„Mit der Lug’ werden wir’s nicht hintertreiben“, sagte der Jakob. „Schlecht’ Sach’ muß man mit gut’ Sach’ totschlagen. Ich denk’ aber, er verkauft nicht, ’s ist lauter Trutz, was er sagt.“
„Und auch Trutz, was er tut. Nachbarn, der Guldeisnerhof ist hin.“ So der Rodel.
Bald darauf trennten sich ihre Wege. Der Reuthofer dachte auf dem seinen noch lange: Nein, der Franz ist gescheit, er tut’s nicht.
WIE DER JACKERL AUS ANHÄNGLICHKEIT DAHEIM BLEIBT
Als der Jakob Steinreuter nach Hause kam in seinen Reuthof, funkelten am Himmel schon etliche Sterne, und über den schwarzen Baumzacken des Nockwaldes ging der Mond auf.
An der Haustür stand der Jackerl.
„Geh’ hinein!“ befahl der Vater.
„Nein“, antwortete der Knabe.
„Alsdann bleib’ da stehen, so lang’ du willst.“
„Nein!“ knirschte der Knab’. „Ich will Schottensterz haben, dann geh’ ich fort. Ganz fort. Ich bleib’ nimmer da!“
„Warum bist du denn nachher von Sandeben her heimgegangen?“
„Weil ich’s versprochen hab’.“
„Alsdann muß auch ich mein Versprechen halten“, sagte der Jakob, ergriff mit festem Arm den Jungen und führte ihn in den Moosbarren.
Der Moosbarren war ein Hintergelaß des Wirtschaftsgebäudes, eine kleine Kammer, in welcher Stallstreumoos getrocknet und aufbewahrt zu werden pflegte. Es hatte zwei kleine glaslose Fenster und eine feste Brettertür, die von außen durch ein Kettlein angehängt werden konnte, so daß sie von innen nicht zu öffnen war. Dieser Barren war im Reuthofe das Zuchthaus.
Und da drinnen lag der wilde Jackerl nun wieder auf dem Mooshaufen, wo er schon recht oft gelegen war. Die Tür von innen aufzubrechen, zu einer Fensterluke hinauszukriechen, ein Fletzbrett zu heben, um unterhalb hinauszukommen, diese unfruchtbaren Versuche waren längst aufgegeben worden. Jetzt lag er rücklings auf dem Moos, ließ den Mond auf sein Gesicht scheinen und war ganz ruhig. Es war ihm ja nichts Neues, im Kriege mit seinem Vater zu unterliegen, und er fand es eigentlich auch in Ordnung so. Er hielt den Vater im ganzen für einen braven Mann, dem man nun eben einmal zu gehorchen hätte, aus dem dummen Grunde, weil man der Schwächere ist. Der Jackerl will aber nicht gehorchen, solchen just am wenigsten, die es scharf von ihm verlangen. Schlecht genug, daß es fast allemal was Vernünftiges ist, was der Vater begehrt. Das jedoch ist nichts Vernünftiges, für alle Ewigkeit im Altenmooser Winkel sitzen zu bleiben, und die Welt ist so weit und ist so schön und hat so viel Sach’! Wir – der Jackerl – sind nun einmal zwölf Jahre alt. Leichter lauft der Mensch sein Lebtag nie, als in diesem Alter, und wenn er da nicht davonlauft, wann soll er’s denn tun? – Einstweilen möchten wir einen Schottensterz haben.
„Jackerl!“ rief draußen in der Nacht jemand, es war die Stimme der Schwester Angerl, „da greif an, wenn du hungrig bist!“ Sie hielt ein Stück Brot zur Fensterluke herein. „So greif an, Jackerl!“
„Nein!“ knirschte der Junge.
Das Dirndl hielt immer noch geduldig hinein, weil aber der Jackerl fürchtete, daß sie die Hand doch zurückziehen könnte, nahm er seinen Filzhut und hieb ihn fest auf die Hand los. Das Brot fiel in der Kammer zu Boden, das Schwesterl draußen ging schluchzend davon. Der Jackerl hob das Stück Brot auf, als er jedoch ihr Weinen hörte, schleuderte er es wieder in den Winkel. „Ich will dich nicht. Sie soll still sein. Ich mag sie nicht weinen hören, ich mag nicht!“ So wimmerte er zornig. Ein gutes Wort wollte er ihr nachrufen, aber statt dessen schrie er zur Luke hinaus: „Du Tretsch, du dumme Tretsch!“ und schlug mit den Fäusten auf die Wand los und ächzte vor Wut.
Durch die Wandfugen strich kühle Luft. Der Knabe grub sich in das Moos bis an den Hals und schlief ein.
Am nächsten Morgen kam seine Mutter zur Tür und rief: „Bist schon wach, Jackerl?“
Er war freilich schon wach, gab aber keine Antwort. Mit einem Tone, der voller Güte war, sagte draußen die Mutter: „Kind, die Suppe steht auf dem Tisch, und du mußt was Warmes essen. Der Vater laßt dir sagen, wenn du brav bist, so darfst du kommen, wenn du aber trutzig wärst, so sollt’ ich nicht aufmachen. Ich bitte dich, mein liebes Kind, tu’ mir das Leid nicht an, sei wieder ordentlich und folgsam wie deine Geschwister, wir haben dich ja lieb und alles ist wieder gut. Geh’, komm her, sei gescheit!“
Kein Lebenszeichen im Barren. Jetzt kam ihr die Angst, es möchte dem Knaben etwas widerfahren sein. Sie ging um die Ecke und schaute zur Luke hinein. Dort im Winkel stand er, strampfte jetzt den Boden und rief: „Nein! Nein!“
„So kann ich dir nicht helfen“, sagte das Weib, „der Trutz ist noch immer stärker wie du, den müssen wir so lange aushungern, bis du ihn unterkriegst. Bleib’ drinnen.“ Sie ging davon.
Der Junge fügte sich ins Unvermeidliche. Er sann auf Zeitvertreib. Auf dem Rücken lag er im Moos und hub an, allerlei Liedchen zu trällern, wie er sie von den Knechten gehört hatte. „Hi, ho! hi ho!“ begann er und:
Tulli ho!
Follt ma da Huat in Boch,
Tulli ho!
Ih lauf eahm noch im Boch,
Tulli ho!
Er is scha weit, viel z’weit,
Tulli ho!
Hon gor ka Freud!
Dann spitzte er die Lippen und pfiff, und bald darauf – der Junge mußte sich in einer recht humoristischen Stimmung befinden – sang er ein anderes Liedl, wovon ihm besonders der letzte Teil anzuklingen schien:
Vormittog buß’ ih –
Wos buß’ ih?
Mei Dirndl in da Ghoam (im Geheimen),
Nochmittog bin ih –
Wo bin ih?
Auf n Tonzbod’n dahoam.
Aft, wann mih mei Voder
Z’an Koder
In d’ Schupfn einspirt,
Tulli, do flick ih –
Wos flick ih?
Mei Hosn ban Knia.
Und daß ma,
Jo, daß ma
Die Zeit nit long wird.
Darauf hub er an zu jodeln, bis er heiser war und sann auf neuen Zeitvertreib. Flink sprang er auf, kletterte an der Wand empor und hüpfte wieder auf das Moos herab; dann stellte er sich auf den Kopf und spreizte die Beine in die Luft. Dann begann er mit Händen und Füßen das Moos aufzumischen, daß die Fetzen nach allen Richtungen an die Wand und bis zur Decke flogen. Dann fiel er ins Gestreu, reckte alle Viere von sich und stellte sich tot.
Die Moosbarrentür blieb von außen angehängt und so lief der Jackerl aus Anhänglichkeit nicht davon.
DER WALDMEISTER SCHÜTTELT DEN BAUM
In Altenmoos begann sich sachte manches zu ändern. Früher hatten die Bauern im Sommer ihre Herden – für die auf den eigenen Grundstücken zu wenig Futter wuchs – gegen mäßiges Entgelt auf die Hochweiden der angrenzenden Großgrundbesitzer getrieben, besonders auf die Rabensteiner Almen. Es war altes Herkommen, das sowohl den Hochweidbesitzern, als auch deren Pächtern, den Bauern, zugute kam. Seit einiger Zeit war das abgestellt worden, der Waldkulturen wegen, wie es hieß. Der Oberförster, Oberjäger und Waldmeister Ladislaus war aber zu leidenschaftlich, um lange ein Hehl daraus zu machen, daß den Bauern die Viehweiden nicht der Waldkulturen, sondern der Wildhegung wegen versagt wurden. Man rechnete so: Bekommen die Bauern von uns die Almweiden nicht, so können sie nicht