Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783957840127
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zurück. Die Sonnenstrahlen über den Ulmenspitzen drehten sich schon nach Süden zu.

      Er saß einen Augenblick vor der gelblichen Wand, ohne etwas zu tun. Seine Nerven zitterten noch wie Saiten, auf denen eben gespielt worden ist.

      Grevenhagen hatte Mut, es mit diesem Manne aufzunehmen, und seine eigene Karriere schien er jedenfalls ganz ohne Rücksicht dabei aufs Spiel zu setzen. Doch wer wußte? Vielleicht wurde Grevenhagen »der« Mann des Staatsministeriums und rechnete mit einem Sieg? Zur Zeit galt er jedenfalls wieder als der unentbehrliche »Herr Kollege … die ganze Abteilung steht zu Ihrer Verfügung«. Das grüne Fragezeichen schien vergessen zu sein. Was würde Boschhofer dem Herrn Staatssekretär um elfeinhalb Uhr darüber erzählen? War der dicke Josef überhaupt zum Staatssekretär bestellt? Wichmann beschlich eine dunkle Ahnung, daß begrabene Fragezeichen nur scheintot waren; er fühlte die ungelöste Feindschaft wie elektrische Spannungen, die sich eines Tages doch noch entladen mußten.

      Der Assessor arbeitete heute langsamer als am vergangenen Tage. Irgendein Hindernis war in das Getriebe seiner Gedanken geraten, die Räder liefen widerwillig, als ob Sand dazwischen knirschte. Die verfluchten Intrigen! Dabei sollte man sachlich arbeiten?! Ein Tollhaus … wie die Lotte Hüsch gesagt hatte. Vielleicht wurde er auch noch von dem Mann mit der Grenadierhaltung als Zeuge für den unsträflichen Dienstwandel dieses Mädchens bemüht … z. K.

      Zum Kotzen, zum Kofferpacken – zur Kenntnis.

      Zur Kenntnis. »… würde eine solche Zusammenlegung und Vereinfachung auf der anderen Seite auch wieder Schwierigkeiten und Komplikationen ergeben …«

      Schwierigkeiten und Komplikationen …

      Welcher Art denn? Dieses schriftliche Altweibergeschwätz!

      Niete – Strich – fertig.

      Wichmann kam allmählich wieder in Eifer.

      Das Telefon schrillte. Es war sicherlich eine Base des unverschämten Weckers.

      »Ja … sofort.«

      Weg mit Schriftwechsel und Erlassen, die blaue, Mappe unter den Arm!

      Als Oskar Wichmann, durch das Vorzimmer durchgeschleust, bei seinem Vorgesetzten eintrat, fand er Grevenhagen nicht an dem Schreibtischplatz. Der Ministerialrat ging auf und ab; er warf eine erst halb gerauchte Zigarette in den Aschenbecher und zündete die nächste an.

      »Sie wollten mich sprechen, Herr Dr. Wichmann?«

      »Um diese Blätter zurückzugeben, Herr Ministerialrat.«

      »Mein Exposé – wie kommen Sie dazu? Herr Ministerialdirektor Boschhofer hat es Ihnen wieder ausgehändigt? Danke. Haben Sie etwas dazu zu bemerken?«

      »Die Zahlenreihen bestätigen Ihre Auffassung.«

      Grevenhagen nickte flüchtig und verschloß Mappe samt Inhalt in seinem Diplomat.

      »Sie haben gehört, daß die Reform der Verwaltungseinteilung beschleunigt betrieben werden soll. Sie werden auch mitarbeiten müssen. Um zwölf Uhr finden Sie sich bitte mit Herrn Korts und Herrn Casparius bei mir ein. Und … daß ich nicht vergesse … Ministerialdirektor Boschhofer hatte offenbar einen guten Eindruck von Ihnen. Sie haben jederzeit unmittelbaren Zutritt zu ihm. Nur wenn eine Besprechung sich um Fragen meines Arbeitsgebietes dreht, bitte ich, mich von ihrem Inhalt nachträglich zu unterrichten.«

      Oskar Wichmann fühlte wieder die Hitze in den Schläfen.

      »Herr Ministerialrat. Ich bitte überhaupt und in jedem Falle berichten zu dürfen. Ich … ich …«

      »Bitte?«

      »Es war heute morgen von dem Exposé die Rede. Ministerialdirektor Boschhofer legte mir eine Abschrift vor.«

      »Sie haben gesagt, daß Sie es kennen?«

      »Ja.«

      »So … darum. Sie haben doch strengste Verschwiegenheit bewahrt? Ich bat Sie, die Sache vertraulich zu behandeln.«

      »Ich habe nichts und zu niemandem davon gesprochen.«

      »Schon gut.«

      »Herr Ministerialdirektor Boschhofer …«

      »Ja?«

      »… fragte mich, wer ein Interesse an einem wirtschaftlichen Zusammenbruch haben könne …«

      »Interesse? Interesse ist gut. Was haben Sie geantwortet?«

      »Daß niemand ein Interesse daran habe …«

      »Sehr richtig.«

      »Ministerialdirektor Boschhofer hat das notiert.«

      Grevenhagens Lippen verzogen sich; wer wollte, konnte Spott darin lesen. »Und haben Sie sich zu dem grünen Fragezeichen geäußert?«

      »Ich wurde lediglich nach einem roten gefragt.« Wichmann konnte seine plötzlich aufsteigende Lachlust nicht ganz unterdrücken. »Herr Ministerialdirektor Boschhofer schrieb in meiner Gegenwart in die Kopie – ein rotes Fragezeichen an dieselbe Stelle.«

      »Nun – und?«

      »Ich vermutete, daß er mich damit hereinlegen wollte.«

      Grevenhagen machte eine rasche Wendung und sah Wichmann voll an. Zwischen seinen Fingern glühte die Zigarette.

      »Ich verstehe nicht ganz, Herr Assessor …«

      »Der bezweifelte Satz ist sachlich einwandfrei. Ich nahm an, daß mich Boschh …« der Assessor stockte unter Grevenhagens Blick »… daß mich Herr Ministerialdirektor Boschhofer lediglich prüfen wollte.«

      »So. Ich danke. Wir sehen uns um zwölf Uhr wieder.«

      Wichmann ging in höflicher Haltung rückwärts durch die Tür. Er war sich bewußt, nicht alles und das, was er gesagt hatte, nicht so gesagt zu haben, wie es der vollen Wahrheit entsprach. Woran lag das? Es war sein Wunsch gewesen, Grevenhagen zu unterrichten und sich zu entlasten. Das war ihm nicht gelungen.

      Wichmann blieb noch eine halbe Stunde Zeit, Schriftstücke und Verordnungen durchzusehen. Der Deuwel mochte sich künftig mit dem grünen Fragezeichen schmücken oder es seiner Großmutter zum Geburtstag schenken. Wichmann war froh, daß er es nicht mehr zu sehen brauchte.

      Als die drei Herren um halb eins aus der Besprechung bei dem Ministerialrat kamen, strahlte der stämmige Korts und stellte seine Ohren.

      »Donnerwetter … Kinder, das gibt einen Betrieb … damit können wir Wellen schlagen! Ausgezeichnet … gefundenes Fressen für Grevenhagen … Wir treffen uns doch um ein Uhr in der ›Stillen Klause‹? Also dann bis nachher!«

      Bei der Mittagsrunde fand sich Wichmann zur eigenen Überraschung als Zielpunkt der allgemeinen Wißbegier. Fräulein Hüsch hatte ihn gewürdigt, ihr unmittelbarer Tischherr zu werden. Er hatte das Vergnügen, die Krokodilledertasche aufzuheben, wenn sie vom Schoße, den ein Kostümrock eng umspannte, zu den Füßen mit den hochgestellten Fersen glitt. Er mahnte den Kellner, der die Zitronenlimonade nicht schnell genug brachte. Fräulein Hüsch versicherte ihn ihrer ausgesprochenen Huld:

      »Wirklich nett von Ihnen, daß Sie gleich zu dem Baier gegangen sind und ihm erzählt haben, daß ich um neun Uhr im Dienst war … wirklich reizend von Ihnen. Der Trottel hat ordentlich Mut bekommen und ist gleich auf den Pöschko losgegangen! Es soll einen wunderbaren Krach gesetzt haben! Hätt’ ich dem Trottel gar nicht zugetraut. Aber von Ihnen war das wirklich reizend.«

      Wichmann durfte tief in die weiblichen Augen blicken. »Ich freue mich natürlich Ihrer Zufriedenheit, gnädiges Fräulein.«

      »Ham Sie schon gehört, daß Sie auf der Liste stehen?«

      »Auf einer ›schwarzen‹?«

      Zahlreiche Ausrufe und allgemeines Gelächter belehrten Wichmann, daß er einen unfreiwilligen Witz gemacht hatte. Boschhofer galt als »Zentrumsmann«, als »schwarz«.

      »Wie ham Sie das bloß gemacht? Gestern