Man möge nicht glauben, daß Herr Matthäus Ennshofer leichtsinnig seine Christenpflicht verabsäumte. O nein! Kaum daß er die Post von dem lebfrischen Zuwachs erhalten hatte, zog er schnaufend den grünen Frack an, putzte die Griesentaler und kutschierte nach Öblarn. Er greinte nicht einmal, daß er durch die Abwesenheit des Pfarrherrn formaliter der Gefoppte war, sondern erbot sich fürmehr, mit dem Täufling vierspännig nach Gröbming zu fahren. Nur einzig wegen des heiligen Evangelisten Lukas kam er mit der ganzen Stralzischen Freundschaft in Zwietracht.
Sie saßen im Tafelzimmer um den ovalen Tisch und hatten noch die schweren Weisetkörbe beiseit stehn. Da war auf dem Kanapee also der Ennshofer, rechts der Kurschmied Zedler und links Johannes Sorger, diemals schon Bergverweser. Andreas Stralz stund am Gartenfenster, das von blühenden Baumkronen fast verhangen war, und hatte ein so merkwürdiges Lächeln im strengen Gesicht, als ob er lediglich seinen Spaß wolle bei diesem eifrigen Disput.
»Alsdann«, sagte Sebastian Zedler und wichste mit seiner Schmiedepratze drein, »gibt es sonst gar keine Heiligen im Himmelreich als vier Evangelisten?«
Und der Verweser, welcher sich nirgends mehr zu Haus fühlte, seit er aus dem finstern Grubenloch in die helle Luft versetzt war, der Verweser sagte mit einem erschreckten aschgrauen Lächeln:
»Jawohl, so mein ich auch. Gefallt dem verehrlichen Herrn Göden vielleicht der Namen Andreas? Der Namen Franz Xaver? Oder Josephus? Oder Johannes? Sind bereits in der Stralzischen Freundschaft der Brauch.«
»Johannes heißt nachher der viert«, bemerkte der Ennshofer kurz. »Der da heißt Lukas … der Erleuchtete!«
Zedler kicherte, tunkte sein Kipfel in den Wein und rührte, daß die Krumen tanzten. Hienach zermummelte er das Brot auf einen Stumpen und spie die Zibeben weit von sich.
»Hiaz beim Kriag«, sagte er, »brauchen wir keine Bibelschreiber, fürmehr Soldaten, Pionier, Tamboure, Wachtmeister, Reiter und Feldherren!«
»Jawohl«, sprach bescheiden der Verweser.
Plötzlich schrie der Zedler:
»Nennts ihn Karl!«
»Oder Napoleon!« sagte Andreas Stralz launig.
Der Moar von Stainach, ein guter Patriot, wurde dunkel über das ganze Gesicht. Die Polsterung des Kanapees hub unter seinen kurzen zornigen Atemstößen zu zittern an. Er griff um sein blaues Parapluie und um seinen monströsen Filzhut, der bereits nach der Mode großer Herren geformt und mit einem kostbaren Gamskranzel geziert war. Er wäre de facto gegangen, wenn nicht Frau Constantia so vernehmlich aus dem Himmelbett geseufzt hätte. Dies rührte ihn, und er entgegnete würdig, ohne den Stralzen anzublicken:
»Nomen est omen. Beliebt es der Frau Muhm alsdann, daß wir taufen fahren?«
»Bitt schön, Herr Vetter«, sprach die Stralzin und nickte, wiederum in ihrer herben, unnahbaren Art, daß Johannes Sorger heimlich erschrak und sich baß verwunderte, wie eine arme Knappentochter in diesem reputierlichen Hause und in Gegenwart dieser ehrgeachteten Männer dermaßen stolz sein durfte. Da sie nicht mehr sprach und der Vater noch immer belustigt durch das Fenster in den Garten sah, schlich der Großvater sachte fort und holte die Buglmüllerin, die seit einer Stunde mit der zuckerweißen Fatschdecke auf diese Einladung wartete. Niemand wußte recht, was von dem Ausgang zu halten war. Der Kurschmied nutzte schlau die Zeit und trank den Wein aus, der annoch in den Gläsern und in der Flasche geblieben, und Matthäus Ennshofer promenierte mit schweren Schritten vor dem Täufling hin und her, bedenkend, daß sich einem reichen und einflußreichen Manne die Leute zu guter Letzt doch immer subordinierten.
Es erschien alles in bester Ordnung. Das Griesengeld lag auf dem Tisch. Die Roß vor dem Tore stampften und wieherten schon. Die Wehmutter kam im teuern Seidenkittel dahergelaufen und fiel in ihrer Eilfertigkeit und Ehrerbietung dem Herrn Göden fast zu Füßen. Und der Herr Göd reichte ihr wohlmeinend die Hand zum Gruß und Kuß.
Da gellte ein unbeschreibliches Geheul über die Stiege. Die Tür prallte krachend an den Ofensims. Matthäus bumste herein, stracks gegen das Himmelbett … Markus ihm nach. Langsam folgte der Hansei.
Alle heiligen Nothelfer! Die zwei Buben sahen schön aus! Der Frau Mutter entglitt vor Schrecken das Wiegenband. Und die Buglmüllerin tat einen grausigen Schrei. Auch Matthäus Ennshofer war auf einen solchen Anblick keineswegs gefaßt. Die vier Mannsleut nun fuhren mit barschen Reden her und wurden um nichts gescheiter. Erst wie die Mutter fragte, was den Kindern in Gottes Namen alles weh täte, da wetzten sie hinterrücks an den Hosen und wollten flennend zu ihr ins Bett. Der Hansei errötete fiebrisch. Das Kröpfel, was sich auch schon angesetzt hatte, trotzdem er kein gebürtiger Steirer war, das Kröpfel kreißte. Jäh fing er in seiner mondscheinigen Art zu reden an:
»Ihr habt wieder ein Kindl, weiß und rot. Will’s nit verschreien. God Vater, God Sohn, God Heiliger Geischt soll’s behüaten … Wie geht’s der Stralzin?«
»Dank schön«, sprach die Mutter und funkelte ihn mit ihren braunen Augen hitzig an. »Hast du meine Buam aso geschlagen?«
»Ich?« fragte der Bäckenbursch. »Kaspar und Teufel haben wir gespielt. Der Herr Vater hat ohnedem auf uns herabgeluget. Euer Kleiner ischt der Kaspar gewescht. Und Euer Großer der Teufel.«
Andreas Stralz griff dem Hansei unters Kinn und sagte voll Heiterkeit:
»Einen schicklichen Ort hast gefunden für die Abrichtung; zu Häupten ein Paradeis, Vögel und blühende Wipfel … zu Füßen ein Misthaufen!«
Das frühreife, magere Jünglingsgesicht blieb völlig starr.
»Allweil im Lenz ischt die beschte Zeit. Da muß die frumme Kraft den Dreck durch die Baumadern emporziehen, bis der Gestank sich in Wohlgeruch verwandelt. Die Kinder haben’s nit begriffen. Kaum sitzet der Kaspar auf dem weißen Ast, packt ihn der Teufel beim Hosenzipf und schmeißt ihn gröbbisch in die Mistlacke.«
Herr Matthäus Ennshofer beugte sich zum Zedler hin und frug, seinen Groll vergessend, ob der Bursch vielleicht wahnwitzig oder unsinnig sei.
Der Kurschmied, der in der Arzneikunst zwischen Mensch und Vieh keinen besonderen Unterschied fand, antwortete ernsthaft:
»Hat Würm im Kopf, der arme Kerl.«
Dann nahm er aus dem Weisetkorb ein mürbes Bacht und lockte damit die zwei Schweinigel von der Mutter weg. Sie bissen gleich wacker zu, lachten und weinten, und die Tränen kugelten über die Farbenglori wie Seifenblasen über ein scheckiges Blumenfeld.
»Jawohl«, sprach Hansei. »Der Kleine hat einen Charakter in sich. Hat stad und stumm seinen Schädel wieder aufgereckt. Wird bald nervig sein und das Herz auf die andere Seiten tun; so gespürt er keinen Stock und keinen Rutenstreich. Aber der Große!«
»Geweinet hat der Markus auch«, trutzte die Mutter zurück.
»Einzig aus brüderlicher Erbarmnis. Weil nachbei ich den Kaspar gespielt hätt … Weil ich dem Teufel die Flachsen und Beiner liniert hätt … damit sie den frummen Kräften willig werden.«
»Lüg nit, Hansei!« rief Frau Constantia, »auf deutsch gesagt, du hast ihn eh geschlagen!«
Der Bäckenbub hob ihr das Wiegenband auf. Gab zur Antwort: »Wundersamlich. Weiß und rot, zwischen Mutter und God ischt so ein unschuldig Kindel. Wie tut Ihr’s taufen?« Andreas Stralz legte dem Spintisierer die Hand auf die schiefe Achsel.
»Er hat ihn nicht geschlagen. Item, der Lausbub hat sich mit der Mistgabel gewehrt. Hat geflennt und geflucht. Ist letztlich wütend davongeloffen. Was meint der Herr Göd, stünd das Bibelhandwerk nit besser dem Hansei zu wie meinem Sohn?« Matthäus Ennshofer, der dem Humor des Stralzen bislang mit Anstand begegnet war, hörte nun seine selbeigene Person, mehr noch den heiligen Fürsprech beschimpft, von dem er die deutliche Vorstellung in sich barg, daß er mit dem lieben Herrgott bei der Mahlzeit säße, Ihm das Brot reiche, Ihm den Wein schänke und tatsächlich ein Moar und Freisaß des himmlischen Königreiches sei. Der Ennshofer nahm