5. Sprachtranszendenz und/oder Begriffstranszendenz?
Eine Grundmaxime der Negativen Dialektik, die das Nichtidentische im Begriff, und zwar nur in diesem selber, zu detektieren sucht, lautet: »Philosophische Reflexion versichert sich des Nichtbegrifflichen im Begriff«62. Die sprachkritische Pointe, das Nichtidentische im Begriff zu denken, bezieht ihre kritische Volte aus einem Versagen der prädikativen Sprache, weil diese nicht identisch ist mit der semantischen Fülle der Sprache sowie ihrer sinnlichen Ausdrucksqualitäten.
Wenn Adorno das Unausdrückbare einfordert, um das sich die Philosophie zu bemühen habe, so liegt dies nicht im Jenseits, nicht im Übernatürlichen; auch nicht in einer existenzphilosophisch fabulierten Transzendenzerfahrung, für die Jaspers den Grenzbegriff ›Chiffre‹ reservierte. Schon gar nicht ist es mit dem religiös konnotierten Wort des ›göttlich Numinosen‹ zu vereinbaren. Der Transzendenzbegriff Adornos, dies zeigt sein Kunstverständnis, war immer innerweltlich bestimmt. Kunstwerke, so Adorno, »produzieren eine Transzendenz sui generis […]. Ihre Transzendenz ist ihr Sprechendes oder ihre Schrift, aber eine ohne Bedeutung oder, genauer, eine mit gekappter oder zugehängter Bedeutung«63. Das Unausdrückbare, für das der ästhetische Transzendenzbegriff einsteht, ist nicht durch eine Aufkündigung des Weltbezugs zu haben; er ist an die sprachliche Ausdruckskreativität geknüpft, die sich im Kunstwerk realisiert. Übertragen auf die Begriffstheorie der Negativen Dialektik heißt dies, dass die negativ-kritische Interpretation des Unausdrückbaren einzig sprachtheoretisch auszuweisen ist, indem das Ineinander, die wechselseitige Verwiesenheit von Begrifflichem und Unbegrifflichem aus ihrem ›internen Negationsverhältnis‹64 erklärbar wird. Dies gelingt nur, wenn erfasst wird, was über die urteilslogische Ist-Funktion der Sprache sprachlich ›hinausweist‹ bzw. diese transzendiert. Solchermaßen ist das Transzendente, das Adorno als die Sprachähnlichkeit der Kunstwerke bezeichnet, eine Ausdruckform, die das Unsagbare, mithin das Begriffslose, als ein sprachliches Transzendieren kennzeichnet. Folglich ist das Nichtidentische sprachtranszendent zu bestimmen.
Dies darzulegen, hat Glauner versucht.65 Sein Gedankengang, von dem es sich hier letztlich abzusetzen gilt, ist dabei folgender: Es gibt das sprachtheoretische Paradox, »daß wir den Gebrauch eines Zeichen zwar beschreiben, damit jedoch nicht seine Bedeutsamkeit erklären können«66. Was heißt dies genau? Die Erklärung kann durch die Kritik am gebrauchsorientierten Sprachverständnis, so wie es von der analytischen Sprachphilosophie verwendet wird, erfolgen. Die Bedeutung, also die Semantizität der Zeichen, ergibt sich durch die faktische Gebrauchsfunktion der Zeichen im Sinne von urteilslogischen Prädikationen, die den Sprache-Weltbezug auf diese Weise festlegen. Man kann also lebensweltliche Funktionen der Zeichenbedeutungen zeigen, das heißt beschreiben, nicht aber eigentlich die Bedeutsamkeit der Bedeutung im Sprache-Weltbezug selber. Anders formuliert: Man kann die sprachpragmatische Funktion der Semantizität aufzeigen, nicht aber die Bedeutung der Semantizität der Zeichen erklären. Es gibt also – wie Glauner konstatiert – so etwas wie eine »Unterbestimmtheit des Sprache-Weltbezugs«, die aussagt, dass letztlich das genuin Semantische nicht »im Sinn einer Letztbegründung objektiviert und so begründet werden«67 kann. Die Sprachkritik Adornos (wie auch die Heideggers) setzt hier an, indem sie einerseits die urteilslogische Identifikationsfunktion der Sprache als Verkürzung der Sprache selbst hervorhebt und andererseits auf einer ›Mehr‹-Qualität der Sprache insistiert. Das Urteil lautet deshalb: »Nicht zielt er auf Überhöhung der Unsagbarkeit zur Eigentlichkeit [wie etwa Heidegger, T. J.], sondern er versucht in der Reflexion des urteilstranszendenten Mehr des Gegebenen ›zu sagen, was sich nicht sagen lässt‹«68. Zu sagen versuchen, was sich nicht sagen lässt, heißt für Adorno, das »›Surplus des Materialen‹ in der Sprache aufzusuchen«69. Hier wie auch in anderen Lesarten des Nichtidentischen, mithin des Begriffslosen, dominiert die Frage der semantischen Transzendenz bei Adorno ›allein‹ im Sprache-Weltbezug, also auf der Ebene einer referentiellen Bezugnahme der Zeichen bzw. der Begriffe. Für Adorno ist die Sprachtranszendenz daran gebunden, und die Negative Dialektik liefert hierfür mehr als eine Belegstelle, dass das Überschreitende der urteilslogischen Sprachfunktion in der Verwiesenheit des Sprache-Weltbezugs auf ein Materielles begründet ist. Anders formuliert: Der sich in der Sprache anzeigende Mehrbestand resultiert nicht aus einem ›Innerhalb‹, sondern einzig aus einem ›Außerhalb‹ der Sprache. Die Semantizität bleibt am Referenzbezug kleben. Bei Adorno nimmt die Semantizität zudem noch das geschichtlich-materiale Moment des Sprache-Weltbezugs in sich auf. Die Crux dieser Konzeption der Sprachtranszendenz liegt nicht so sehr im Überschreitungsmodus einer urteilslogischen Sprache, auch nicht in der Annahme eines expressiven Mehrgehalts, das die Sprachtranszendenz ins Spiel bringt; sie liegt im Verständnis des Transzendenzbegriffs selbst. Entweder wird er so definiert, dass ein Sprachtranszendentes die Negation der urteilslogischen Identifizierungspraxis ist, also das Entzugsmoment; oder es wird durch ihn etwas bezeichnet, das jenseits der objektsprachlichen Bezugnahme allein und ausschließlich aus dem offenen Procedere von semantischen Ausweitungen des Begrifflichen besteht. Wenn man so will: eine Begriffstranszendenz, die sich aus der Polysemie von Begriffen konstellativ bilden lässt. Man muss also die Sprachtranszendenz, die Adorno für das Nichtidentische der Sprache einklagt, abgrenzen von einer Begriffstranszendenz, die das Nichtidentische der Begriffssprache aus dem gegenseitigen Verweisungszusammenhang, in dem Begriffe ständig stehen, herleitet. Auch dafür gibt es in der Negativen Dialektik eine argumentative Intonation, freilich schwächer und eher implizit angesprochen. Die Begriffstheorie Adornos ist nicht identisch mit seiner Sprachtheorie, gleichwohl haben sie in dem Grundprinzip des Transzendierens von bestehenden wie fixierten Bedeutungsinskriptionen ihre Gemeinsamkeit. Die Differenz beider aber liegt darin, dass die Sprachtranszendenz bei Adorno – so zeigt es jedenfalls Glauner auf – das ›Mehr‹ der Bedeutung auf ein materielles Moment des Sprache-Weltbezugs zurückführt, während die Begriffstranszendenz – so die These hier – allein das Überschreiten fixierter Bedeutungen anvisiert: »Die Begriffe einer Sprache haben ihre Bedeutung nicht aus dem Bezug auf einzelne Sachen« – also ihrem referentiellen Bezug –, »sondern wesentlich aus ihrer Beziehung zueinander; nur indem sie implizit aufeinander verweisen, können sie auf etwas an ihren Objekten verweisen«70. Bleibt der letzte Halbsatz gestrichen, hat man die Grundidee der Konstellationsbildung von Begriffen, die sich ausschließlich der Begriffstranszendenz verdankt.
6. Begriffstranszendenz durch Konfigurationsbildung
Adorno benutzt zwar den Terminus Konstellationsbildung, für eine sprachtheoretisch-rhetorisch reklamierte Begriffstranszendenz wird hier jedoch der Terminus Konfigurationsbildung gewählt. Figurationsbildung meint jetzt die begrifflichen Konstellationen durch Begriffstranszendenz. Zudem weist der Terminus Konfigurationsbildung nachdrücklich auf »das rhetorische Moment« hin, das Adorno, »entgegen der vulgären Ansicht«, für das dialektische Denken »kritisch zu erretten«71 trachtet.
Wir müssen nicht nochmals im Einzelnen auf die gängigen Lesarten des Konstellationsbegriffs bei Adorno eingehen. Festzuhalten bleibt, dass der Gebrauch dieses Begriffs eine gewisse Bedeutungsinkonsistenz aufweist. Federführend wird er dafür exponiert, dass die begriffliche Konstellation den Erkenntniszugang zum Singulären, zum Besonderen ermöglicht: gleichsam ein Universalschlüssel, besser noch eine »Nummernkombination«72, die »das Spezifische des Gegenstandes [belichtet], das dem klassifikatorischen Verfahren gleichgültig ist«73. Der Konstellationsbegriff fungiert als eine ›repräsentative Modellanordnung‹ für die Sache, die der Begriff zwar meint, die aber erst durch seine Begriffskonstellation erreichbar ist. Nicht umsonst formuliert Adorno, dass die Konstellation »von außen«, dasjenige repräsentiert, »was der Begriff im Innern weggeschnitten hat«74. Die Hypothek, die dieser Konstellationsbegriff auf sich nimmt, besteht darin, dass die Konstellation erkenntnistheoretisch ersetzen soll, was der klassifikatorische Begriff nicht einlöst: Die Besonderheit der Sache, die Singularität des Objekts erfahrbar zu machen.75 Nicht, dass die Sache selbst sich durch die Konstellation direkt abbilden würde – ein Gedanke, den Adorno gänzlich von sich weisen würde. Doch steht die Herstellung einer