Als er endlich ledig war, stillstand und dem Gefährte nachblickte, sah er, wie das Weib des Thomas, das Gesicht in die vorgehaltene Schürze pressend, heftig schluchzte. Der Knatschel knallte mit der Peitsche, daß es widerhallte in den Wäldern.
„Ist das der Mann mit den Tausendern gewesen?“ fragte der Knabe, als das Gefährt hinter der Talbiegung verschwunden war.
Der Jakob wendete sich und ging mit dem Knaben zwischen den grünenden Haferfeldern hin. Er war verstimmt. Nun hob er eine Erdscholle auf und betrachtete sie sinnend.
„Was ist denn das?“ fragte der Friedel.
„Das ist unser Tausender, mein Kind“, sagte der Vater. „Der kann nicht zerreißen und nicht verbrennen. Zu Mehl kann ich ihn zerreiben, in die Luft kann ich ihn streuen und ist doch nicht umzubringen. Und wenn ihn der Mensch pflegt und Gott gibt Sonnenschein und Regen vom Himmel, so ist er ein wohlversichertes Gut und bringt alle Jahr’ seine Zinsen, es mag im Land Krieg oder Frieden sein.“
„So einen Tausender“, sagte jetzt der Kleine, „hat der Jackerl gestern der Kuh nachgeworfen, daß er auseinandergespritzt ist.“
Der Vater entgegnete: „Dem Erdklumpen hat das nicht geschadet, der tut sich schon wieder zusammen, aber der Kuh kann es geschadet haben. Und dem Jackerl wird es geschadet haben. Ja! Dein Bruder wird mir neuding ein so arger Wildfang, daß ich ihn morgen auf den ganzen Tag in den Moosbarren sperren muß.“
Nun war es, daß der Wildfang an jenem Abende gar nicht ins Haus kam. Zuerst wurde nach ihm gepfiffen, er kam nicht. Dann ging die Angerl hinaus auf den Hügel und schrie: „Jackerl!“ so laut sie konnte, auch der Wald half ihr schreien. Der Knabe kam nicht. Als es schon finster war, ging der Reuthofer mit einem Haselstock bei den Nachbarn um und fragte, ob sein Bub nicht gesehen worden sei. Die Dreisambäuerin schlug ihre Hände zusammen und jammerte, das arme Kind sei sicherlich ins Wasser gefallen! Ganz Altenmoos wollte sie aufstöbern, um den Knaben zu suchen. Dem Reuthofer machte der Jammer des Weibes nicht viel Herzleid, er kannte seinen Jungen.
Als der Jakob Steinreuter auch zum Stindel im Stein kam – in den Hof, der hoch am Berge unter einem massigen Felsblock stand, welcher kurzweg der Stein genannt wurde – erfuhr er zwar auch dort nichts von seinem abhandengekommenen Jackerl, hingegen eine Neuigkeit, die eigentlich keine mehr war. Der Guldeisner sei mit dem Kampelherrn in Unterhandlung und wolle sein Gehöfte denn wahrhaftig verkaufen.
In der darauffolgenden Nacht konnte der Jakob nicht schlafen. Wenn der Guldeisner verkauft, dann verliert die Gemeinde Altenmoos ihren Grundstock. Wenn die Guldeisnerleute mit Mann und Magd, mit Kind und Knecht auswandern, dann wird es langweilig werden hierum. Wenn die Guldeisnergründe zu Wald anwachsen – und die hohen Herren lassen alles Wildnis werden – dann – –
Es wird ja nicht wahr sein, tröstete sich der Jakob, es kann ja nicht wahr sein. Das Haus vertun und davonzigeunern! Nein, es ist nicht, es ist nicht. – Wenn ich nur ein Stündel schlafen könnte, bevor es tagt!
DER KIRCHGANG NACH DEM GELDE
Nun war der Morgen des heiligen Fronleichnamstages. Das stille, grünende Altenmoos lag im jungen Sonnenfrieden da. Aus den Höfen hervor, von den Lehnen und Leuthen herab, an den Wiesensteigen heran kamen die Leute in schmuckem Feiertagsgewande und gingen dem Hauptwege zu, wo sie sich in Gruppen vereinigten, um selbander unter ruhigen Gesprächen gegen die ferne Pfarrkirche zu wandern.
Es waren ihrer heute viele. Obwohl an den Werktagen arbeitend vom Sonnenaufgang bis zum Niedergang, sind sie am Feiertage doch nicht müde; gestern war es an den Händen, heute ist es an den Füßen, und die Zunge haben sie auch mit, daß sie können schwatzen unterwegs, und die Augen, daß sie den kirchlichen Aufzug sehen zu Sandeben, und die Gurgel, durch die etwelchen Trunk zu tun einige gesinnt sind. Der Weg ist hier glatt, dort steinig, die Sonntagswanderer loben weder das eine, noch beklagen sie das andere. Die jüngeren Weibspersonen haben hellrote Busentücher um, und vorne am Joppenlatz steckt ein Sträußl von Herzenstrost und Rosmarin. Oder sie tragen das Sträußchen zwischen dem Gebetbuch und dem weißen, viereckig gefalteten Taschentüchel in der Hand. Die Burschen haben grüne Zweige von Reseden und Nelken auf den Hut gesteckt bekommen – von wem, das sagt keiner, denn es kann sich’s jeder denken. Und bei dem Blüml steht die Wildhahnfeder, das Starke beim Schönen, das Kecke beim Zarten. Selbst die alten Männer tragen auf ihren schwarzen breiten Filzhüten ein helles Röslein, denn irgendwo und irgendwie muß an solchen Festtagen die Lebensfreude der Waldbergbewohner hervorblühen.
Das junge Volk gesellt sich zusammen zum Schäkern und Necken, und der frische Sandlersebast behauptet dreist, dem Bachhäuseldirndl wäre am Busen das Rosmarinstammel lose geworden, und er will ihr den Freundschaftsdienst erweisen, selbiges zu befestigen.
„Brav bist, Sebast, daß du frei soviel Nächstenlieb’ hast“, redete da der alte Luschelpeterl drein, der mit seinem wulstigen roten Regenschirm hinten nachhumpelte. Er trug ein recht altweltisches Gewand, der Luschelpeterl, einen vergilbten lodenen Frack mit Messingknöpfen und einen ausgeschweiften gelbgrünen Zylinderhut mit breitem Band und der großen Schnalle. Seit dieser Hut und dieser Kopf beisammen waren, hatten beide Farbe gewechselt, der blonde Kopf war grau und der grüne Hut gelb geworden. Das Gewand war alles hübsch mit grünem Tuche ausgebrämt; aus diesem waren allerlei Bäumchen, Schnörkeln und andere Zierraten geschnitten und auf die Ärmeln, Brustflügeln, Taschen und Schößeln genäht worden, was zu dem verwitterten Gesichte des Alten mit dem grauen Bartwisch unter der Nase gar nicht übel stand.
„Festmachen das Rosmarinstammel, eh’ wahr auch. Brav bist, Sebast“, sagte er noch einmal.
Das Bachhäuseldirndl, die Dullerl, schlug dem kecken Burschen auf die Finger: „Da hast nix herzugreifen, Bübel!“
„So wohl, so wohl!“ stimmte der Luschelpeterl bei, da sang eine Amsel. Der Gesang war so schmetternd hell, daß sich alles umsah nach dem Vogel. Und er war nirgends zu sehen, und dem Gesange nach meinte man, er müsse einem der Leute auf der Achsel sitzen.
„Aha!“ rief der Luschelpeterl plötzlich, „da haben wir den Kampel, da drinnen da! In mein Regendach hinein hat er sich verfangen. Wohl, wohl, gewiß auch noch!“
Die Kirchengeher stellten sich rings um ihn, und die Dullerl war besonders begierig, den kleinen Sänger zu sehen. Der Luschelpeterl langte mit dem Arm sorgfältig in den zusammengefalteten Schirm hinein, der Vogel kreischte, der Peterl mußte ihn gefaßt haben, als dieser nun aber den Arm langsam wieder zurückzog und den Schirm auseinander tat, war kein Vogel da. Obzwar es bekannt war, daß der Luschelpeterl mit einem Blatte, das er auf die Zunge tat, allerlei Vogelstimmen täuschend nachzuahmen verstand, saßen sie ihm doch fast allemal auf, wenn er in guter Laune seine Kunst übte.
„Jetzt ist er mir auskommen!“ murmelte der Alte mit weinerlichem Gesichte, spreitete die Finger aus und starrte in die Luft. Hierauf wandte er sich an die Dirnlein, und mit zwinkernden Augen sprach er die Vermutung aus, eine oder die andere werde den Vogel in der Tasche haben. Jede leugnete es, aber untersuchen ließ sich keine.
Weit hinter diesem munteren Völklein ging eine Gruppe von Männern, darunter der Sepp in der Grub, der Rodel, der Stindel im Stein, der Oberstöckel und der Jakob. Sie waren für einen solchen Frühsommermorgen fast zu ernsthaft. Sie führten in langsamem Takt ein angelegentliches Gespräch. Auch der Jakob redete. Er pflegte sonst außer Hause nicht viel zu sprechen, er stotterte ein klein wenig, aber man horchte doch, wenn er den Mund auftat, es war allemal der Mühe wert.
„Es darf nicht sein“, sagte der Jakob, „wir müssen es abwenden.“
„Wir müssen dem Guldeisner zureden, soviel wir können, er darf nicht verkaufen!“ so auch der Stindel im Stein.
„Seid ihr einverstanden, Nachbarn?“ fragte der Jakob, „daß wir heute abends, wenn wir von Sandeben heimkommen, miteinander zum Guldeisner gehen und ihm die Sache vorstellen? Es darf und