »Jawohl, Exzellenz, seine Diagnose für unsere Wirtschaft lautet auf Krankheit. Die Zahl der Arbeitslosen ist in den letzten Monaten auch tatsächlich über das saisonmäßig begründete Maß hinaus gestiegen.«

      »Ah, Sie verfolgen diese Dinge? Haben Sie darüber eigene Aufzeichnungen?«

      »Leider nicht. Ich verfolge diese Vorgänge auch nur aus privatem Interesse, auf gelegentliche Anregung von Herrn Ministerialdirigenten Grevenhagen, um unsere Arbeit auch im allgemeinen Zusammenhang zu sehen.«

      »Mit dem Wahnsinn der Reparationspolitik graben unsere Gläubiger an den Grundmauern ihres eigenen Hauses«, mischte sich von Linck ein. »Haben Sie, Exzellenz, etwas über dies österreichische ›Kredit‹ gehört?«

      Der Minister im Ruhestand zog die buschigen weißen Augenbrauen hoch.

      »Nein …«

      »Emmerich bietet einen Vergleich an auf der Basis von 6o:1 …«

      »Das ist doch glatter Betrug!«

      »Tja, was wollen Sie in einem solchen Falle machen? Die Frau soll noch Geld haben, geschützt durch Gütertrennung. Die Zeiten, in denen man sein Vermögen in den Konkurs warf und sich eine Kugel durch den Kopf schoß, sind vorbei. Die Anschauungen wandeln sich.«

      »Die meinen nicht, Herr von Linck, dazu bin ich zu alt. Für mich ist die Solidität der Geschäftsgebarung eine Sache der persönlichen Ehre und das Eingehen von Verpflichtungen, die man später nicht erfüllen kann, eines Mannes unwürdig. Auf dieser Grundlage haben meine Vorfahren in der ganzen Welt Handel getrieben und Vertrauen genossen, und ich denke bei solchen Grundsätzen zu bleiben.«

      Marion ging eben vorüber. Hatte sie die Worte gehört? Vielleicht waren sie aus einer Atmosphäre gesprochen, die nie in ihr Inneres drang, obwohl sie in dieser Luft leben mußte. Armes fremdes Kind.

      Wichmann bereute es nicht, ihr geholfen zu haben.

      Er verließ an diesem Abend das Haus Kreuderstraße 3 mit der Überzeugung, daß er seine Rolle gut gespielt hatte. Ja, er schlüpfte so vollständig in die Verkleidung, daß er selbst nicht mehr erkannte, was vorher gewesen war. Der Assessor Dr. Wichmann verkehrte im Hause Grevenhagen als ein fernstehender Bewunderer der schönen Hausfrau, als Mitarbeiter ihres Gatten. Es bedurfte jetzt nur noch, vor sich selbst und vor den anderen, der Bestätigung, daß sein Stolpern in der Karriere mit persönlichen Gefühlen seines Vorgesetzten nicht das geringste zu tun hatte. Dann war allen Gerüchten der Boden entzogen, und der Assessor entkam dem schleimigen Netz des Nischan, um in den Sommer hineinzusurren wie eine befreite Fliege.

      Wichmann hatte sich schon an den Gedanken gewöhnt, daß man in Amtsstuben die Wahrheit nur mit den Methoden eines Detektivs erfahren könne. Er versäumte daher nicht, am nächsten Tag den Inspektor Baier aufzusuchen und ihn für den Wechsel des Mittelstürmers bei Nürnberg-Fürth zu interessieren. Das Thema »Ernennungen« schloß sich zwanglos an.

      Baier nahm seine Brille von der Nase und verwahrte den Gegenstand behutsam im Futteral.

      »Ja, wir sind die beiden im Referat Grevenhagen, die den kürzeren gezogen haben, lieber Herr Assessor. Ich bin es schon gewohnt. Man bekommt auch Übung im Verzichten und Zurückgesetztwerden, lieber Herr Assessor, und wenn ich nicht Pöschkos höhnisches Gesicht sehen müßte, wär’s mir jetzt schon egal. Meine besten Jahre hab’ ich doch hinter mir – mit dem Heiraten ist’s auch nichts mehr …«

      »Aber warum, Herr Inspektor? Ein so gut aussehender Mann wie Sie in angenehmer und gesicherter Stellung …?«

      »Ach, lieber Herr Assessor … das ist ein schwieriges Kapitel. Zu irgendeiner Emma oder Isa oder Bella möcht’s schon reichen. Aber ›Irgendeine‹ kommt doch für mich nicht in Frage. Ich bin ein Träumer, Herr Assessor, ich habe künstlerisches Gefühl und Empfinden für das Exklusive. Sehen Sie sich das Fräulein Hüsch an, das ist eine Dame. Wenn ich als Sohn eines Generaldirektors geboren wäre … aber ich habe kein Geld. Ich wäre der Mensch dazu, aber ich habe kein Geld. Ich weiß wieder nicht, wie ich die Reise nach Nürnberg zum ersten Fußballtreffen bezahlen soll.« Inspektor Baier holte ein kleines, sauber gehaltenes Kontobuch hervor. »Ich weiß es nicht. Vor dem 15. Mai zahlt mir die Hüsch die hundert Mark nicht zurück. Das Mädchen macht Ansprüche, Herr Assessor, Ansprüche! Nehmen Sie sich in acht! Ehe Sie nicht mindestens Ministerialrat sind, können Sie nicht mit ihr heiraten.«

      »Zu jenem etwas fernen Zeitpunkt habe ich aber die Absicht, nach Ihrem Dafürhalten?«

      »Herr Assessor, im Vertrauen, sie hat mir gesagt, daß Sie ihr das neue Bücherverzeichnis gemacht haben. Mir fiel ein Stein vom Herzen, daß es damit geklappt hat. Das Mädchen versteht zu organisieren.«

      »Aber mit dem Heiraten und dem Ministerialrat ist’s für mich leider noch lange hin.«

      »Ja, Herr Assessor, Sie tun mir leid. Sie waren doch der Favorit?«

      »Das schien so.«

      »Aber dem Personalchef ist aufgestoßen, daß Casparius sehr viel dienstälter ist, und er hat … Sie dann … Aber das darf ich Ihnen ja nun eigentlich nicht sagen.«

      »Ich weiß es schon. Wenn Sie mir nur noch einmal bestätigen wollen, daß ich richtig informiert