Altstadt-Blues 2.0. Waltraut Karls. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Waltraut Karls
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783961455577
Скачать книгу
ein bisschen um die federnde Leichtigkeit, das Leben so locker zu genießen. Na ja, jedenfalls mit ihr, konnte sie heute wohl nicht rechnen.

      Angelika Strobel (genannt Angie, ehemalige Kommilitonin)

      Eine witzige Person. Immer gut drauf, immer viel zu tun, ständig neu verliebt und irgendwelche Dates, weiblicher Hansdampf in allen Gassen und Mittelpunkt jeder Party. Gemeinsam hatten sie drei Semester lang Kunst an der Uni studiert, bevor Angie die Lust verlor und schnell Kohle verdienen wollte. Keiner verstand sie, die gesegnet war mit hohem kreativem Potential, doch sie scherte sich nicht um die Meinung anderer oder ihre künstlerische Begabung und nahm kurz entschlossen, den vakanten Job in einem exklusiven Dessousladen der Altstadt an, mit dem sie immer noch zufrieden schien. Schafften sie es mal, gemeinsam etwas zu unternehmen, war es meist sehr lustig und immer beschlossen sie beim Abschied, es baldmöglichst zu wiederholen. Dabei blieb es dann auch. Es sei denn, Mona rief an. Dabei war sie sicher, dass es kein böser Wille Angies war. Ihr letztes Treffen lag fast drei Monate zurück. Die ehemalige Studienfreundin erinnerte Mona an einen schillernden Schmetterling. Mal hier oder dort naschen und schnell wieder weiterflattern. Von klein auf, auch bei den Eltern den Part des Enfant terrible ausfüllend, machte Angie keinen Hehl aus oft wechselnden Affären. Erzählte laut und sehr offenherzig über heiße Erlebnisse mit OneNight-Stands, Quickies&Co. Zweifellos sehr amüsant zum Zuhören, aber manchmal war es Mona echt peinlich gewesen, obwohl sie rein gar nichts damit zu tun hatte. Doch Angie selber? Fehlanzeige! Besonders, wenn sie von speziellen Vorlieben des aktuellen Lovers mit dem supergroßen…

      »Dingsbums oder ihren multiplen Orgasmen« schwärmte und die Leute am Nachbartisch die Ohren spitzten oder die Stirn runzelten. Entweder, weil sie es anstößig fanden oder sich nähere Details erhofften nach diesem Auftakt, und sich dann umdrehten, weiter weg oder näher heran rückten.

      »Nur der Neid der Besitzlosen«, kommentierte Angie dann meist kaltschnäuzig, als Krönung auch noch halblaut, dieses Schwanken zwischen verschämter Neugierde oder empörter Pikiertheit. Durchaus möglich, dass sie gestern Abend wieder einen Typ kennengelernt hatte und heute frisch verliebt, den ganzen Tag über mit ihm Bett und Tisch auf maximale Belastbarkeit testete, wie sie es wohl des Öfteren praktizierte.

      Bei Timo könnte sie vielleicht noch anklingeln. Aber leider war auch er nicht zu Hause, nur der Anrufbeantworter quakte. Sie sprach ihm zur Identifizierung,

      »Viele Grüße von Mona! «, darauf, weil er es ebenso wenig mochte wie sie, wenn später beim Tüttüt-Abhören, das Rätseln um den Anrufer losging.

      Timo König (Kommilitone und Studienfreund)

      Timo König, ein sympathischer Kommilitone und inzwischen guter Freund, war seit acht Monaten ebenfalls Solist im Beziehungsreigen. Nach der dramatischen Trennung von Exlover Damian, der ihn im Jahr zuvor während der Love-Parade im Berliner Tiergarten, erst angerempelt und dann angetörnt hatte. Er hatte ihn Mona in bunten Farben geschildert, bevor beide kurze Zeit später, Arm-in-Arm am Rheinufer ihren Weg kreuzten.

      Doch das ungleich buntere Berliner-Original mit grünlila Strähnen im Haar und in fetzige Hauptstadtklamotten gewandet, hinterließ damals bei Mona eher den Eindruck eines personifizierten Vorwurfs gegenüber Timo. Seine tief gekränkt wirkende Mimik erschien ihr absolut nicht stimmig zum schrillen Paradiesvogeloutfit. Den Grund für das endgültige Zerwürfnis vertraute ihr Timo nach Ende der Zweisamkeit dann ausführlichst, aber unter absoluter Geheimhaltungsstufe an. Mona musste sich dabei ernsthaft zusammenreißen, um nicht laut loszuprusten. Dieser Damian hatte ihm einige heiße Dessous aus seinem siebziger Jahre Lieblingsladen ›Engelke‹ in der Berliner Kantstraße, als Geschenke offeriert. Neben einem Lederkorsett mit ausgesparter Öffnung für eventuelle Brustwarzenpiercings, auch drei, extra auf Timos Größe maßgeschneiderte, französische Ouverthöschen in Lilaviolett, Ochsenblutrot und Blauglitzerschwarz.

      Jedes Mal, sobald Timo die Wohnung allein verlassen wollte, bestand Damian darauf, dass Timo eines dieser delikaten Teile auf der Haut tragen sollte, um ihm näher zu sein. Als Timo sich weigerte und auch nicht auf dessen Intimrasur- oder Piercingwünsche einging, sah Damian darin einen eklatanten Liebesverrat, der zunehmend eskalierte. Zur Rettung ihrer maroden Beziehung waren sie am Ende zusammen in Damians Heimat nach Berlin, auf seinen besonderen Wunsch hin sogar getrampt; hatten im originellen Hutladen in der Giesebrechtstraße, Kaffee getrunken; in der ›Disco 90 Grad‹ zu heißen Rhythmen getanzt und waren durch originelle Kneipen im Nikolaiviertel gezogen. Gemeinsam teilten sie sich eine riesige Schweinshaxe in der Rekonstruktion des angeblich ältesten Wirtshauses, ›Zum Nussbaum‹ (erste Version von 1507); waren dann weitergezogen zum Haus des betrunkenen Froschs, ›Zum Paddenwirt‹, und am Ende, ebenfalls volltrunken in der Kneipe, ›Zur letzten Instanz‹, gelandet, wo scheidungswillige Paare sich angeblich immer beim Bier versöhnten. Ihnen beiden war die Aussöhnung leider trotzdem nicht geglückt.

      Als Timo zurück nach Mainz fuhr, war Damian in Berlin geblieben. Dort fand er auf Empfehlung eines Bekannten sofort Unterschlupf in einer Wagenburgkolonie für Aussteiger, wo jeder einhundert Euro monatlich zahlen musste, für einen Wohnwagen mit Komposttoilette auf einer Parzelle. Timo schickte seinem Exlover umgehend die Habseligkeiten, inklusive der heißen Geschenkartikel dorthin nach. Anschließend pflegten sie keinerlei Kontakt mehr bis vor einem Monat, als ihm eine Ansichtskarte von der Insel Formentera ins Haus flatterte, wo Damian inzwischen angeblich als Maler lebte. Erst nach dieser Trennung hatten Mona und ihr Kommilitone sich so richtig angefreundet.

      *

      Kein Wunder, bei diesem schönen Wetter hatten alle etwas geplant, nur sie nicht. Sonn- und Feiertage stellten wirklich die schlimmste Herausforderung für Singles dar. Pärchen waren mit sich beschäftigt. Verständlich. Paare mit Kids schwelgten fröhlich in happy family, manche aber auch nicht! Kinderfeste, Karussells, Schwimmbad oder gemeinsame Ausflüge, danach stand Mona wirklich nicht der Sinn. Blieben nur die Alleinstehenden und davon kannte sie nicht so viele. Ilse fiel ihr ein, gemeinsam hatten sie schon so manch einsames Wochenende totgeschlagen. Zweizwei–viervier–sechssechs, es klingelte. Bitte sei nicht unterwegs.

      »Ilse Gerlach, hallo?«

      »Schön, dass du zu Hause bist. Hier ist Mona. Ich hoffe, du hast Zeit für eine freudlose Singlefrau, die kurz davor steht, sich im Selbstmitleid zu ertränken.«

      »Klar doch!« Ilse lachte ihr kehliges Lachen.

      »Willst du vorbeikommen? Hab gerade einen Biskuit-Tortenboden gebacken für frische Erdbeeren mit Sahne. Diva freut sich auch über Gesellschaft und außerdem wollte ich dir noch etwas erzählen. Also, bis gleich!« Die treue Seele! Mona war richtig gerührt. Für ihre Hausärztin, Frau Dr. Beifuß, hatte Mona am Freitag bereits eine Minisonnenblume in tönernem Übertopf erstanden, dekorativ verpackt in hellgrünes Papier, mit Bastschleife umwickelt. Zu diesem Blutabnahme-Termin am Mittwoch hatte ihre Ärztin sie quasi genötigt wegen eines Verdachts, hinter Monas übergroßer Bereitschaft der Anziehungskraft des Bettes fast willenlos nachzugeben, könnte sich ein latenter Eisenmangel verbergen. Morgen würde sie ein neues Blümchen besorgen und dieses hier kam jetzt mit zu Ilse.

      *

      »Herein mit euch. Wäre doch nicht nötig gewesen, aber ich liebe Sonnenblumen. Vielen Dank.« Typisch Ilse.

      »Ich auch, sehr sogar.« Der Tortenboden, belegt mit saftig roten Erdbeeren, lachte vom Küchentisch.

      »Der Guss ist noch zu warm«, sagte Ilse, »und der Kaffee läuft gerade durch.« Gemütlich war es hier. So richtig Altstadt, wie man es sich vorstellte. Überall schiefe Wände und die Glasfenster von der Küche zum winzigen Flur und zum Bad hin zeugten davon, dass hier früher mal eine andere Aufteilung bestanden hatte. Der Abriss der früheren Hinterhäuser hatte Ilse einen freien Blick beschert, nur die Höfe rechts und links waren neu bebaut worden. Mona erinnerte sich spontan einer überlieferten Anekdote, welche die Freundin mal über diese Küche erzählt hatte. Ilse saß dort an ihrem zweiundvierzigsten Geburtstag im Kreis damaliger Freunde, als sich unvermittelt vor die unverbaute Aussicht des zweiten Stocks, das rotwangige Antlitz einer körperlosen Fremden neugierig vors Fenster schob. Die Unbekannte ließ ungeniert die kajalumrandeten Augen durch die Küche schweifen, ehe sie die entgeisterten Gesichter der bass erstaunten Gästeschar entdeckte. Blitzschnell