Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783957840127
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von jedem der jungen Diplomaten und von dem Regierungsrat Schildhauf im voraus zu sagen, welche Anschauung sie zu einem angeschnittenen Thema vorbringen würden. Es war wie ein eingeübtes Stück, das man einander immer wieder vorspielte. Lotte Hüsch erzählte gern, daß der betagte, aber lebenslustige Professor Bergschmidt, den sie im Hause Grevenhagen kennengelernt hatte, ein Landhaus am Ammersee besaß und daß sie diesen Besitz, der in der Zeitschrift »Die Dame« abgebildet worden war, im kommenden Urlaub besichtigen wolle.

      Still, unberührt und unergründet stand Marion zwischen ihren Gästen, mit dunklem Haar und dunklen Augen. Nie verriet ein Blick oder eine Bewegung, daß zwischen ihr und Oskar Wichmann etwas anderes sein könne als Huldigung und die Gnade einer schönen Frau. Nichts rührte sich unter der Decke der Konvention, und die Flammen schienen ohne Nahrung erstickt.

      Oskar Wichmann erinnerte sich später noch an den Herzschlag, mit dem das Gebäude seines Gleichmuts und der bürgerlichen Bescheidung zu wanken begonnen hatte. Es war, als ob sich ein Riß aufgetan habe, ein Riß, der schrie, so, wie Risse schreien, wenn tauendes Eis brechen will. Der Abend war müde gewesen. Die Teiche im Park lagen unbewegt, und Frösche quakten auf Seerosenblättern. In den Steinen der Stadt brütete die Schwüle und strömte in die Dämmerung. Die Reitwege wirbelten staubig auf, wenn die Hufe der verschwitzten Pferde darüber trommelten. Als die Laternen aufblinkten, spielten Mücken ruhelos in ihrem Schein. Der Hochsommer des Jahres 1929 hatte einen frühen Vorboten geschickt.

      Die Fenster des Musiksalons waren geöffnet, das Licht der Kerzen spiegelte in dem schlanken Stil der Vase, die Orchideenzweige hielt, und fiel hinaus zwischen Büsche und Rasen. Die Klänge eines persischen Liebesliedes sangen sich vom Flügel fort in die beginnende Nacht, zu dürstenden Bäumen und glitzernden Sternen. Marion lächelte schwermütig. Sie hatte sich dem jungen Mann zugewandt, der am Fenster stand, ihre Augen liefen in die seinen, ihr Kopf neigte sich in den Nacken, so daß ihr Haar aus der Stirn fiel. Die Ahnung des schwülen Tages flutete durch ihren Körper. Oskar Wichmann deckte die Hand über das Gesicht, denn er hätte Marion sonst umschlingen müssen.

      Sie war nahe zu ihm herangetreten, und als sie ihre Worte sprach, glaubte er den warmen Atem zwischen ihren Lippen zu spüren.

      »Lieben Sie das kleine Mädchen?«

      »Marion …« Sein Mund formte das Wort ohne Ton darin.

      Er blickte auf den Parkettfußboden hinunter; der Glanz des gepflegten Holzes verschwamm ihm vor den Augen.

      »Sind Sie schon mit dem Segel über den See gefahren? Es ist schön, so dahinzugleiten. Wollen Sie mit uns kommen?«

      »Wenn Sie es mir erlauben, gnädige Frau …«

      Die Augen gingen ineinander. »Mein Gatte und ich würden sich freuen.«

      Als Oskar Wichmann nach diesem Abend und nach dem Sonntag, der darauf gefolgt war, wieder an dem Schreibtisch vor der getünchten Wand saß und zu dem Laub der Ulmen hinaufstierte, wußte er, wovon er träumen konnte. Sie trug eine weiße Bluse. Der dünne weiße Wollrock mit den gepreßten Falten schmiegte sich eng an ihre Hüften und ihre Knie und flatterte, wenn die Luft über das Boot zog. Ihre Augen und ihre Wangen schimmerten zwischen Licht und Schatten, und das Blut wollte aus ihren Lippen springen. Das Boot glitt dahin. Freiheit, Sehnsucht aller erdgebundenen Wesen, lag in dem Trieb der geblähten Segel. Die Leinen knarrten, die Muskeln spannten sich, weißlich wallte es um die Wunde des Wassers, die die Spitze des Bootes schnitt. Der Wind wehte, seine Stimmen rauschten, fern waren die Ufer. Wasser und Himmel schlossen sich zusammen. Wolken, Segel der Himmlischen, zogen im Flug mit den Dahingleitenden. Ja, es ist schön, Marion, mit dem Winde zu gehen, frei von der Schwere menschlichen Schritts und der Arbeit der Ruder, und schön ist es, über das schaumspritzende Wasser zu fahren, wenn die Sonne glüht. Die Silberflügel der Möwen fliegen mit uns. Dein Haar spielt locker, die Luft will deinen Leib umfangen. Lachst du, Marion? Deine Augen haben heute ein stärkeres Leben.

      Laß die Kleider fallen. Deine weichen braunen Glieder dehnen sich in der Sonnenglut, sie spielen sich durch die Wasser, du schwimmst mit den Fischschwänzigen, Tochter des Sees. Ist deine Seele nicht wie das Element, das weicht und sich wieder schließt, wandelbar und niemals zu halten?

      Laß uns umkehren, Marion, denn der Abend sinkt, und wir wollen still sein. Der Wind flüstert, das Segel lauscht auf ihn. Der See ist wie Sonne geworden, goldene Fläche, mit leisen Wellen treibt er zum Ufer, und wir fahren langsamer. In deinen Augen liegt das scheidende Licht, du duftest wie Wasser und Lüfte. Der Sommer prangt noch in der Nacht, seine Sterne funkeln, und die Wasser rauschen und klickern über den Sand und spiegeln zitternd den runden Mond. Schwarz stehen die Bäume. Sie haben uns beschützt, Marion, als deine Wange sich an meine Schulter legte. Wir haben leise gesprochen wie die Geigen, deren Klang mit dem Mondschein um uns gewebt hat; das Wasser vor uns war dunkel und undurchsichtig geworden und trug nur die Lichtstraße des himmlischen Gestirns, Pforte der Träume. Die Funken des Himmels fielen und verloschen im See, und du erschrakst und fürchtetest, daß es dein Stern sein könne, der gefallen war.

       »Stille Silberflut

       zog in mondenweite Ferne,

       Liebe gab die Hand,

       es fielen Sterne.

       Sterne sterben auch –

       einem Herz ist höllenbang,

       über Busch und Strauch

       weht Gesang.«

      Ich sprach von dir und den Wassern, Marion, und die windverspielten Bäume rauschten in der Nacht.

      Ich habe dich nicht geküßt, Marion, aber nun, da du mir entschwunden bist, küsse ich dich tausendmal. Kind der schwimmenden weißen Rosen und dunkler Wälder.

      Ich muß dich wiedersehen, und meine Arme werden nicht mehr zögern.

      Du wirst spüren, daß meine Lippen heiß sind.

      Wichmann saß vor seinem Schreibtisch im Büro. Er hatte die Hände auf die Akten gelegt, die Abdrücke der Typen der Adlermaschine standen ungelesen auf dem Bogen. Der Gefangene hatte die Fenster geöffnet. Die Stadt roch nach Staub, Rauch und Hitze, die Handflächen waren feucht von Schweiß. Drunten im Hof ärgerte der Heizergehilfe, der im Sommer wenig zu tun hatte, den fauchenden Kater. Von den Ulmen fielen vorzeitig verdorrte Blätter auf den grauen Erdboden.

      Woran denkst du, Marion? Weißt du es noch, wie wir beide in die Flut sprangen, wie wir erschreckt hinuntersanken zwischen die Fische und die Wasser über uns wallten und zusammenschlugen und wie wir durch grüne Schimmer wieder zur Sonne auftauchten? Hast du im Traum noch einmal unter den schwarzen Bäumen gestanden in der schweren Süße der Nacht und noch einmal gewußt, warum mein Herz stockte und meine Glieder lahm gewesen sind? Tausendmal gehofftes Wunder, im Schlafen und Wachen ersehnt, betäubt den Wartenden, wenn es geschieht.

      Meine Arme schlingen sich jetzt um dich, Marion, ich presse dich an mich. Du bist mein. Wir sehen uns wieder, Marion.

      Wichmann hatte das Klopfen überhört. Er schrak auf, als es sich wiederholte, und bat den Einlaß Suchenden einzutreten, aber es klopfte nur ein drittes Mal, und Wichmann erhob sich und machte die Türe auf.

      In der dämmrigen Schwüle des Korridors stand eine Gestalt mit vorgebeugtem Nacken und unsicheren Augen. Die breiten Lippen lächelten verlegen. Die Kopfhaut glänzte unter dem schütteren, leicht gekräuselten Haar. Wichmann entsetzte sich, ohne zu wissen, warum.

      »Sie haben geklopft? Wollen Sie bitte eintreten, Herr Nathan?«

      »Ich störe Sie gewiß?«

      »Ja. Aber Sie werden die Störung dadurch nicht geringer machen, daß Sie sich jetzt wieder zurückziehen. Bitte …«

      Wichmann schob den Gast, von dem er immer noch nicht wußte, warum er ihm unheimlich war, durch die Tür herein.

      »Ich möchte Sie nicht aufhalten,