»Stanzi«, sagte er, »der Göd ist nit kömmen, wohl aber die neuen Schulmeisterleut. Möchten ein Mittagessen. Führ sie ins Tafelzimmer, ist eh schon aufgedeckt.«
»Ja«, bestätigte der zugereiste Mann. Er sei der Schulgehilfe Raimund Winkler aus St. Gallen, welchen Seine Gnaden der Admonter Prälat mit dem selbständigen Posten in der Pfarre Öblarn betraut habe.
Er reichte sodann dem Roßknecht zehn Kreuzer Trinkgeld, langte um das kleine Mädchen, welches seiner Frau schlafend auf dem Schoße lag, und trug es ins Haus. Oben im Tafelzimmer wollte er jedoch stante pede umkehren, zumal er das kostspielige Geschirr und die vielen Gerichte sah. Die Stralzin kam indessen schon mit dem Suppentopf, und der Stralz sagte, die Stühle rückend:
»Wöllet zugreifen. Gott geseng Euch den Einstand!«
Die Schulmeisterleut waren völlig benommen. Es ziemte ihnen alles wie ein schönes Wunder.
»Mit Verlaub«, sagte er.
»Ich bin so frei«, sagte die Schulmeisterin. Dann nahm sie das Strohhütlein vom Kopf und das Tuch von den Schultern, legte beides auf das Kanapee. Und der Mann bettete das kleine Mädchen so, daß es mit den Füßen auf dem Tuche lag. Es war ein liebliches Kind, vielleicht zweijährig. Hatte über jedem Ohr schon einen kurzen prallen Zopf. Um den Hals hatte es eine reinliche weiße Krause. Ebenso weiß blitzten unter dem Kittel die Strümpf herfür.
Die beiden Stralzenbuben hatten sich hinter ihrer Mutter sacht ins Zimmer gedrückt; standen mit ihren Pfingstrosen stumm und dumm. Auf einmal, mitten in die Stille der Mahlzeit hinein, fragte Markus:
»Is das der Göd?«
Und Matthäus sagte:
»Gehört das Dirndel unser?«
Da blickte die Schulmeisterin zum erstenmal munter vom Teller auf. Ein Wort gab das andere, und die Befangenheit und die Ermüdung wich mählich von den Gästen. Sie erlabten sich wirklich an guten Speisen, kosteten vom Bier, schmeckten am Wein, und jedes legte für das schlafende Kind ein mürbes Butterbrot auf die Seite.
Es war gut so. Denn Matthäus Ennshofer brauchte viele Jahre, bis er die schmerzliche Kränkung vergaß, und fuhr erst nach Öblarn, als dem dritten Kinde der Frau Constantia schon die Milchzähne eingeschossen … und wieder ausgefallen waren. Wir möchten fragen: Bekam es füglich überhaupt keinen Göden?
O ja! Am nämlichen Tage noch, als die Schullehrerleute beim Stralzen den Taufschmaus aßen, erbot sich der Zedler, den Eltern aus der Verlegenheit und dem Kinde aus der Erbsünd zu helfen. Notabene mit dem Fürbehalt, daß sie beide, er und der Ennshofer, im Kirchenbuch verewigt würden, inmaßen einer das Griesengeld und der andere das Trinkgeld stifte. So sagte der Zedler und ließ sich also schwer aufs Kanapee fallen, daß er das zarte Schulmeisterkind bald erdrückt hätte. Man sah, er hatte sich den Moar von Stainach zum Beispiel genommen. Er trug einen grünen Tuchfrack und einen modischen Filzhut, mit einem Gamskranz sündteuer geziert. Und sein Gesicht glänzte und strahlte so zufrieden, so ehrsam und reputierlich wie der Vollmond, wann er seine feistesten Sternlein zur Parade aufführt. Als die Buglmüllerin mit dem weißen Fatschpölster erschien, reichte er ihr die Hand zum Gruß und Kuß. Und als die Eltern fragten:
Wie er das Kind heißen wölle?
Da machte er einen gewichtigen Deuter gegen das frühlingsblaue Firmament hinaus. Da sprach er:
»Lukas. Der Erleuchtete. So will’s der Obergöd. So will’s der Untergöd. Nomenes … Domenes. Hiaz tan wir taufen!«
SPAZIERGANG
Und die Zeit verstrich. Pater Laurentius Perger segnete indessen die Menschen, wie es sich schickte, den einen mit Wasser, den andern mit Erdreich; er segnete so oft und so lange, bis er müde war und zu einem schnellen seligen Tod entschlief. Das ewige Leben aber knospete weiter, auch im alten Stralzenhaus. Die drei Kinder erhielten sich weiß und rot bei quellfrischer Munterkeit und gesundem Appetit. Sie waren selten brav, niemals mustergültig und gebärdeten sich oft dermaßen stark, daß Frau Constantia sie mit peinlichen Justizgriffen nicht mehr meistern konnt und sie in die Rauchküche einsperrte, bis auf den Abend der Moarknecht Zeit fand, sie tüchtig zu streichen. Sie waren aber doch die Freude ihrer Mutter. Und wann in diesen Jahren manchmal ein Schatten über das frauliche Glück der Stralzin ging, hatten nicht die Untugenden der Kinder, sondern die karge Wesensart ihres Mannes oder vielleicht auch ihre unmaßliche große Zuneigung schuld daran. Sie hatte ihr Herz dem einen aufgespart. Und weil sie einmal seine Lieb verkostet hatte, war ihr immerwährend bang nach ihm. Sie wollte sich in vielen Aufmerksamkeiten verschwenden und verschenken, sie erlebte Wunder, wo er lediglich den Lauf der Natur empfand.
Er nahm die Zeit seines Lebens für einen schönen weiten Spaziergang; hatte keinen Ehrgeiz, dachte weder ans Reichsein noch ans Armwerden, er sog die Lust bedächtig wie die Luft und wies jede Sorge von sich, weil sie ihn belästigt hätte.
Da hat ihn einmal seine Muhme zu sich berufen. Sie war steinalt und fühlte ihren Hinschied.
»Stralz«, sagte sie, »morgen steigt mir das Wasser zum Herzen. Ich gespür’s. Setz dich her da.«
Die angstig heiße Stube, in der es von Hönig, Wermut, Wacholder und Mixturen roch, behagte ihm übel. Die Katze mit dem schäbigen Schwanz, die unaufhörlich an den Hadern und Tüchern herumschnurrte, die Bresthaftigkeit der armen Frau verursachten ihm ein Gefühl des Widerwillens. Er stand noch immer. Und sie hub an, als hab’ sie alles ihr langes Siechtum hindurch eingelernt.
»Stralz«, hub sie an, und ihre entzundenen Augen, das einzig Lebendige an ihr, suchten die Wände ab. »Wie du halt magst. Ich hab das Haus und zwanzig Joch Grund herüben, den Wald auf dem Mitterberg und etliches Kleingeld … in meinem Strumpf. Morgen ist alles dein. Ich verlang davor nit mehr, als daß du meine Leich zahlst vom Haustor weg, ein geschmiedtes Kreuz und Requiem jedes Jahr an meinem Sterbetag. Wie du halt magst.«
Während er so dastand, als höre er die Körner im Stundenglas, wechselten in seinem klaren, nüchternen Hirn die Vorstellungen traumartig. Er sah die Arbeit, welche dieser schrecklich hinwelkende Körper brauchte, bis seine letzte Spur verwischt sein würde, sah das verbriefte Testament, den Schreiberlohn, die opulente Zehrung … alles, von den neuen Knechten, die er dingen mußte, bis auf Jahrzehnte hinaus den Silbergulden für die arme Seele im Fegfeuer. Er sah die Last. Seine Sinne sträubten sich vor dem alten Leut, dem muffigen Hausrat und dem herben Wacholdergeruch. So sagte er Dank für ihren guten Willen und empfahl ihr einen notleidenden Verwandten an.
Seine brave Ehefrau grämte sich bitter, als sie vom Zedler diese Geschichte vernahm. Ihr ziemte, daß der Muhme ihr Gütel zum schönen Stralzischen Besitz wohl dazugestanden wär, und sie hätte dringlich gewünscht, daß sich dermaleinst jeder Sohn in ein volles Haus setzen könne. Sie blieb verärgert den ganzen Tag; allein sie machte dem Herrn Andreas keinen Vorwurf, denn er hatte ihr seit langem abgewöhnt, über Dinge zu reden, die er nicht hören wollte. Das war gut für den ehelichen Frieden und war böse für ihre trutzige und schamhafte Lieb … Die Liebe ist ein wildes, tückisches Element, dem Feuer, dem Wasser, dem Erdreich oder dem Sturm vergleichbar … und immer eine große Gefährlichkeit … Einschichtige befällt es gerne tödlich. Wo jedoch die Menschen zuhauf sind, zerstiebt es vielgestaltig in Funken, Tropfen, Staub und Luft, da läßt es sich erniedrigen und angreifen von jedem Schmarotzer. So erging es der Mutter Stralzin vor allem in den glücklichsten Jahren, daß sie ihr übervolles Herz auf die Gasse tragen mußte. Und wenngleich sie bei weitem verschwiegener war als die andern Frauen, so machte sie sich durch den Umgang schon mit ihnen gemein. Ihre Liebe, das wilde Element, wurde demütig unter der zudringlichen Neugier. Das eine Weibsbild schürte, das andere blies. Ihre Liebe wurde wie ein Hüglein Glut, darin viele Feuerhaken umstocherten. Es tat