Jakob der Letzte. Peter Rosegger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Rosegger
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783990404843
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endlich an und in der Kapelle alles in Ordnung war, nahm der Jakob den kleinen sanften Friedel an der Hand und sagte. „Wenn du Jakob hießest und der andere Friedel – wär’ mir lieber. Der andere Friedel? es ist zum Lachen. Unfriedel, wenn er geheißen wär’. – Komm, Bübel.“

      Er ging mit dem Knaben den ebenen Fahrweg hin gegen das Nachbarhaus des Knatschel, das dort drüben am Rande des Waldes stand. Dasselbige Haus war in Aufregung. Der Knatschel tat seit acht Tagen nichts mehr, als übersiedeln. Sein Weib, sein Gesinde, seine Ochsen halfen ihm dabei, teils mit Freuden, teils mit Schmerzen, teils mit Stumpfheit; den Ochsen freilich ist es gleichgültig, woher und wohin sie müssen, überall an den Pflug und an die Fleischbank, sie sind überall Ochsen. Das ganze Haus räumte der Knatschel aus, die rußigsten Kästen und Kübel und Pfannen und Bettstätten schleppte er auf großen Karren davon.

      Der kleine Friedel blickte jetzt nicht hin, sondern auf die gegenüberstehende Berglehne, an welcher Bauernhäuser in einiger Entfernung voneinander standen.

      „Vater“, fragte der wißbegierige Knabe, „wie heißt es dort?“

      „Dort heißt es bei den Grubbauern“, antwortete der Vater.

      „Und auf der anderen Seite, ganz oben auf dem Berg, ganz oben, wo das Weiße ist, wie heißt es dort?“

      „Dort heißt es beim Guldeisner“, sagte der Vater und sagte es in einem schier feierlich getragenen Tone. Der Guldeisner war der größte Bauer zu Altenmoos, sein Grund war so weit, daß man – wie der Luschelpeter sich ausdrückte – mit einem guten Schustermesser daraus fünf Bauerngüter schneiden könnte. Der Guldeisnerhof mit seinen vielen Wirtschaftsgebäuden lag oben auf der Hochfläche da wie ein kleines Dorf. Das Wohnhaus war zur Hälfte gemauert und schaute mit der weißgetünchten Wand schier hochmütig herab auf die in der Gegend weitum zerstreuten Nachbarn.

      „Vater“, fragte der Friedel, „wie viele Häuser sind auf der Welt?“

      „O Kind!“ antwortete der Vater, „die Welt ist weit, nur Gott kann sie durchwandern und die Häuser und die Menschen zählen. Ich weiß nur von Altenmoos.“

      „Und wie viele Häuser sind in Altenmoos?“

      „In Altenmoos sind – wenn du der Lunselstina ihre Höhle und andere Hütten nicht dazuzählst – genau einundzwanzig Häuser.“

      „Wieviel ist das?“ wollte der Kleine wissen.

      „Wenn du“, belehrte der Vater, „deine Finger zusammenzählst an beiden Händen und deine Zehen an beiden Füßen und dazu die Nase im Gesicht, so hast du einundzwanzig.“

      „So viele Häuser?!“ rief der Knabe verwundert. „Und welches ist die Nase?“

      „Pst!“ machte der Vater plötzlich, blieb stehen, legte die Hand dem Söhnlein auf die Achsel, beugte sich vor und flüsterte: „Siehst du? Guck’ einmal dort zwischen die Eschen durch an den Waldrand hin – siehst du?“

      „Eine rote Geiß!“

      „Das ist ein Reh!“ sagte der Vater.

      Das Tier hatte ein wenig grasen wollen auf der Wiese, aber es witterte Menschen. Hoch hob es das Haupt, lauerte ein Weilchen und sprang dann mit großen Sätzen in den Wald zurück. Der kleine Friedel hatte sich schier seine großen Augen herausgeschaut; es war das erste Reh, das er gesehen. Selbst für Jakobs Augen waren solche Tiere eine Seltenheit. Der Guldeisner, dem die Jagd gehörte, war ein grimmiger Schütze und ließ nicht viele laufen. Drüben in den Herrschaftswaldungen soll es schon mehr Wild geben, auch schöne Hirschen darunter. Der Jakob hat sein Lebtag erst einmal einen Hirschen gesehen, und der lag draußen in Sandeben auf einem Leiterkarren, reckte noch im Tode die Herrlichkeit seiner Geweihe empor und hatte den aufgeschlitzten Bauch voll grünen Reisigs.

      Den Hohlweg heraus kam etwas Holperndes, die Siedelfuhr des Knatschel. Es war die letzte. Er saß selber drauf und leitete das Ochsenpaar; hinter ihm auf einem Kornsack saßen sein Weib und seine taubstumme Schwester. Die taubstumme Schwester schaute mit Befremdung um sich, sie wußte nicht, was das bedeuten soll; jetzt wegfahren, vom Hause weg, da es doch schon bald Nacht wird! – Und die Schwägerin neben ihr, die hat das Vortuch im Gesicht und weint, und der Bruder voran, der hat eine lange Wurzen im Mund und schmunzelt. Was das bedeuten mag!

      Als der Wagen herankam, redete der Jakob den Knatschel zum Gruße an: „Du hast es eilig, Nachbar. Ich denke, du kommst für heute schon zu spät und für sonst immer noch früh genug nach Sandeben.“

      „Heut’ lieber wie morgen“, antwortete der Knatschel. „Bedien’ dich, Steinreuter!“

      Er hielt dem Jakob vom Karren herab eine neue, fein juchtene Zigarrentasche hin. Und den Spruch dazu: „Bedien’ dich!“

      Wie vornehm er sich gehaben kann! Und auch beim Schreibnamen ansprechen, wie der Amtmann! – Der Jakob ging mit seinem Knaben neben der knarrenden Fuhr des Auswanderers einher.

      „Gelt, mir merkst den Altenmooser nimmer an!“ sagte der Knatschel. „Na, nimm eine. Sind amerikanische.“

      „Vergelt’s Gott!“ lehnte der Jakob ab. „Mir tät’ übel werden davon. Aber schau, Nachbar, ich kann allerweil noch nicht glauben, daß es Ernst ist bei dir!“

      „Reuthofer!“ rief der Knatschel, „du kommst mir bald nach. Denk’ daran, da bei der Torschranke hab’ ich dir’s gesagt: Du kommst bald selber nach hinaus!“

      „In der Totentruhen“, sagte der Jakob, „sein kann’s wohl, der Mensch weiß nicht Tag und Stund’.“

      „Nicht in der Totentruhen!“ rief der Knatschel. „Leicht wohl eher auf des Kampelherrn Kaleschwagen!“

      „Ich wünsche dir ein langes Leben“, entgegnete der Jakob, „aber das wirst du nicht erleben.“

      „Hast du schon gehört, daß der obere Nock auch fliegt?“ fragte der Knatschel. „Den vertreiben die Schulden und muß er noch froh sein, daß ihm der Kampelherr Haus und Grund abgelöst hat. Besser verkaufen, als verganten. Allemal besser.“

      „Für den Nock hätte sein Schwager, der Guldeisner, was tun sollen“, meinte der Jakob.

      „Der Guldeisner?“ lachte der Knatschel. „Pass’ auf, der verkauft selber!“

      „Was sagst du?“ fragte der Jakob und hielt sein Haupt gegen den Fuhrmann hin.

      „Verkauft selber! Der Kampelherr steht schon im Handel mit ihm. Der Jagd wegen, heißt’s. Ihr kommt mir alle nach, Altenmooserleut’. Alle!“

      Der Jakob schüttelte den Kopf.

      „Besuch’ mich einmal“, lud ihn der Auswanderer ein, „in der Sandeben, gleich hinter der Kirchen. Kennst es ja, das Haus, was der Kreuzbäck gehabt hat. Wirst alleweil einen guten Tropfen finden bei mir.“

      „Ein Wirtshaus?“

      „So was. Etwas ein Geschäftel muß der Mensch doch haben, sonst wird ihm Zeit und Weil’ lang.“

      „Knatschel!“ sagte jetzt der Jakob, „gib Achting, daß du dich nicht verraitest! Auf der Sandeben ist der Tausender nicht soviel wert, wie in Altenmoos. Dort kostet der Brotlaib einen halben Gulden, dahier kannst, wenn du selber keinen backest, einen um zwei Sechser haben und einen größeren.“

      „Bauernbrot gefressen hab’ ich mir genug, mein Lebtag“, lachte der Knatschel, „jetzt will ich einmal Guglhupf (Kuchen) haben.“ Und er versetzte den Ochsen eins mit der Peitsche.

      „Thomas“, sagte jetzt sein Weib und stupfte den Knatschel am Rücken, „tu’ mir den Gefallen und halt’ ein bissel still. Wir sind bei unserer Rainsäulen. Schau, wenn sie eine Leich’ haben hinausgetragen vom Knatschelgut, dahier haben sie die Truhen abgesetzt zum Urlaubnehmen. Und da will ich auch absteigen und dem Heimboden behüt’ Gott sagen.“

      „Dummheiten!“ schrie der Knatschel und hieb noch schärfer auf das Ochsenpaar drein. Ein Ruck, und da