Abb. 5 (3 %) Gutes Formniveau
Abb. 6 (7 %) Gutes Formniveau
Abb. 7 (17 %) Ansehnliches Formniveau
Abb. 8 (17 %) Ansehnliches Formniveau
Abb. 9 (7 %) Mittelmäßiges Formniveau
Abb. 10 (7 %) Mittelmäßiges Formniveau
Abb. 11 (26 %) Im wesentlichen niedriges Formniveau
Abb. 12 (26 %) Im wesentlichen niedriges Formniveau
Abb. 13 (7 %) Eindeutig niedriges Formniveau
Abb. 14 (7 %) Eindeutig niedriges Formniveau
Abb. 15 (7 %) Sehr niedriges Formniveau
Rhythmus und Regelmaß, Integration und Fluktuation
Wie alle Lebensprozesse folgen die wechselnden Phasen von Kontraktion und Entspannung nicht mit mechanischer Präzision aufeinander, sondern in einer komplexer geordneten Abfolge, die aus der gleichzeitigen Wirksamkeit der zwei einander entgegengesetzten Prinzipien von Wiederholung und Wechsel resultiert: Ähnliche, nicht identische Intervalle folgen aufeinander; ihre Variationen zeigen wiederum eine mehr oder weniger starke Tendenz, sich in gleichen Intervallen zu wiederholen; diese Wiederholung unterliegt einer Gegentendenz, die sie in Einheiten mehr oder weniger schwankender Länge auftreten läßt, und so weiter. Diese Eigenart der Kontraktions-Entspannungs-Zyklen verbindet sie mit allen Phänomenen, die sich in der Dimension der Zeit mittels eher einer ihnen eigenen strukturellen Ordnung als eines ihnen bloß auferlegten abstrakten und starren Prinzips der Zeiteinteilung ausprägen. Indem sie die divergierenden Prinzipien von Periodizität und Fluktuation wieder miteinander in Einklang bringt, ist diese strukturelle Ausprägung im wesentlichen identisch mit dem, was in der Musik »Rhythmus«, in Abgrenzung zu ihrer »Zeit« oder ihrem »Taktmaß«, genannt wird: Das »Taktmaß«, an sich nur ein abstraktes und statisches Prinzip, das identische Unterteilungen der zeitlichen Bahn markiert, in der ein Musikstück vorangeht, korrespondiert nichtsdestoweniger mit einem der beiden Prinzipien des Rhythmus, dem der Wiederholung; doch es ist nicht identisch mit dem Rhythmus der Musik an sich, der mit wechselnden Mitteln, wie etwa der Synkopierung, ihrem zweiten Prinzip, dem des Wechsels, folgt, um der Gleichförmigkeit als dem Element des ersten Prinzips gegenzusteuern. Indem so das Taktmaß das sich Wiederholende identischer Unterteilungen zur Variation innerhalb jedes wiederholten Zeitmaßes benutzt, ist es integriert in den und zugleich der belebende Effekt des hervorgebrachten »Rhythmus’«.
Wenn wir diesen Gedanken auf die entsprechenden Elemente der Schreibtätigkeit anwenden, begegnen wir dem starren Wiederholungsprinzip auf seiten der Kontraktions-, dem des Wechsels auf seiten der Entspannungsbewegungen. Visuell wird das schon durch die einfachste Form ihrer Abfolge schlagend nahegelegt, eine Reihe von Auf- und Abstrichen wie in kleinen ns und ms, wo die druckbetonten Abstriche die synästhetische Wirkung eines »Taktschlags« haben. Der Schreibprozeß ist um sie zentriert: Wenn wir alle Abstriche auslöschen, wird der Rest kaum mehr das Aussehen einer Handschrift aufweisen; löschen wir stattdessen alle Aufstriche, wird sich nicht nur der allgemeine »graphische« Charakter des Rests, sondern sogar seine Lesbarkeit im wesentlichen bewahrt finden (Abb. 16). Da sich die Kontraktionen so als die eigentlichen unmittelbaren Ansatzpunkte der Schreibbewegung in jedem ihrer Abschnitte erweisen, scheinen sie offenbar ein Prinzip der bewußten willentlichen Kontrolle darzustellen, von dem man sagen kann, daß es den Weg für die Schreibtätigkeit als Gesamtprozeß bahnt, und auf das sich die Entspannungsimpulse, um sich in die zusammenhängende Bewegung einzuordnen, »einzustellen« haben. Diese Konstellation zieht zwei Schlußfolgerungen nach sich. Erstens kann man annehmen, daß die Kontraktionsbewegungen die bewußt ausgeübten Funktionen der willentlichen Kontrolle, die Entspannungsbewegungen hingegen die Anpassungsfähigkeit des Lebensprozesses als ganzem hinsichtlich dieser Kontrolle zeigen; an den Entspannungsbewegungen erweist sich so die emotionale Reaktionsfähigkeit der Persönlichkeitsstruktur als durch seine unbewußten Schichten bestimmt. Je größer, zweitens, die Konstanz der der Bewegung auferlegten Kontrolle sowohl in ihren eigentlichen kontraktiven Anteilen als auch in ihren Intervallen ist, desto »regulierter« erscheint die Handschrift und als desto »kontrollierter« kann man den Schreiber erwarten; je geringer diese Konstanz und je freier fließend folglich die Handschrift ist, eine desto größere Spontaneität kann man entsprechend auf seiten des Schreibers gewärtigen.
Abb. 16 Beziehungen der Abstriche zur Grundstruktur
Klages’ Dichotomie von »regulierten« und »rhythmischen« Handschriften, die disharmonischen und harmonischen Persönlichkeiten entsprächen, vereinfacht diese Situation zu stark, und genau gegen diesen Bereich seines Systems fühlt sich der Verfasser genötigt, Einwände zu erheben, da die Differenz der Konzepte weder eine bloß technische noch eine terminologische, sondern eine höchst grundlegende ist. Die ganze »vitalistische« Denkschule, in Frankreich von Bergson, in Deutschland von Klages angeführt, interpretierte Bewußtsein an sich als eine störende Kraft im freien Spiel der Impulse, als eine gegen das Leben und den Lebensrhythmus selbst gerichtete Kraft. Entsprechend dieser Grundansicht verfiel Klages darauf, Ausdrucksbewegungen, die einen hohen Grad an bewußter Kontrolle aufweisen – wie z. B. »regulierte Handschriften« –, ohne Rücksicht auf die Art der aufgewiesenen bewußten Kontrolle als symptomatisch für mangelnde Integration anzusehen. Wie nunmehr offensichtlich, verallgemeinert Klages’ Bewußtseinsbegriff Beobachtungen, die nur für den spezifischen Typ oder Fall bewußter Kontrolle, wie er gewöhnlich mit dem Ausdruck »Selbstbewußtsein« angesprochen wird, gelten; die behindernden Wirkungen, die selbstreflexive und introspektiv-beobachtende Haltungen auf emotionale und motorische Impulse ausüben, sind allgemein anerkannt und wurden hinsichtlich ihres spezifischen Einflusses auf Ausdrucksbewegungen in einem früheren Kapitel diskutiert. »Bewußtsein« aber meint über diese Umkehrung seiner normalen Richtung hinaus in erster Linie das Gewahrsein eines und die Konzentration auf ein äußeres Erkenntnisobjekt oder einen Gegenstand des Willens; bei normalen Abläufen ist es einfach ein notwendiges Attribut der Ausgerichtetheit des menschlichen Organismus auf seine Ziele, und als solches qualifiziert und bedingt es einen spontanen Affektfluß eher als ihn zu behindern. »Bewußter Kontrolle« einen desintegrierenden Effekt zuzuschreiben sollte folglich auf solche Ausdrucksbewegungen beschränkt werden, die eine Affekt-unterdrückende Entfaltung solcher Kontrolle erkennen lassen; oder die, allgemeiner gesagt, einen Konflikt anzeigen, der einem Unvermögen der emotionalen Impulse geschuldet ist, bewußten Willen in seinen gewählten Richtungen auszuhalten. In der Schreibbewegung manifestiert sich eine Situation dieser Art nicht notwendig durch »Regelmäßigkeit«, die von sich aus nur die Konsistenz zeigt, mit der bewußte willentliche Kräfte sich entfalten; vielmehr äußert sie sich durch Schwierigkeiten der Koordination – in Form entweder übermäßig unvermittelter oder übermäßig verwickelter Striche –, die aus einer mehr oder weniger ausgeprägten Unfähigkeit des Organismus herrühren, sich diesen Kräften anzupassen. Solche Schwierigkeiten bringen es mit sich,