Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783957840127
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lebhaft vorstellen.«

      »Aber der Grevenhagen, das ischt ein edles Pferd, früh und scharf dressiert, der läßt sich hetzen und wird leicht nervös. Was mir zum Beispiel nie passiere kann.«

      »Wir werden Sie schon auf die Beine bringen!« drohte Korts. »Im ›Abendland‹ wird bekanntlich gearbeitet …«

      »Allah il Allah und Mohammed ischt sein Prophet!«

      »Mit Ihrer orientalischen Ruhe ist’s jetzt aus, Herr Casparius, wenn Sie zu uns in den Westflügel herüberkommen. Unser Chef sorgt auch bei Ihnen für Tempo!«

      »’s isch ein Jammer. Ja.«

      Die Treppe des großen Amtsgebäudes wurde erstiegen. Alle grinsten noch ein wenig, als man sich verabschiedete.

      »Ich komme gleich zu Ihnen hinüber, Herr Regierungsrat Korts, damit wir anfangen können.«

      »Ich auch, Herr Korts!«

      »Ja schön … über meinen einen Klubsessel müssen sich die Herren dann eben einigen.«

      Als Wichmann das Zimmer des Kollegen betrat, fiel ihm sofort der größere Raum und die gediegenere Ausstattung auf, die dieses Dienstzimmer von dem seinen unterschieden. Der Blick ging auch in den Hof, aber der Sammetbezug der Stühle und des einen Sessels, der kleine Teppich, der riesige Schreibtisch verrieten die ehrgeizige Lebenstüchtigkeit des Insassen. Korts hatte seinen Schreibtischsitz mit den Armstützen gedreht; er legte die Ellbogen auf die Lehnen und faltete die Hände vor dem Leib wie Boschhofer, nur daß er zur Zeit noch schlank genug war, um die Finger ineinander zu stecken. Seine kleine, stramme Figur, der kurze Hals mit dem stiermäßig starken Nacken, die große Stirn, die gebogene Nase versuchten Wichmann, Korts im stillen »den Korsen« zu nennen.

      Für Casparius war der Klubsessel frei geblieben, und der »Orientale« versank mit unverhohlenem Behagen darin.

      »Oh … der Ehre …«

      Keiner horchte mehr mit Aufmerksamkeit auf die einleitenden Witze. Man war bald in der Arbeit, und Korts führte unbestritten die Diskussion. Alle empfanden wohltuend, daß sie an Intelligenz einander auf gleicher Ebene begegneten und kein schlechtes Pferd in dem Dreigespann war. Die gemeinsame Aufgabe wurde geteilt, um jedem die größtmögliche Selbständigkeit zu lassen. Wichmann bewarb sich um den schwierigsten und vielseitigsten Teil der gemeinsamen Arbeit und erhielt ihn von Korts schnell zugesagt. Später stellte sich heraus, daß der Korse sich hier überrumpelt fühlte, und Wichmann bot den Verzicht an, den der Regierungsrat aber mit rotem Kopf strikt ablehnte. »Nein, bitte, behalten Sie nur. Behalten Sie nur!«

      Kein Mitglied des Trios hatte das Hinstreichen der Zeit bemerkt, als der Herbstabend schon dunkelte und Korts die Schreiblampe auf den runden Tisch hinüberbringen mußte.

      Die Reinemachefrau öffnete zum zweiten Mal »aus Versehen« die Tür, da entschlossen die Herren sich endlich, für heute abzubrechen. Als sie beim gemeinsamen Weg zum Abendessen vom Königsplatz aus noch einmal die Front des Ministeriums hinaufblickten, waren die Fenster Grevenhagens schon dunkel; im Vorzimmer aber brannte noch immer die helle Hängekugel.

      Wichmann lud in die kleine Weinstube ein, die den beiden Kollegen noch unbekannt war.

      Der Kellner empfing den zum zweiten Mal Erscheinenden als künftigen Stammgast und war aufmerksam. Der Tisch, den Wichmann am ersten Abend innegehabt hatte, war auch heute frei und fand die Billigung von Korts und Casparius. Man legte ohne Eile ab und gruppierte sich auf Wandbank und geschnitzten Stühlen um die gescheuerte Platte. Die Unruhe der Straße und das freche Licht der Bogenlampen und flimmernden Reklamen waren durch dichte Fensterbehänge ganz ausgeschlossen. Ungestört leuchtete der Holzleuchter mit matten Birnen im Raum. Die braune Holzverkleidung der Wände, die dunkelbraunen Dielen, das helle Holz der Tischlampen und die getäfelte Decke gaben die unauffällige Farbstimmung, in der sich Menschen gern zur Erholung niederließen. Wie der Anblick eines Steines das Gefühl der Kälte hervorrufen kann, so gab die Umgebung des Holzes den Nerven die entgegengesetzte Schwingung sanfter Wärme. Das bedächtige Erzeugnis alter Wälder, das die Temperatur nur langsam wechselte und ihre Ausschreitungen dämpfte, lieh dem Raum und den Menschen von seiner Ruhe. Wichmanns Spannung löste sich.

      Das wortlose Studium der Speisekarte bereitete Kräftigung vor. Der Kellner näherte sich nach geduldigem Warten und verstand stumme Fingerzeige. Seine Mienen verrieten, daß er die Wahl der Gäste billigte; ein Achselzucken oder hochgezogene Augenbrauen veranlaßten ihn zu zurückhaltender Empfehlung des guten Tropfens, der preiswert war. Wichmann bestellte die erste Flasche.

      Man lehnte sich bequem an und beobachtete ohne Anstrengung oder Interesse die wenigen Gäste, die schon still für sich speisten. Die Suppe war gut; sie entsprach einer traditionsreichen Landschaft und schmeckte mehr nach Hausfrauenart als nach einem Erzeugnis aus riesigen Kesseln. Bei Spätzle und Rehrücken wachte der Urinstinkt des Hungers auf. Die Trübnis ermüdeter Augen verschwand, und die Gläser wurden zum erstenmal gehoben. Den anschließenden Verzehr von Brot und Käse konnte man, ohne Hast, lange Zeit hin fortsetzen. Korts bestellte die zweite Flasche.

      Wichmann schwamm in den Gefühlen eines Schiffers mit gutem Wind und guter Fahrt. Die Nachricht, daß er auf der Liste der zu Ernennenden stehe, hatte sein Selbstgefühl in ein angenehmes Fluten gebracht, und obwohl er sich zum hundertsten Male die Haltlosigkeit des Gerüchts selbst vorhielt, war seine Phantasie doch schon mit der angenehmen Möglichkeit beschäftigt. In reizvollen Zügen ließ sich das Bild von der Überraschung und Bewunderung malen, die rasches Vorwärtskommen bei der Familie, bei den Freunden daheim und bei dem »Alten Herrn«, dem Corpsbruder des Vaters, auslösen mußte, der Wichmann die Berufung in das Ministerium verschafft hatte. Die Anschrift »Herr Regierungsrat Dr. Oskar Wichmann«, die der Füllhalter des niedlichen Tanzstundenfräuleins dann mit den gar nicht zu ihr passenden klobigen Buchstaben auf blaues Papier drückte, der Glückwunschbrief der älteren Schwester, die Freude der jüngeren, der Lieblingsschwester, die ein wenig neidischen Schulkameraden, das alles floß für Wichmanns Vorstellungen zu einer Harmonie zusammen, wie die Masern des Holzes, deren Schlingen und Wege er eben mit den Augen verfolgte. Vielleicht war für Casparius doch auch noch eine Stelle frei. Er jedenfalls mußte zunächst für sich selbst sorgen. Auch brauchte ihm Korts, der zum Oberregierungsrat vorgeschlagen war, nicht mehr als eine Stufe voranzugehen.

      Wichmann fand nichts Arges dabei, in dieser Weise an seine beiden Tischnachbarn zu denken, während er die Zunge mit dem Geschmack des guten Tropfens netzte. Er mochte seine Kameraden gern; die drei waren durch die gemeinsame Arbeit schon zu einer Art »Stallgefährten« geworden, was nicht hinderte, daß sie auf der Rennbahn konkurrierten. Es umschloß sie als Band, für eine wichtige und befriedigende Aufgabe von einem sachlich anspruchsvollen Vorgesetzten ausgewählt zu sein, und sie hatten ihre Fähigkeiten gegenseitig schätzen gelernt; jetzt probten sie aus, ob sie auch abseits des Dienstbetriebes paßten.

      Als Wichmann die dritte Flasche Wein in die Gläser schenkte, kam ihm in dem goldgelben Spiegel auf einmal eine sonderbare Schau. Er sah das Schicksal als einen borstenhaarigen Mann auf einem Schreibtischstuhl, wie es mit ungeschickten Fingern ein Rätselspiel zu lösen versuchte. Die Blättchen in den sinnlosen Formen, die zusammengelegt ein Bild ergeben sollten, paßten noch nicht ineinander, das eine hatte eine Ecke zuviel, das andere war zu rund. Das Schicksal mußte zusammenwerfen und von neuem anfangen. Was man beim Wein so dachte!

      Korts war großzügig; er bestellte bei der vierten Flasche eine teure Marke. Casparius, der drei Kinder hatte, wurde von den Spendeverpflichtungen befreit.

      »Drei, Herr Casparius? Sie haben sich aber beeilt.«

      »Ha nei, Herr Regierungsrat in spe, des hab’ ich also gar net nötig ghabt, mich zu beeile. Ich hab’ allerdings gheiratet in einem Alter, in dem Sie erscht der Fräulein Hüsch eine Krokodilledertasche aufhebe und dabei noch rot werde! Infolge der Anstrengung des Bückens und der Senkung des Kopfes, die Ihnen einen näheren Ausblick auf seidenbestrumpfte Knie gestattet! Aber als ich in den Hafe gfahre war, der gegenwärtig infolge dreifacher Bemühung ein ziemlich wohlriechender geworde ischt, da hab’ ich ein paar Jährle in aller Geduld gwartet, und dann hat meine Frau das auf ein Hieb … oder Sitz, oder wie man passenderweise sagt, gemacht und