Nach dem Gottesdienste kam der Stindel im Stein zum Jakob, der eben auf dem Kirchhof am Grabe seiner Vorfahren eine stille Andacht verrichtet hatte, und fragte ihn, ob er nicht mitgehen wolle zum Fleischhackerwirt, dort wären heute alle Altenmooser beisammen.
„Sollen sich nichts abgehen lassen“, antwortete der Jakob kurz. Er dachte sich’s nun, warum ihrer heute so viele aus Altenmoos nach Sandeben gekommen waren. Nicht die Kirchenfahnen hatten so sehr gewinkt, als vielmehr die Tausender des Knatschel, die gestern vorausgegangen. Ein Kirchgang nach dem Gelde.
Der Jakob sollte aber an diesem Tage auch einen anderen Ärger zu verwinden haben. Trat der Knatschel aus seinem weißgetünchten Holzhäusl, das er eben erst bezogen, ging auf den Reuthofer zu und sagte, das wäre schön vom Jakob, daß er auch einmal hervorkrieche aus dem ödweiligen Graben. Er, der Knatschel, könne heute zwar noch keine Einladung machen, es sei alles drunter und drüber und das Gesuch zum Weinausschänken fange erst an, beim Amt zu liegen. Aber einen guten Bekannten, wenn er sehen wolle, der Jakob! Er solle ein wenig mitkommen!
„Ein guter Bekannter?“ fragte der Jakob, „mag ja sein. Soll sich zeigen, wenn er was will von mir.“
„Wird nichts wollen von dir, denke ich“, sprach der Knatschel. „Wir haben ihn einsperren müssen, sonst wäre er gleich, wie er dich vom Fenster aus gesehen hat, davongelaufen. Und einholen wirst du den nicht; du hast zwar längere Füße, aber er jüngere.“
„Solltest von meinem Buben reden?“ fragte der Jakob, „ist er bei dir?“
„Mußt ihm’s nicht verübeln. Ist ihm halt auch langweilig geworden drin bei den Waldbären. Ist mir gestern nachgelaufen und hat sich hinten auf den Wagen gesetzt. Er geht nimmer heim, sagt er.“
„Alsdann werden wir ihn heimtragen“, sprach der Jakob.
„Da wirst du ihm wohl früher die Knochen zerschlagen müssen.“
„Schlagen werden wir nicht. Er soll herauskommen.“
Nicht lange hernach, und aus der Haustür des Knatschel schoß der Jackerl. Als er den Vater sah, stutzte er und duckte sich an die Wand. Die langen Haare hingen ihm wüst über das Gesicht, den Blick ließ er ein paarmal wild auf den Vater springen, die Fäuste hatte er geballt – so stand er da und stemmte den Kopf seitlings an die Wand.
Der Vater trat zum Knaben und sagte freundlich: „Jackerl, wir gehen jetzt heim.“
Der Junge rührte sich nicht.
Der Jakob wollte ihn am Arm nehmen, den riß er aus und kreischte: „Ich mag nicht!“
„Sei nicht störrisch, Kind!“
„Ich mag nicht heimgehen!“
„So sage mir, warum du nicht heimgehen willst!“
„Weil Ihr mich einsperren werdet!“ stieß der Knabe hervor und begann zu gröhlen.
„Aber du zwingst mich ja, dich zu strafen“, sagte der Vater. „Und ich tu’s, so oft es sein muß – drauf kannst dich verlassen.“ Aber gleich setzte er dazu: „Schau, Jackerl, du könntest es so gut haben wie der Friedel, der folgt in Güte. Du hast mir schon viel Kummer gemacht; ich soll dir’s gar nicht sagen, Kind, wie wehe es mir tut, daß ich dich strafen muß. Jackerl, schau, gib her die Hand, ich hab’ dich lieb. Und wie kannst du deinen Eltern davonlaufen! Deine Mutter hat die ganze Nacht Angst gehabt um dich.“
Eine Träne rann dem Jungen über die Wange, er schämte sich ihrer, strampfte den Fuß in den Erdboden und schrie: „Nein! Nein! Nein!“
„Also nicht?“
„Nein!“
„Hast du es deiner Mutter nicht versprochen, daß du ihr heut’ Haushüten helfen wirst? Und du willst nicht freiwillig mit mir gehen?“
„Ich werde gehen, aber allein. Ich laß mich nicht treiben!“
„Gut, versprich mir’s, Jackerl, daß du heute abends daheim sein wirst.“
Der Knabe schwieg.
„Ich brauche jetzt keine Gewalt, mein Kind“, sagte der Vater mit gedämpfter Stimme. „Ich will dir vor aller Leut’ Augen keine Schmach antun. Aber versprich mir, daß du heimgehst!“
„Das werde ich!“ stieß der Knabe heraus und strampfte die Erde.
„So sind wir jetzt miteinander fertig“, sagte der Jakob, dann ging er seines Weges. Er hatte ja auch an anderes zu denken an diesem Tage. Der Junge blieb noch eine Weile lehnen an der Wand und schloß die Augen und schloß die Fäuste.
Plötzlich lief er die Dorfgasse hinab und davon.
Aus dem Fleischhackerwirtshause, wo heute die Altenmooser zusammengekommen waren, um zu sehen, wie ein Millionär ausschaut, hörte man einen Gesang:
Was hat mein Vater ’dacht,
Daß er kan Herrn hat g’macht!
Wia war das Ding so fein,
Wann ih a Herr kunnt sein,
Geld in mein Beutel hätt’,
Bratel zum Essen hätt’,
Trinken kunnt Wein.
Und der Chor:
Widl, widl, widl, Geldel hätt’!
Widl, widl, widl Essen hätt’!
Widl, widl, widl Wein.
FRANZ, BLEIB’ DAHEIM!
Die Schirmbäume am Guldeisnerhof warfen ihre Schatten; sie warfen solche über die Felder hinab und sogar eine Strecke jenseits der Bergblöße wieder hinan, denn es war schon am späten Nachmittage. Drei Männer stiegen den Feldweg herauf gegen den Hof. Es waren der Sepp in der Grub, der Rodel und der Jakob vom Reuthofe. Sie waren der Verabredung nach zusammengekommen und heraufgegangen, jetzt wollten sie sehen, ob sie Glück hätten.
Der Hof bestand in zahlreichen Gebäuden. Ställe, Scheunen, Schoppen, Dreschtennen, Fruchtkästen und zwei Wohnhäuser, alles stattlich und in bestem Stande erhalten. Das eine kleinere Haus, welches schier versteckt unter Kirschbäumen stand, war das Ausgedingstübel, das jetzt keine Insassen hatte, weil keine Ausnehmer, keine „Alten“ vorhanden waren. Das andere, das große Haus, welches fast mitten in dem Kranze der Gebäude stand, aber doch so, daß es mit seinen vielen Fenstern frei in die Gegend aussehen konnte, trug an einer seiner Wände weiße Schußscheiben mit schwarzem Zentrum; der Guldeisner pflegte auf Scheiben zu schießen, wenn im Revier kein Reh war; und die Scheiben mit den Meisterschüssen ließ er sich selber zu Ehren an die Wand nageln.
Vor diesem Gebäude blieben die drei Männer stehen, um sich auszuschnaufen und hinzuschauen in das weite Land. Von keinem Hause in ganz Altenmoos hatte man eine so weite freie Aussicht, als vom Guldeisnerhof. Über die Waldbäume hinweg, die unten den Gesichtskreis engten, konnte von hier aus das Auge auf ferne Berge fliegen, die mit ihren weichen Linien in der Fremde draußen standen. Wenn dort die Sonne aufging, war es ihr erstes, daß sie dem Guldeisner zu den Fenstern hineinleuchtete in sein Bett, oder in die Kaffeeschüssel, wenn solche schon auf dem Tische stand. So gut hatten es die tiefer unten liegenden Häuser nicht; der Reuthof hatte gar keine Kaffeeschüssel, und ihre saure Milchsuppe mußten die Leute dort des Morgens im Schatten essen, während hier schon der goldene Sonnenschein lag.
„Ein schöner Platz ist’s, der da heroben“, sagte der Sepp.
„Das Getreide wird halt doch um acht Tage später zeitig, als unten bei uns“, entgegnete der