Altstadt-Blues 2.0. Waltraut Karls. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Waltraut Karls
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783961455577
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sie uns nicht sofort verständigt…«

      So viele Fragen – wegen eines ordinären Taschendiebs?

      Mona versuchte alles penibel zu beantworten und erkundigte sich dann leicht echauffiert nach dem Grund dieses, in ihren Augen, maßlos übertriebenen Zwergenaufstands.

      »Darüber dürfen wir keine Auskunft geben. Nur so viel, wir haben dort eine weibliche Leiche gefunden und brauchen ihre Zeugenaussage. Kommen sie heute um acht Uhr dreißig ins Polizeipräsidium am Valenciaplatz zwei. Das Beweisstück nehmen wir mit.«

      OH Gott! Eine tote Frau lag da oben, wo sie nachts entlang spaziert waren. Mona lief es eiskalt den Rücken herunter. Die Beamten verabschiedeten sich und gingen mitsamt der ekligen Kamera die Treppe hinunter. Ihre vollschlanke Nachbarin, Frau Liane Liderlich, geborene Frommhold, aus einem Altmainzer Clan stammend, wie sie sich vorstellte, als Mona einzog, war leider ebenfalls schon wach. Sie blickte neugierig und verschlafen hinter der spaltbreit geöffneten Tür hervor.

      »Ah Frolleinche, wat’s dann los – Bollizei?! Honn se ebbes ausgefresse?«

      Sie verzog das flache Mondgesicht zu ihrem typischen, breiten Pharisäerlächeln. Die Studentin bezeichnete es so, weil die Hausmeistergattin schon einige Male erfundene Gerüchte über sie in der Nachbarschaft verbreitet hatte, ihr aber nichtsdestotrotz – stets bigott und katzenfreundlich ins Gesicht lachte. Schrappnelda! Die hatte ihr gerade noch gefehlt!

      Das Hausmeisterpaar Liane und Benno Liderlich

      Madame hörte, sah und wusste alles, und was sie nicht wusste, das wusste sicher ihr Göttergatte Benno, ein dürrer, meist griesgrämig dreinschauender, langer Lulatsch mit strohig zottigem Schnauzbart. Seines Zeichens Hausmeister ihres Wohnhauses, wie auch im nahe gelegenen Kolpinghaus, wo er die manchmal aufsässigen Lehrlinge dort tüchtig

      » …aufmische dut und dafür noch Geld kassiere dut!«

      Mit geschwellter Brust hatte Liane derart geprahlt, als sie Mona zu Anfang in die gute Stube bat, um ihr stolz die, mit winzigen Kreuzstichen in rotem Garn gestickten und gerahmten Erbbilder aus Familienbesitz an der Wand zu präsentieren, welche ihren alten Stammbaum als Rhein-Adel in der ›Vilzbach‹ belegten.

      Benno Liderlich wirkte ständig unzufrieden, wahrscheinlich wusste er selber nicht so genau, warum. Vielleicht war er schlichtweg ein Frauenhasser, seine Angetraute natürlich ausgenommen. Augenscheinlich ein waschechter Misanthrop und knottriger Miesepeter, über dessen Eignung zu einem Job in dieser katholischen Einrichtung, wo der Umgang mit unterschiedlichsten, auch körperbehinderten Jugendlichen vonnöten war, konnte die Studentin nur spekulieren.

      Mona Blume mochte er offensichtlich nicht, so bärbeißig, wie er in ihrer Gegenwart stets agierte. Er verkörperte für Mona, das absolute Kontrastprogramm zur aufdringlichen Leutseligkeit seiner besseren Hälfte. Sprichwörtlich flogen Gegensätze ja geradezu aufeinander, bei diesen beiden traf der Spruch scheinbar ins Schwarze. ›Dick und Doof‹ liegen wieder auf der Lauer oder ›Waldorf und Stadler‹, die zwei Balkongreise der Muppetshow, hatte Micha des Öfteren bemerkt, weil ihre Köpfe stets prompt am Fenster auftauchten, wenn er zu ungewöhnlichen Zeiten ging oder kam aufgrund seines Dienstplanes.

      Du kannst mich mal, Liane!

      »Nein, Frau Liderlich, sonst hätten SIE es schon gehört!« Rumms! Die Tür fiel laut ins Schloss. Heute war es Mona völlig schnuppe, falls die scheinheilige Nachbarin pikiert war. Ansonsten bemühte sie sich ja immer freundlich zu sein, auch wenn sie das zänkische Albtraumpaar eigentlich nicht ausstehen konnte. Warum musste man in einem Mietshaus zwangsläufig auf irgendeine Weise und meist noch hautnah, am Leben anderer Bewohner teilnehmen? Ob man wollte oder nicht! Mona befreite erst Troll aus seinem gekachelten Gefängnis. Ihre Knie waren butterweich, die Beine gaben nach und sie musste sich erst einmal hinsetzen. Augenblicklich war ihr die Situation der letzten Nacht, so richtig bewusst geworden. Ein gemeiner Mord im katholischen Mainz und sie unmittelbar in der Nähe des Tatorts. Die knackenden Geräusche im Gebüsch. Vielleicht hatte der Mörder sie beobachtet…? Er hätte sie ja auch…!

      Deswegen war der Hund kaum zu bändigen. Simone hatte Mona mal gefragt, ob sie keine Angst hätte, wenn Troll nachts noch raus musste. Bislang hatte sie das stets verneint, obwohl ihr bekannt war, dass dieser im Ernstfall keine große Hilfe wäre, weil er nicht schussfest war, wie es beispielsweise für Polizeihunde Vorschrift war. Michas Hund litt an einer Art Knalltrauma, seit er als Welpe einen Unfallcrash im Auto miterlebte, wo er von der Rückbank zur Windschutzscheibe geschleudert wurde. Seit jener Zeit erfasste den relativ großen Kerl eine panische Angst bei lautstarken Geräuschen und er verkroch sich schutzsuchend unterm Tisch oder besprang den nächsten, erreichbaren Schoß. Sie musste sich anziehen. Der Hund schlabberte währenddessen laut seine Schale leer, danach richtete er die braunen Knopfaugen auf Mona.

      »Ja, ich weiß schon, die volle Blase drückt! Bloß wohin?«

      Der gewohnte Platz auf der Zitadelle war ihr gründlich verleidet, aber am Rheinufer, hinter dem Malakoffkomplex, wuchsen auch grüne Büsche. Die Straße lag noch menschenleer. Durch die Holzstraße, an der Fachhochschule vorbei, unter dem Sandsteintor hindurch… Weiter kamen sie nicht, Troll hatte bereits eine geeignete Ecke zum Pieseln gefunden. Schnell retour, um halb neun sollte Mona bei der Polizei antreten, obwohl heute Sonntag war. Vielleicht gab es einen Kriminaldauerdienst für Mordfälle?

      *

      Die Studentin hatte das hochgeschlossene Kleid gewählt, um einen seriösen Eindruck zu hinterlassen. Sie zog die Jacke darüber, es war noch ziemlich frisch draußen und ging los. Was die dort noch von ihr wollten, sie hatte doch schon alles erzählt.

      Gedankenverloren steuerte sie ihr Auto an, bestieg gewohnheitsmäßig die Treppe zur Weissliliengasse. STOPP! Sperrschilder quer vor dem Stufenende bis an die Ampel. Alles war weiträumig abgesperrt und überall agierten grüngekleidete Polizeibeamte mit Schäferhunden. Ihren fahrbaren Untersatz konnte sie wohl die nächsten Tage vergessen. Normalerweise erledigte sie alles Erreichbare zu Fuß, nur bei größeren Entfernungen nahm sie das Auto. Obwohl sie auch das Semesterticket der Uni hätte nutzen könnte, das im gesamten Rhein-Main-Verbund Gültigkeit besaß. Mona drehte auf dem Absatz um und lief zurück. Wo gab es einen Bus zum Valenciaplatz am Sonntagmorgen? Jetzt bedauerte sie, sich im Netz der Stadtwerke nicht auszukennen. Egal, am Höfchen befanden sich einige Haltestellen, da würde schon einer dabei sein.

      Im ersten der gläsernen Wartehäuschen hatte sich das altstadtbekannte, obdachlose Männerpaar auf dem fleckigen Schlafsack häuslich eingerichtet mit zahlreichen Bierflaschen. Daneben war ein Einkaufswagen geparkt, vollgepackt mit der armseligen Habe. Sie belallten sich gegenseitig höchst unflätig wie immer, sonst war niemand zu sehen. Leider auch kein Bus, denn alle Stationen der rechten Seite waren verlegt wegen des Stadtfestes.

      Als Mona die Ersatzhaltestelle, Ecke Quintinsstraße erreichte, war die richtige Linie gerade losgetuckert, wie ihr der Fahrplan verriet, und die nächste kam erst in einer halben Stunde. Shit! Keine Muße dort zu warten, also ‚per pedes’ quer durch die Stadt. Auf den letzten Metern vorm Präsidium überholte sie der Stadtbus, spärlich besetzt mit zwei Männern und dem Fahrer.

      Sonnenklar, dass sie mit ihm zur gleichen Zeit eingetroffen wäre. Ihr Fuß schmerzte jetzt aufs Übelste, denn sie hatte sich zwei Blasen erlaufen an Ferse und dickem Zeh von den schicken Riemchensandalen, deren maximale Laufweite nur für einen Hin- und Rückweg zum Taxi, Theater oder Restaurant angelegt waren. So hinkte sie etwas, als sich die Glastür öffnete.

      »Sind sie Monika Blume?«, fragte der uniformierte junge Polizist mit den lustigen Sommersprossen, der dahinter postiert war.

      »Sie werden schon erwartet.«

      Zügig ging er voraus und Mona folgte ihm langsam und fußlädiert in den ersten Stock. Am zweiten Zimmer links klopfte er kurz.

      »Herein«, ertönte es kraftvoll von drinnen. Er öffnete die Tür, verkündete hinein: