Das Grimmingtor. Paula Grogger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paula Grogger
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Исторические любовные романы
Год издания: 0
isbn: 9783990402641
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      Und nun saßen sie alle drei in der untersten Klasse des Benediktinergymnasiums. Dem Matthäus wurde in Anbetracht seines mächtig breiten Buckels ganz hinten der Platz angewiesen; dem Lukas ganz vorn, weil er seit dem Frühling erst elf Jahre alt war. Sie verachteten die mannigfachen Disziplinen der Wissenschaft beinahe gleichmäßig. Im Lateinischen kam der Älteste itzt das drittemal ohne Hindernis zur konsonantischen Deklination. Für dieses schwierige Kapitel brauchte er bereits sein eigenes System, zu welchem er herablassend auch die Brüder anlernte.

      »Merkt euch«, sagte er, »eine unteutsche Sprach ist wie ein ausgedarrtes Brotstück, kannst rundum nichts wegbeißen.«

      »Ist eh wohl wahr«, hatte Markus beigepflichtet.

      »Wann mir wer eine harte Rinde fürhalt, sag ich allemal, ich hätt inwendig ein Halsgeschwür. Und bald mir der Professa einen Brocken zuschmeißt, der mir nit zum Maul steht, nachher hust ich, daß ihm mein Speichel ins Gesicht spritzt.«

      »Hülft dir das beim Schreiben auch?« hat Markus boshaft gefragt.

      »Beim Schreiben, o je … Wann mich ziemt, es ist ein Wort gefehlt, so schmier ich gleich einen Batzen drüber.«

      Daraufhin gab Markus sich zufrieden. Wie es jedoch mit dem Lukas soweit war, sagte das Kind hartnäckig:

      »Mein Liaber, so taten die römischen Schriftgelehrten nit!«

      »Scher dich nit, du Tschappel! Die römischen Schriftgelehrten hat Godvater bei der Sündflut ersäuft.«

      »Und die Patern?«

      »Meinst …«, rief Matthäus Stralz lachend, »meinst … die traun sich mit mir raufen?«

      Markus bekundete wenigstens für Tiere und Pflanzen einiges Interesse. Er war auch, was Erfassen und natürliches Beobachten anlangt, den Stadtkindern voraus, obschon er früher die lebendigen Geschöpfe gedankenlos übersehen hatte. Aber das Heimweh äußerte sich nunmehr auf seltsame Art. Er beschrieb in den Freiviertelstunden jedes Pferd, Rind und Schaf in seines Vaters Stall; er konnte die Knochen und Eingeweide dieser Tiere mit solcher Genauigkeit aufzählen, als wäre er ein geprüfter Kurschmied. Wußte die Brutzeit der Vögel und bestimmte nach den Farben, Sprenkeln und Tupfen der Eier, was für ein rares Federvieh sich daraus entwickeln werde. Wann die Zöglinge, in Reih und Glied spazierend, weitere Ausflüge unternahmen, blieb er oft selbstvergessen bei einem pflügenden Knecht, bei Schnittern oder Mähdern stehn, bis ein Jünger des heiligen Benedikt oder ein Frater Dominikaner ihn zu vorschriftsmäßigem Betragen anhielt.

      In der Schule selbst vermochte er über die Natur nichts auszusagen. Ja, er mußte zuweilen auflachen, und es bereitete ihm den spaßigsten Eindruck, wenn die Lehrer um Dinge frugen, welche man seines Erachtens entweder von selber verstand oder sein Lebtag nicht zu wissen brauchte. Trotzdem verspürte er niemals Langweile. Er versah seine zahlreichen Studierbücher mit Abziehbildern, las Räubergeschichten und Volksbücher; und gar seit das Stiftsgymnasium durch ein Dekret Franz des Ersten restauriert war und die Zöglinge das dunkle Dominikanerkloster mit der lichten weitläufigen Abtei zu Admont vertauscht hatten, befand er sich als heimlicher Forscher stetig auf den Beinen.

      Dank der rühmlichen Fürsorg des Magisters Raimund Winkler, welcher den Öblinger Kindern das heilige Evangel sowie den Katechis hinreichend und sattsam eingedrillt, hatten sie itzt nicht not, die schläfrigen Stunden des Silentiums mit besagter Memorierkunst auszufüllen. Sie entwichen vielmehr bei schicklicher Gelegenheit hinauf in das Orgelgestühl, und sich in die Schar der Sängerknaben mischend, welche kunstvolle Kantaten und Messen übten, musizierten sie aus ihrem ungehobelten Kehlkopf wacker mit. Solches bemerkend, drückte der regens chori anfänglich ein Auge zu. Mußte jedoch ob ihrer unbändigen Stimm alsbald auch das Ohr zudrücken und sie schließlich fortschaffen.

      Die drei Stralzenbuben pilgerten wohlgemut um ein Häusel weiter. Indem für sie nämlich auf der Landkarte nichts Gescheites zu sehen war, würden sie, wie Matthäus ganz richtig behauptete, die Welt schon einstmalen auf der Wanderschaft kennenlernen. Fürderhand schnüffelten sie zu Admont jedes Mausloch aus. Und da kamen sie, weiß nicht wie, zu einem großen schmiedeeisernen Schlüssel. Selbiger sperrte das Haustheater auf, welches der kunstsinnige Abt Gotthardus trotz Krieg und Teuerung nach städtischem Muster hatte erbauen lassen.

      Die Stralzenbuben ergötzten sich baß an Dekoration, Versenkung und Maschinenwerk, und sie haben sich mehreren Spießgesellen anvertraut und etlichmal im puren Mondschein den »Boarischen Hiasel« aufgespielt … was nie und nimmer ist entdeckt worden.

      Also ist erwiesen, daß sie ihre Studierzeit mit wenig Eifer und Nutzen verwendeten.

      Lukas, der Kleinste, mußte ihnen die Hausaufgaben anfertigen. Markus hatte sich aus solcher Ursach eine sehr schräge, Matthäus eine kerzengerade Schrift zu eigen gemacht, welche unschwer nachzuahmen war. Und das Kind befleißigte sich dessen; praktizierte zum deutlichen Unterschied in jedes Pensum andere Fehler, so daß die drei Öblinger letztlich auch durch mannigfache Wunderblüten der deutschen Sprachkunst hervorstachen. Die Regeldetri jedoch behandelte Lukas mit größerer Sorgfalt, weil er, ordentlich und sparsam veranlagt, bei diesem Verfahren bald spürte, daß Geld und Geldeswert nur durch ehrliche Arbeit im richtigen Verhältnis zueinander bleiben. Er empfand es freilich nur in primitivsten Begriffen, etwa so: wie eins und eins zwei gibt, unter der Bedingung, daß man nicht schwindelt.

      Einen gewissen Sinn für die Welthistorie hatten alle drei vom Vater übernommen. Doch zur Zeit reichte er just für die sichtbarsten Äußerungen derselben, wie Feldzüge, Schlachten, Aufstände und die dabei in Betracht kommenden Waffen und Uniformen. Den Grund oder Zusammenhang der Begebenheiten erfaßten sie noch nicht, etwa schon deshalb, weil sie unreif und ohne Vorkenntnis in dem Mittelpunkt einer furchtbaren Epoche standen. Sie hörten geschichtlichen Erzählungen mit rührender Hingabe zu, begeisterten sich, aber weil es im Letzten, Tiefsten nur bildlich blieb, verwechselten sie die Dinge bald.

      Geradezu taub waren sie für physikalische Belehrung. Matthäus hatte auch in diesem Punkt die maßgebende Ansicht. »Das Wetter …«, sagte er, » … steht im Mandlkalender, und das andere ist ein Dreck.«

      Die Brüder nickten und betrachteten den Gegenstand für erledigt.

      Derart also gestaltete sich der Bildungsgrad der Stralzenbuben; und als sie im Jahre neun mit rot durchstrichenen Theken und spottschlechten Zeugnissen kreuzfidel in die Ostervakanz fuhren, konnte jedermann bereits annehmen, daß sie ohngeachtet ihrer hellen Köpfe niemals würden dem Gymnasium zur Zierde gereichen.

      Zumal aber die Umstände einer großen herzbewegenden Not alles Persönliche in den Hintergrund drängten und der Stralz mit seiner Zeitung, dem Tagebuch und kriegerischen Gesprächen genug zu tun hatte, fiel der Empfang nicht sehr betrüblich aus, und das Gesicht der Buben strahlte immer breiter in ganz strafwürdiger Glückseligkeit.

      Sie fasteten alsdann am Karfreitag, heiligten löblich die Ostervigil, indem sie ein Osterfeuer auf dem Hollerbühel abheizten, taten Sonntags dem Geweihten alle Ehre an und trabten schon am Dienstag wieder nach Admont, weil dortselbst ein großer Wolf sein Unwesen trieb.

      Wie vormals angedeutet, war das Vaterland der Schauplatz bitterster Begebenheiten. Rückblickend fand der Stralz in seinen Aufzeichnungen bedenkliche Lücken, welche er seit Jänner mit Absicht frei gelassen. Er gedachte nämlich in späterer Zeit sie mit dem wahrhaftigen Sachverhalt der Dinge auszufüllen, sintemal sie itzt noch entstellt in das Volk kämen oder gar vertuscht würden.

      Dieses letzte bestritt zwar sein Gevatter, der Ennshofer, der häufig herauffuhr, um zu disputieren, ansonst aber waren sie einig, fürnehmlich was den Generalissimus Erzherzog Karl betraf. Sie hatten sich gleich ihm gegen eine allzu frühe Erhebung gewehrt, weniger weil sie über die ungeschulte Landmiliz ihre Befürchtung hegten oder den bedrohlichen Worten Napoleons Gehör gaben, viel eher aus der Bedächtigkeit und Ruhe ihres Hausverstandes, der alles abwartete und doch nie zu spät kam.

      Ganz gegenteiliger Ansicht war der Pfleger von Gstatt, der im vergangenen Herbst den Erzherzog Johann auf die Gemsjagd begleitet hatte. Seine Hoheit, so erzählte Pater Gabriel, wäre unverhohlen für das Dreinschlagen begeistert und habe, während sie im Schwarzensee