»Weißt, die Geschicht ist aso: wann ich einen schlechten Knecht gestreng angreif, alsdann kann er mir das Haus abheizen; wann ich ihn gelind angreif, alsdann nimmt er mir das Haus weg; verstehst? Aber mit einem schlechten Knecht därf ich nit rechnen. Verstehst? Wann der Herr was hergibt, so denkt er auf die Guten.«
Das sei in politischen Dingen schon möglich, gab der Franzose zu. Allein wohlgemerkt, in religiösen habe er weitaus geringere Zuversicht. Und er vermute, daß vonwegen der Gröbminger und Schladminger, nicht zu vergessen der Ramsauer Ketzer, werde noch in grausiger Art die Rede sein.
»Nein«, sagte der Stralz wiederum, ohne daß ein Fältchen seines Gesichtes zuckte. »Nein, Herr Lebzelter, glaub Er’s: gegen seine Lutherischen hülft kein Kaiser, kein Künig und kein Schwefelregen. Wann von denen einer umsteht … muaß es wohl einwendig brennend werden.«
An solchen Feuerbrand des Herzens aber mochte der Franzose baß nicht glauben, insonderheit er die Leidenschaft und Erschütterung stets mit äußern Anzeichen verbunden wähnte und aus Ursach dessen die kargen und trockenen Menschen dem Hochgebirge ringsum ähnlich fand und, hiebei die nackte Natur noch mehr verkennend als ihre Inwohner, im Grunde genommen den trefflichsten Vergleich tat. Denn wie der ewige Firnschnee dem Entfernten nur einen starren Hauch zuwendet, den Nahen aber erwärmt und durchschauert wie die Liebe, das Fieber, nicht selten wie der Tod … so hat auch der Bauer, insoweit er von Götzendienst und Komödie noch unversehrt und rein ist, die ganze Größe des Gefühls in sich; nur daß niemand … weder Vater noch Mutter, Kind und Kindeskind dasselbe erfaßt; es sei denn, daß einer selbst die Hand auf den hohen Firn legte … wie Sankt Thomas in das heilige Blutmal …
Unter dem Disput war schier eine halbe Stunde verstrichen. Der Stralz zog den Geldbeutel, zahlte seine Schuldigkeit und ließ den winselnden Hund im Vorhaus zurück. Dann gingen sie zum Hochamt. Die große Glock hub schon zu schwingen an. Die Kirchleut warteten allbereits ziemlich gedrängt auf den Stufen und im Vorbau. Auch Kinder genug trieben sich herum. Die Stralzenbuben freundeten sich mit keinem an und wichen dem Herrn Vater nicht von der Rockfalte. Das Feierliche des Ortes, der Tracht und Gebärden verwirrte sie, obschon es ihnen keineswegs neu war.
Nachdem sie das Hütel abgenommen und das Kreuz gemacht, wollten sie, keck ausschreitend, in den schön geschnitzten krumpen Stuhl hinein.
»Stehnbleiben!« gebot der Herr Vater. »Wir haben da keinen Stuhl gelöst.«
Und sich ein wenig niederneigend, erklärte er ihnen die kunstvolle Bauweise, zeigte mit sachter, unauffälliger Bewegung die Votivbilder und das gemauerte Chorgestühl, dessen Bogengeländer die bunten Farben der Fenster empfing. Er zeigte ihnen das Pförtchen, so zur Schatzkammer und zum Turm führt, und machte sie auf die Kanzel aufmerksam, hiebei fragend, wer wohl die Männer wären, mit dicken Büchern daselbst aufgemalt. Die Kinder rieten hin und her, bis er ihnen kundtat, es seien die vier Evangelisten. Da fühlten sie einen mächtigen Stolz in sich und musterten einander, um eine Ähnlichkeit mit den Heiligen herauszufinden. Sie entdeckten aber, selbst von ihrer kindlichen Phantasie unterstützt, gar keine und sprachen schließlich unzufrieden und ernüchtert den Vorwurf aus, daß ihnen überhaupt eine abginge … Doch schon im nächsten Augenblicke deutete Lukas auf ein großes Bild, welches am unteren Ende, abgesondert von der Hauptdarstellung, einen Ritter in finsterer Eisenrüstung und, auf ihn zukommend, mehrere Frauenspersonen zeigte, teils groß, teils kindlich, alle aber strenge mittelalterlich … fast nonnenhaft gekleidet und mit ihrem Adelswappen signiert. Zwischen diesen, nur ferner in den Hintergrund gerückt, stand ein pudelschwarzes Weib bei einem Butterkübel.
Was das bedeute? frugen neugierig die Kinder.
Ohneracht die Gröbminger schon vereinzelt in die Kirche traten, explizierte er ihnen solches Gemälde als das Grabdenkmal des Herrn Christophorus, Schloßherrn zu Aigen, und seiner Gemahlinnen, abgeschieden in Christo gegen die Wende des sechzehnten Jahrhunderts. Hintenbei wäre die Sennin, welche auf einer Alm inner Donnersbachwald hab gehauset und gewirtschaftet. Nach überliefertem Bericht sei dieselbe mit dem hölledigen Satan im Bunde gewest und habe jedes Freitags sündlich Fleisch gefressen und gefaulenzt. Und wann der Halter den Käse und Schotten auf seine Buckelkraxe getan und nach dem Bütterl fragete, hat sie allemal tückisch gelacht und geschworen, selbiges werde am Sonntag schon unten sein. Und richtig! Zur gegebenen Morgenstund, kaum daß die Kapuziner von Irdning die Matutin geläutet, ist das Rührkübel im See geschwommen, und der Herr Graf Christophorus konnt es vom Fenster seiner Schlafkammer aus gar deutlich sehen. Nachdem ein Knapp es geholt und eine Dirn den Deckel und Stessel hinweggeräumt, erblickte man jedesmal einen Butterstrutzen, gelb und locker und seine elf Pfund wohl schwer. Ganz vergeblich hat das erste Gemahl des Grafen gebeten, das unheimliche Weibsbild zu verjagen. Nagenden Schmerzes voll, mußte sie frühe sterben. Das gleiche Schicksal erfüllte sich auch an seiner zweiten und dritten Ehefrau. Die vierte, Potentia mit Namen, war eine resolute Person. Gab dem Hüterbuben ein Beutlein Silberbatzen, damit er die Spitzbüberei aufhelle. Solches ist ihm de facto gelungen, indem er nämlich in einer Samstagnacht, hinter der Sennin herschleichend, bemerkte, daß sie ihr Kübel voll sauern Rahm zu einem versteckten Almtümpel schleppte. Alsdann hat sie neunmal in einem Atem ihren Zauberspruch gewispelt, das Faß angespuckt und hineingeschmissen. In einem unterirdischen Wasserlauf, berichtete der Halter, mag es der Teufel an seinen Schwanz gebunden und in den Butterer See geschleift haben. Die Frau Potentia behielt solches nicht für ein Geheimnis. Sie entdeckte es stante pede ihrem Eheherrn Christophorus. Aber das letzte Wort sagend, sank sie um und war tot.
Ein graues, steinaltes Mütterl, welches neben dem Stralzen den Rosenkranz herabbetete und mit augenscheinlicher Neugier und Mißbilligung zugehorcht hatte, behauptete itzt steif: Die Geschicht sei gewiß erlogen. Denn allhier habe man den Grafen von Moosheimb mit seinen Frauen und Kindern aufgemalt, denselbigen, der ein Kreuzritter gewesen und vom Papst mit einer geschnitzten Mutter Gottes beschenkt worden ist. Weitum hätten sie das wunderbare Bildstöckel gerühmt, und zu Pestzeiten hätte sich rings der Boden gesenkt unter den Fußtritten der Pilger. Darum wäre noch anheut der Ort Maria-Grüaberl benennet …
Die Hex hintenbei möchte wohl seine Stalldirn sein. Sie ist vor etzlichen hundert Jahren mit Haut und Haar auf dem Scheiterhaufen eingegangen, weil sie nach beschworenem und gesiegeltem Bericht der Kalenderschreiber im strengen Winter blühende Buschen am Fenster gezogen und, was noch höllischer, mehr Butter gerührt habe als die besten Bäuerinnen weitum. Verstreut sei ihre Asche in alle Wind, der Leichnam des Moosheimber Grafen jedoch unter der Kirchen begraben; man sehe noch den gemeißelten Pflasterstein, gerade dort, wo das Büberl herumsteige. Und sein Kirchenstuhl, reich geschnitzt und kostbar, befände sich gerade über dem krumpen Stuhl.
Solches hörten sie.
Der Herr Vater sonderte und ordnete es akkurat in seinem Gedächtnis; und nahm mehr für sich allein weitere Anschauung vor, denn die Kinder suchten bald mit beweglichen Augen überall wie gefangene Vögel und fanden in wunderbar gerechter Einfalt keinen Unterschied zwischen Gottes kleiner Spinne, so da wob, und den großen harmonischen Künsten eines Baumeisters. Und inwährend der Stralz mit ruhiger, fast verlorener Andacht den Flügelaltar bestaunte, an Christi Leiden und Glorie sich erbauend, zählte Markus die Rosettchen der Glasmalereien, gaffte Matthäus ohne Unterlaß auf den Lichträuber, welcher von einer armdicken Kerze brenzelnd herabqualmte. Und Lukas, der Kleinste, hielt mit einer gruseligen Freude seinen Hut unter den Moosheimber Stuhl, weil er hoffte, das Spinnlein werde hineinfallen.
Die Frauenzimmer sahen schon ärgerlich drein. Und auch die Männer mißbilligten das halblaute Gespräch des Stralzen und fanden den Leumund so unbegründet nicht, der im Ennstal und selbst in den Gräben über ihn besagte, er sei ein heimlicher Freigeist. Der Herr Vater scherte sich nicht darum. Nur da aus der Sakristei schon ein Ministrant herfürtrat und den Glockenzug faßte, fand er es geziemend, seine Betrachtung abzuschließen. Er lenkte die Aufmerksamkeit seiner Söhne noch kurz zu den schön geformten Pfeilern hin, welche emporstrebend das feine Netz des blauen Spitzgewölbes tragen.
Solches, erklärte Vater Stralz, solches bedeute für den Ort eine Rarität, zumal es gotisch sei. Daheim, wie sie wüßten, habe die Kirche nur einen Dibbelboden.
Diese Rede