Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783957840127
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Glücklicherweise ändert das an den Tatsachen sehr wenig, und sie möchten uns eben doch gern küssen. – Ich hätte übrigens jetzt heiraten können.«

      »Wieder einmal?«

      »›Wieder einmal‹ ist liebenswürdig. Sie glauben also, daß ich schon Anträge hinter mir habe? Stimmt sogar. Aber diesmal ist es der erste Heiratsantrag, den ich als Berufstätige erhalten habe. Wenn ich ihn annehme, bin ich den ganzen Krempel hier los. Der Bewerber ist ein guter Mann, Geld hat er auch. Aber er ist langweilig. Nein, ich kann nicht mit ihm leben, ich kann’s einfach nicht. Wenn ich nur an die Familie denke! Sich womöglich noch die Kleider selber nähen vor lauter Solidität und Kinder kriegen und sonnabends die Schwiegermutter zum Kornkaffee? Also das ist nichts für mich. Ich hab’ ihm endgültig abgesagt.«

      »Warten Sie lieber, bis Korts Generaldirektor wird.«

      »Korts ist ja kleiner als ich, und tanzen kann er auch nicht. Wie soll ich ihn denn küssen? Stellen Sie sich das doch vor! Höchstens wie so ein Siegesengel, der ihm mit den Lippen von oben herunter auf die Stirn haucht. Das ist weniger mein Fall. Kennen Sie Schildhauf näher?«

      »Etwas aus dem Klub.«

      »Können Sie den Mund halten?«

      »Ich vermute es fast.«

      »Also dann will ich Ihnen sagen – aber behalten Sie’s für sich, er darf niemals erfahren, daß ich Ihnen so was erzähle – aber dem sein Kuß – so was hab’ ich noch nicht erlebt. Als wenn er mich anbeißen wollte. Schauen Sie – da – ich hab’ noch eine ganz blutige Stelle an der Lippe.«

      »Bemerkenswert, Gnädigste. Und er ist 1,79 groß.«

      »Hi – hä, wenn ich nur sicher wäre … aber …« Lotte Hüsch brachte den Satz nicht zu Ende und sprang zu einem anderen Thema über.

      »Kommen Sie heute abend zur Beförderungsfeier?«

      »Ich will mich nicht drücken.«

      »Das zeugt von Charakter. Es wird ziemlich blöde werden. Man kann aber schlecht wegbleiben. Grevenhagen ist auf den Abend schon vergeben, kommt aber für ein paar Minuten entweder zu Anfang oder zum Schluß. Hoffentlich sitzt der Nischan uns nicht dabei wie die Klette am Pelz. Wir haben ihn anstandshalber einladen müssen.«

      Wichmann war überrascht, wie ruhig er von nun an den Tag über blieb. Der äußere Zwang zur kollegialen Anerkennung des Glückes der anderen färbte auch auf seine Stimmung ab. Als Casparius zu ihm gekommen war, ein bißchen verlegen, hatte er ihm aus der Empfindung des Augenblicks heraus ehrlich versichern können, daß er froh sei, des Freundes besseres Recht nicht durch sein meteorgleiches Erscheinen auf der Liste gefährdet zu haben.

      »Ich hätte mir eine so rasche Ernennung nie in den Kopf setzen sollen, Kasper. Es mußte ja ein Irrtum bei der Sache sein. Das wird sich eben herausgestellt haben. Punktum, lassen wir’s, und denken wir daran, wie sich Frau Anna Maria freuen wird. Was schenkst du ihr denn vom ersten Regierungsratsgehalt?«

      »Ein Ringle hab’ ich gesehen, Aquamarin, das g’fiel mir. Kommscht du mit, wenn ich’s dann kauf?«

      Wichmann schaute einen Augenblick trübe vor sich hin, aber als der Freund auf diesen Gesichtsausdruck aufmerksam werden wollte, riß er sich rasch zusammen. »Ist’s noch nicht Zeit zur Tafelrunde in der ›Stillen Klause‹?«

      »Ja, gehen wir. Heut abend kommscht du dann gleich vom Dienscht mit uns?«

      »Wenn ihr mich in meinem schoflen Bürohabit in eurem erlauchten Kreise dulden wollt?«

      »O mein, Wichmann, deine Anzüg’ sind alle so beneidenswert neu und tadellos ang’messe … daß du in deinem ›Bürohabit‹ noch wie ein Gent unter uns wandelscht. Zwei Schwestern lasse sich halt in keiner Weise verleugnen.«

      Als es Nachmittag geworden war, verließ das Trio – bestehend aus Korts, Casparius und Wichmann – zuerst das Amtsgebäude. Heute war es Korts, der den beschwingtesten Schritt hatte, seine Augen glänzten, und seine Haltung war die eines Eroberers, der über unterworfenes Land zu neuen Eroberungen schreitet. In der Weinstube wurden die Herren von dem Oberkellner mit einem Lächeln empfangen, das gute Vorbereitung und vielleicht sogar irgendeine angenehme Überraschung verhieß. In dem Nebenzimmer war die Tafel für zehn Personen schon gedeckt.

      »Wollen wir die Tischordnung festlegen?«

      »Ha – nei … ’s setzt sich jeder grad so, wie’s kommt. Nur daß mir unserer Lotte Hüsch den Ehrenplatz an dem obere End lasse wolle – und Sie kommen natürlich an ihre grüne Seite, Robert Herr Teufel, wie Sie sich’s durch Ihre Karriere verdient habe. I darf Sie net so viel angucke, sonscht wird mir ganz schwindlig beim Anblick der Höhe, auf der Sie mit Ihre siebenundzwanzig Jährle schon wandeln. I muß mich direkt seelisch anseilen, damit mich’s net vor Erstaune in die Tiefe hinabnimmt.«

      »Sie brauchen keine Angst mehr zu haben, Kasper. Regierungsrat ist Regierungsrat. Eher bebt die Erde als die Pensionsgrundlage, auf der Sie jetzt stehen.«

      »Den kindlichen Glauben hat meine Frau auch noch. Hoffen wir, daß wir damit durch alle Fährnisse durchsteuern können.«

      »Was heißt Fährnisse?«

      »Ha no … ich hör’ in meinen Träumen als doch den Musa singe! Wehe – wehe – Verderben! Aber erst wolle mir noch einmal kontrolliere, was für ein Wein uns und unseren Gästen für heute abend zugedacht ischt.«

      Die Besprechung mit dem Kellner ergab, daß alles in Ordnung war, und sein Schmunzeln, das immer deutlicher wurde, verriet noch mehr. Er winkte den Herren, nahm sie in den Schankraum mit, zu dem sonst kein Zutritt gegeben wurde, und wies auf ein Dutzend Flaschen Auslese, Jahrgang 1921, hin, die hier bereitstanden. »Das hat ein Herr Dr. Grevenhagen bestellen und bezahlen lassen. Und zwei Kisten Zigarren extra. Feines Kraut. – Wenn ich fragen darf – was ist der Herr?«

      »Ministerialdirigent. Nobel, nobel … wie’s sein muß.«

      »Er gehört zu den Beförderten und muß also spendieren!«

      »Ha, dann müsse mir ihm ja mindeschtens des untere Tafelende frei lasse.«

      »Wenn wir schon mit dem Freilassen anfangen, wollen wir lieber gleich die ganze Tischordnung machen«, plädierte Wichmann.

      »Um Vorschläge wird gebeten!«

      Der Festausschuß stand nachdenklich bei dem langgestreckten gescheuerten Tisch.

      »Also am Kopfende beim Fenster die Lotte«, bestimmte Wichmann, »links von ihr als Tischherr Robby, soviel steht fest – und rechts von der Dame wirst du plaziert, Kasperl, dann haben wir die drei Glücklichen auch gleich beieinander. Am unteren Ende Grevenhagen mit den Würdenträgern – rechts von ihm Nischan, links Meier-Schulze – und dazwischen das nicht beförderte Gerümpel minderen Werts: Borowski, Loeb – und meine Wenigkeit.«

      »Du hascht heut einen wirklichen Opfergeischt, Wichmann. Dazwischen hinein willscht du sitze?«

      »Mit selbstpeinigender Demut und gewissen Absichten – laß mich nur.«

      »Na nu? Ha, laß dich nur net störe auf deine Schleichweg. Schad, wenn mir die Tischordnung früher g’wußt hätte, hätt’ mer Kärtle mache könne – einen Dirigenten – einen Napoleon als Oberregierungsrat – den braven Kaschperl, der ich bin, und unser schönes Annerl – Wichmann, was wischperscht du denn da?«

      Der Angerufene stand beim Ober und redete mit Flüsterworten und für andere unverständlichen Handbewegungen auf ihn ein. Der Kellner grinste jetzt verständnisvoll. Er war ohne Zweifel bereit, alles zu bewerkstelligen, was Herr Dr. Wichmann, Stammgast des Lokals und Ursache des zunehmenden Beamtenbesuchs, nur irgend verlangen konnte.

      Wichmann kam zu den Kollegen zurück. »Nur ein paar kleine Wünsche rechtzeitig an den Mann gebracht.«

      Der Einzug der Festteilnehmer begann.

      Nischan erschien mit allen Referatsangehörigen, zugleich kam Fräulein Hüsch. Die Begrüßungen,