Der schwarze Balthauser klopfte an seine Brust und sagte: ›Arme Seelen wimmern auf dem Dornbusch … die in der Liebe verbrunnen sind.‹
Nachdem sie dieses also erkannt hatten, zog jeder seine Kerze aus dem Sack und hielt den Docht an den wilden Rosenstock und nahm eine Flamme, um sie dem Heiland der Welt an die Wiege zu tragen. Sie machten sich alsbald auf den Weg. Sie wateten unerschrocken durch das rote tote Meer, und wenn es so tief war, daß die Wasserflut bis an ihre Lippen quoll, hoben sie die Kerze über sich, damit sie nicht erlosch. Sie brauchten Tag und Nacht, bis sie am andern Ufer stunden. Allein auch hier vergönnten sie sich keine Rast. Sie gingen und gingen durch die weite Landschaft des Herodes, und auch bei ihm selbst verweilten sie nicht; denn der Stern zeigte weiter, und die Flamme in ihrer Hand war schon klein. Als sie aber letztlich im Stalle von Bethlehem Jesum fanden, den sie gesucht hatten, da fielen sie matt in die Knie und legten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe hin. Öchsel und Esel rochen daran. Das Kind jedoch schlief. Maria, seine Mutter, zopfte sich gerade das seidene Haar und frug:
›Heilige Drei Könige, was bringt ihr da?‹
Es wollte jeder das Seine zur Antwort geben. Der Sinn war vom Glanz geblendet, der Mund vom Durst verschmachtet, die Hand vom Tragen schwer. So ließ jeder das Wachs dem Kinde auf die Brust tropfen, und jeder sprach wundersamlich:
›Eine Allerseelenflamme.‹
Da wurde das Kindlein munter und griff darnach. Und Maria, seine Mutter, sang:
›Die drei Seelen, o Jesus mein,
Werden dem Kaspar, dem Melcher und dem Balthauser sein.‹ So, das ischt die Geschichte von den Hetschebetschen, von den Sternguckern und vom Jesuskind …«, sagte der Bäckenhansei.
Die Kinder schauten ihn groß an. Regina legte wiederum den Finger geheimnisvoll an die Lippen und frug:
»Hansei, hast du drum so viele Kerzen angezunden, daß Jesus sie sehen soll?«
»Ja«, sagte der Bäck, »eine hab ich annoch. Geht mit zum Jager seinem Büherl; dort zünd ich sie an.«
»Na, na. Muß der Frau Muatter helfen Weinbeerl klauben!« rief Lukas und verschwand.
Matthäus lachte grölend hinter ihm drein.
Es war indes die frühe Nacht gekommen. Schwarz reckten sich die Kreuze aus dem schwarzen Anger. Die weißen Dahlien und die gelben Ewigkeitsblumen hingen traumig an geknickten Stengeln. Dazwischen leuchtete ein gemalter Heiland. Moospölster lagen über den Weg gestreut. Fein strich der Nebel durch den entlaubten Holunder … Hansei zaschte murmelnd voran. Die zwei Kinder hielten sich an der Hand, sie gingen auf den Zehen und wagten kein lautes Wort, denn sie meinten, er werde mit dem armen Sünder eine unheimliche Zauberei aufführen. Über dem Grab im Winkel häuften sich zerbrochene Tonscherben. Dürres Efeugewind, Dachschindeln und Steine waren hingeschmissen. Der Bäck räumte den Unrat hintan. Dann steckte er eine Kerze ins Erdreich, wo es von einer Schermaus aufgewühlt war, und rieb sein Feuerzeug. Blau stand die Flamme über dem Docht. Kein Luftzug berührte sie. Ferner Vogelflug und der Hauch der Kinder schwang durch die Stille.
»Bst!« sagte Hansei, »die großen Leut werfen Steine her, und die kleinen hüpfen über sein Herz, selthalben kann er nit schlafen.«
»Warum ist er denn verdammt?« frug das Dirndl scheu.
»Bst!« sagte Hansei. »Sei stad und bet ein Vaterunser für ihn. Er hat ein Herz wie der schwarze Balthauser gehabt. Wo viel Liab ischt, da ischt viel Myrrhe.«
»Was ist das?« frug Matthäus.
Der Bäck wußte es selbsten nicht genau. Seine blauen Augen glurten leer und rund in den Schein. Er sagte mit starren Lippen:
»Die Myrrhe ischt ein Tropfen … gelb wie der Wein und bitter wie der Tod. Ihr werdet sie annoch koschten müssen. Dann gedenket an die arme Seel in der Gruben. God sei uns allen gnädig! Amen.«
Matthäus zog das Mädchen aus dem Winkel fort. Es war ihnen beiden kalt und bang geworden. Sie wagten nicht umzuschauen, sie gingen mit eiligen Schritten aus dem dunkeln Freithof und erzählten keinem Menschen, was der Hansei Rares zu ihnen gesagt hatte.
Am Tage vor Martini sprach der Propsteipfleger beim Stralzen vor. Er hatte ein graumeliertes, festes Papier in der Hand, welches der Länge und der Breite nach zweimal gefaltet war und dort, wo die Ränder des Schreibens sich berührten, eine schon erbrochene bischöfliche Sigill und auf der andern Seite folgende Anschrift zeigte:
Grätz.
An die Propstey Herrschaft Stainech
Gstatt.
Im Schreiben selbst gab der Prälat in regelmäßigen, edlen und ein wenig nervösen Zügen seinen Willen solchermaßen kund:
»Lieber Pfleger!
Ich bin dem Wunsche des Pater Isidor gar nicht entgegen, da ich ihn ganz billig finde; und ist demnach von Seite der Herrschaft mit dem Pächter Stralz zu unterhandeln, daß er gegen verhältnismäßigen Abzug an Pachtquantum, das 1/4 Tagwerk vom Dienerfelde, welches hienach zu messen sein wird, abtrete. Dieses wird denn zum unentgeltlichen Genusse ad dies vitae meae nach Pater Isidors Gesuch zu vertheilen sein, bei meinen Nachfolgern wird um Fortsetzung dieser Wohltat anzusuchen sein. Ich will diese Kleinigkeit nicht gerade alieniren, indem es viele Schreiberei kosten würde, als ob darüber die Herrschaft Gstatt zu grunde gehen könnte. Pater Isidor hat sich um meine Pfarre schon viele Verdienste erworben, daß es billig ist, sich derselben durch das bei meinen Nachfolgern zu erneuernde Gesuch zu erinnern. Dies ist demselben als Bescheid auf seine an mich einbegleitete Bitte zu intimiren.
Grätz, den 6. November 1806. Gotthard, Abt.
NB. Dem Bauern vulgo Hochsattler in der Sölk wird eine entsprechende Entschädigung von 15 fl. für den vom Hochwild verursachten Schaden, sowie ein Metzen Korn zu überweisen sein.«
Vom Matthäus Stralz stand kein Wort. Und maßen dies als Zusage anzuerkennen war, packte die Frau Mutter ihm den Koffer. In der Morgenfrühe des Martinitages stiegen Vater und Sohn, zur Reise wohlgerüstet, in den eigenen Wagen, der sie zunächst bis zum Herrn Göden nach Stainach bringen sollte. Von dort aus gedachten sie die Post zu benützen oder auch für eine längere Wegstrecke die Fahrgelegenheit des Matthäus Ennshofer. Denn es war wohl zu erwarten, daß er selber eine derartige Einladung entgegenbringen werde, indem er nämlich längst versöhnt war und zu den Osterfeiertagen allemal einen verläßlichen Boten schickte mit einem Korb, enthaltend gebundene und gefärbte Eier, drei flaumige Weihbrote und drei Silbertaler.
Voll Gedanken nun, die sich auf den Göden, auf süßes Zuckerwerk und die unbekannte Welt bezogen, saß Matthäus vergnügt in der Kutsche.
»Schau dir’s Haus gut an, was … so Gott will … später dein gehört, und mach ihm keine Schand.«
So sagte der Herr Vater.
Die Frau Mutter wischte sich mit dem Schürzenzipfchen die braunen Augen aus, drückte ihm zitternd das Kreuz auf Stirne, Lippen und Brust und trat wieder zurück unter die Dienstboten und Einleger, die auch beim Haustor standen. Die beiden Brüder hatten den Hund am hänfernen Strick gepackt und hielten ihn immer fester und schauten wie junge Stiere. Ganz umsonst befahl ihnen die Regina, sie sollten »Pfüat Gott« sagen. Ganz umsonst.
Da nahm sich die kleine Stralzendirn den Mut, lief zum Wagen, streckte die rauhe, abgeschürfte Kinderhand mühsam hinauf. Und sagte mütterlich und doch schelmisch lächelnd:
»Mein Liaber, hiaza muaßt brav sein!«
»Hüa!« schrie der Matthäus und faßte keck die Zügel, die auf seines Vaters Knien lagen. Und fuhr davon.
Da gab es den Brüdern und dem Hund einen Ruck. Und sie liefen der Kutsche nach, bis sie müde wurden.
Aber Matthäus drehte sich nicht mehr um.
IN DER STUDI
Ähnliches trug sich auch in den folgenden Jahren zu, nur weniger