Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783957840127
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schwer …«

      August Nischan legte den Kopf auf den Tisch, raffte sich aber nach kurzer Zeit wieder auf.

      »Ich will gehn, Wichmann. Tanz mit mir heim, mein Kind! Wir sind die beiden Sitzengebliebenen. Wenn ich denke – jetzt unter dem Grevenhagen – mir wird ja schlecht – ruhup … schlecht – was war das für ein Wein! Der Kerl hat mich vergiftet.«

      »Aber nicht doch, Herr Nischan. Ein bißchen blau ist doch ganz schön? So überstehen Sie die Sache am ehesten. Seien Sie ruhig, ich bringe Sie mit Casparius zusammen nach Hause.«

      Der Weg durch die nächtliche Stadt, im lauen Märzwind, wurde an diesem Abend einer der sonderbarsten, die Wichmann je gemacht hatte. Casparius und er hatten Nischan rechts und links untergehakt. Es wäre nicht nötig gewesen, denn der Ministerialrat ging mit geringen Schwankungen. Aber da er sich’s gefallen ließ, taten es die beiden Freunde zum Spaß. Nischan rülpste und schwatzte eine Mischung von Vernunft und Unsinn. Die Wahrheit, die über die Vorstellungswelt des Schleichers und Spießers dabei herauskam, war nicht erfreulich, sie war erschreckend fad. Wichmann kam es vor, als ob die Seele dieses Mannes selbst den Geruch ausströmte, der aus seinem Munde kam. Im Laternenschein sah der Assessor das schneckenhautfarbene Gesicht und die breit ausladenden Kiefer, die schmalen Lippen. In einer Mischung von Spott und Grauen schleppte er die verwirrte Kreatur über den Asphalt. Er trug Nischans Hut in der Hand. Die feinhaarigen Locken des anderen standen scheitellos in die Höhe. Zum erstenmal lernte Wichmann einen solchen Menschen kennen.

      »Kasper … kann es so etwas geben?« fragte er, als die Freunde ihre Last abgeliefert hatten und allein durch stille Straßen schlenderten.

      »Wichmann, was hascht du mit dem Mann g’macht? Des ischt doch net mit rechten Dingen zugange?«

      »Mit echtem, rechtem Kognak.«

      »Im Wein? Des hätt’ ich dir nicht zugetraut. Solche Sachen machscht du? Was war denn des für ein Zettel, von dem er jetzt allweil noch g’schwätzt hat?«

      »Eine ganz große Gemeinheit, Kasper. Ich will ja vorläufig den Mund halten. Der Kerl kann Schriften nachahmen.«

      »Wichmann, des klingt direkt kriminalistisch. Hör mir auf davon, daß ich mir mein Kindergemüt bewahren kann.«

      »Komm, Kasper, wir gehen wieder ein Stück zurück, ich habe keine Lust, schon nach Hause zu gehen.«

      »Willscht du net noch auf eine Stund zu mir kommen?«

      »Heut nicht. Ich geh’ heim in die Kreuderstraße. – Wer weiß, wie lang ich noch da wohnen kann.«

      »Was sind denn das jetzt wieder für geheimnisvolle Andeutungen? Ich will dir aber was sage, Wichmann, vielleicht ischt es ganz gut, wenn du von dort fortziehscht …«

      »Warum?«

      »Ich will’s dir sage, weil ich dein Freund bin. Die andern klatschen alle bloß hinten ’rum, des liegt mir net. Es ischt ein G’schwätz um dich im Gang. Die ganze Abteilung ratscht und tratscht, der Grevenhagen hätt’ dich von der Lischte abgesetzt, weil er eifersüchtig auf dich sei – du hättest ein Billetdoux von seiner Gemahlin erhalte …«

      »Das kann nur der Nischan erzählt haben, denn der hat’s geschrieben.«

      »Was geschrieben?«

      »Das Billetdoux – mit verstellter Schrift. Das hab’ ich heute herausbekommen.«

      »Wichmann – gut, daß du des sagscht. Da werd’ ich die Schandmäuler stopfen, bis sie gurgle und ersticke! Es ischt doch … nei …«

      »Eine Hundsfötterei.«

      »Ja. Aber ich möcht’ dir noch eins rate – schaff dir irgendein nettes Wochenendmädle an, wenn du noch nix derart bei der Hand hascht – damit das Gered einmal aufhört, bevor der Grevenhagen noch davon erfährt.«

      »Ich hab’ kein Geld. Wir haben da Pech gehabt mit einem unnützen Verwandten, und ich muß zuschießen. Ab nächsten Monat leb’ ich von meinem Assessorengehalt.«

      »Des ischt des Schlimmschte net, den Zustand kenn’ ich samt Frau und Drillinge. Da rechne mir einmal zusammen, wieviel weiter ’s bei euch Junggesellen langt. Was zahlscht denn bei der Geheimrätin?«

      »65 Mark.«

      »Vielleicht bleibscht du doch besser dort. Wenn du ein reines Gewissen hascht. Es braucht gar net so aussehen, als ob du’s nötig hättescht, den Schauplatz zu räumen. Wenigschtens net jetzt gleich. Sie wird scho ’runterlasse, die Eule, und du muscht denke, was du sonscht für Vorteile hascht – die Kleider in Ordnung gehalten und die Wäsche geflickt – bleib noch ein paar Monat, ’s wird sich schon no mache lasse. Du bischt Junggeselle, und das Geld muß ja nur für einen langen. Und über das Wochenendmädle reden wir noch. Die kaschtet dich nix. Mir gucke uns nach einem anständige Mädle um, wenn auch im Badeanzug, nach einer, die selber für sich zahlt. Vielleicht hat der Schildhauf was an der Hand, der kennt ja die halbe Stadt. Aber beileibe net eine, die er ablegt.«

      Mitternacht war längst vorüber, als Wichmann endlich auf seiner Couch lag.

      Er schaute im Lampenlicht noch einmal hinauf zu der strengen Komposition der Rembrandtschen ›Anatomie‹, überlegte dabei, daß ein wissenschaftlich denkender Mensch seine Gefühle und Willensregungen ebenso analysieren müsse wie der Verstand und das Messer des Arztes den Körper, und drückte dann auf den Knopf, der den elektrischen Strom dem menschlichen Befehl entsprechend ausschaltete. In der Dunkelheit, allen äußeren Eindrücken fern, begann er nachzudenken.

      Seine Empfindungen für Marion Grevenhagen waren Gegenstand der Intrigen und des Klatsches geworden. Mit dieser Tatsache wollte er sich auseinandersetzen.

      Bis dahin hatten seine Beziehungen zu dieser Frau einem Traum geglichen, in dem die Gefühle sich zu zauberhafter Kraft entwickeln und dennoch dem Gegenständlichen fern bleiben. Auch die Bosheit, die sich kundgetan hatte, war wie eine böse Macht im Märchen gewesen, unfaßbar und trotz der Beweisstücke seinem Bewußtsein so lächerlich und grausig wie zugleich unwahrscheinlich. Das Unverbindliche und doch Leidenschaftlich-Nahe seiner Empfindungen war nur in einer Ebene über oder unter der Wirklichkeit möglich gewesen. Aber die schimmernden Nebel, die es getragen hatten, hatten auch schon angefangen zu zerfließen. Zum erstenmal war sein bewußtes Sein von dieser Wahrnehmung herausgerufen worden, als er nach seiner Wanderung um den See des Abends in die Kreuderstraße zurückgekehrt war. Jetzt wurde die Wahrnehmung deutlich und unabweisbar wie das zunehmende Licht für einen unwillig Erwachenden. An den geliebten Körper, den er noch nie unverhüllt gesehen hatte, vermochte er nicht mehr zu denken, ohne daß sich die Grimasse des Nischan dazwischen drängte. Mit dem Erschrecken eines Nachtwandlers, der über einem Abgrund angerufen wird, begann Wichmann seine Wünsche, die Marions schönen Leib umspannten, als etwas Niedriges zu empfinden. Er wurde das Wissen nicht mehr los, daß ein Nischan kichern würde, wenn seine Lippen die ihren suchten. Er zweifelte an sich selbst und rannte mit seinen Gedanken an der Möglichkeit vorbei, daß die Lüste seiner eigenen Nerven etwas mit denen des verhaßten schleichenden Spießers gemein haben, ja seine Maske annehmen könnten. Wie ein Schwarm Fliegen um ein stinkendes Aas tauchten für ihn um die Gestalt Nischans weitere Vorstellungen auf: Fräulein Hüschs naiver Triumph über Männer, die sie verrückt machen konnte – das Geschwätz der Kollegen und der Laura Lundheimer um Grevenhagens angebliche Eifersucht. Es gab für Wichmann nur eine einzige Stellung, von der aus er zu kämpfen und das Geschmeiß der Feindschaft und Klatschsucht abzuwehren vermochte, das war das Bewußtsein, daß er sich selbst untadelig verhielt. Er hatte sich in eine solche Rolle des völlig reservierten Verehrers schon mit einer beachtlichen Gewandtheit und Disziplin hineingespielt, seitdem seine Göttin vom Sockel gestiegen war und, sehr raffiniert gekleidet, mit der geschmeidigen Schönheit der Katze und der Kraft des Sex-Appeal, abweisend und anziehend durch ihr Schweigen und die Sicherheit der großen Dame – einen Kredit von zwanzigtausend Mark bei dem Assessor nachgesucht hatte. Das Bild der Dame und ihres schweigend verehrenden Ritters mußte er für seine Phantasie beibehalten. Es war sein Schutzschild, den er noch stärker machen, mit dem er sich selbst, Marion und ihr ganzes Haus vor den schmutzigen Anwürfen behüten wollte.