Wunder inbegriffen. Albrecht Kaul. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Albrecht Kaul
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783765573590
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      Werner Wigger

      mit Albrecht Kaul

      Wunder inbegriffen

      Dr. med. Werner Wigger – ein Leben

      voller Risiken und Nebenwirkungen

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      © 2015 Brunnen Verlag Gießen

       www.brunnen-verlag.de

      Lektorat: Eva-Maria Busch

      Umschlaggestaltung: Olaf Johannson, spoon design

      Umschlagmotive: Lucian Coman/shutterstock (Cover);

      privat, Johannes Ginsberg (Rückseite)

      Satz: DTP Brunnen

      ISBN 978-3-7655-0935-3

      eISBN 978-3-7655-7359-0

Inhalt

      Zu diesem Buch

      Das Weihnachtsfest 2012 stand vor der Tür. Ich schickte Werner Wigger eine E-Mail mit der Bitte, uns bei der Suche nach einem Chirurgen zu helfen. Unser Hospital Diospi Suyana in Südperu benötigte für den folgenden Monat dringend chirurgische Unterstützung. Meine Hoffnung war, dass Werner Wigger mit seinem weiten Netzwerk vielleicht einen Kollegen aus der Versenkung herbeizaubern könnte. Und zwar am besten von jetzt auf gleich und natürlich auf ehrenamtlicher Basis.

      Ich sollte mich irren. Am 27. Dezember schrieb mir Dr. Wigger, er habe niemanden gefunden. Mit dieser Antwort hatte ich insgeheim gerechnet – jedoch nicht mit dem zweiten Teil seiner Nachricht: „Ich komme selbst!“

      Wer so etwas schreibt, muss schon aus einem besonderen Holz geschnitzt sein. Ich freute mich sehr, den erfahrenen Chirurgen bei seinem Einsatz bei uns kennenzulernen.

      Ich erinnere mich noch gut an einen Abend bei uns im Wohnzimmer. Werner Wigger erzählte aus seinem Leben. Seine Geschichte war so spannend, dass das leckere Essen meiner Frau ganz in den Hintergrund trat. „Werner, du musst unbedingt ein Buch schreiben!“, lautete mein Fazit nach diesem unvergesslichen Gespräch am runden Tisch. Ich bin schon fast ein wenig stolz darauf, dass er auf mich gehört hat.

      Eine Woche vor seiner Rückkehr nach Deutschland überschlug sich in der Nähe des Krankenhauses ein Bus und 34 Verletzte wurden notfallmäßig bei uns eingeliefert. Mit Werner Wigger hatten wir den richtigen Chirurgen im Operationssaal. Sein Erfahrungsschatz war wohl selten dringender vonnöten als an jenem Nachmittag. Gott hatte Werner im richtigen Augenblick nach Peru geschickt. Daran bestand kein Zweifel.

      Dieses Buch zeigt eines immer wieder deutlich: Dr. Wigger ist ein Mann, der bereit ist, große Herausforderungen im Namen des Glaubens anzupacken. Solche Lebensberichte animieren mich, Gott ebenfalls zu vertrauen. Vermutlich wird es den meisten Lesern ganz ähnlich ergehen.

      Dr. Klaus-Dieter John,

      Direktor des Hospitals Diospi Suyana in Peru

      Montagmorgen auf dem Schulhof

      „Für Frieden und Sozialismus: Seid bereit!“, brüllt die Klassenlehrerin in die Unruhe der rückenden Stühle, weil sich die gesamte dritte Klasse zum Gruß von ihren Plätzen erhebt. Mit der ebenso gedankenlos zurückgerufenen Antwort „Immer bereit!“ beginnt der Unterricht. Doch eigentlich hat er schon zwanzig Minuten vorher begonnen.

      Um 7.15 Uhr war nämlich, wie jeden Montag, Appell auf dem Schulhof. Jede Klasse war vollzählig angetreten, man sang gemeinsam das Lied „Spaniens Himmel breitet seine Sterne …“ und musste sich einige Tadel über das Verhalten in der letzten Woche anhören. Die Schülerinnen Straub und Wiegend wurden als Beste der Woche ausgezeichnet und dann lauschten alle gelangweilt und müde der Rede ihres Direktors. Von der Anstrengung der Arbeiterklasse im Kampf gegen die Kriegstreiber im Westen war die Rede, von Wachsamkeit gegen die Imperialisten, die unsere Betriebe sabotieren wollen, und von der gefährlichen Verdummung durch die Kirche hat er gesprochen.

      Immer wieder fallen in letzter Zeit solche Bemerkungen gegen die Christen. Werner tun solche Worte weh. Er geht zum Kindergottesdienst in die Landeskirchliche Gemeinschaft und auch seine Mutter ist eine fromme Frau. Natürlich hat er keine Argumente gegen die haltlosen Vorwürfe, die so überzeugend klingen, aber er spürt, dass es nicht die Wahrheit, zumindest nicht die ganze Wahrheit ist. Doch heute kommt es noch schlimmer.

      Frau Hafer, die Klassenlehrerin, will wissen, was der Direktor beim Appell gesagt hat. Schweigen. Einige Kinder schauen sich fragend an, andere blicken mit gesenktem Kopf auf die Bank.

      Werner hat nur noch die Worte gegen die Kirche im Ohr, aber die will er nicht wiederholen. Krampfhaft überlegt er, was der Direx sonst noch gesagt hat, um auf ein anderes Thema zu kommen. Doch Frau Hafer, die aufgrund ihres Namens von den älteren Schülern nur „Pferd“ genannt wird, fährt fort: „Unser Herr Direktor ist sehr klug. Er weiß, dass die Kirche im Mittelalter die Hexen verbrannt hat, dass sie mit den Fürsten und Großgrundbesitzern zusammengearbeitet und die Wissenschaften verboten hat. Solange es die Kirche gibt, sind die Menschen nur verdummt worden. Lenin hat richtig festgestellt, dass Religion Opium für das Volk ist. Jede Religion ist schädlich und hat den Fortschritt nur behindert.“ Werner ist unglücklich. Er weiß, dass das so nicht stimmt, aber er kann nichts erwidern und er traut sich auch nicht, gegen die Lehrerin etwas zu sagen.

      „Nun war doch gestern Sonntag“, fährt Frau Hafer fort, „wer von euch war denn gestern im Kindergottesdienst?“

      Werner schießt das Blut in den Kopf, seine Hände werden nass und die Knie zittern. Muss er sich jetzt melden? Hat ihn gestern vielleicht jemand gesehen? Er weiß nicht, was er denken soll, alles wirbelt in ihm durcheinander – und da reckt er seinen Arm in die Höhe und meldet sich.

      „Ach, sieh mal an“, so Frau Hafer. „Steh mal auf, dass wir dich alle sehen können.“

      Werner hätte sich am liebsten irgendwo verkrochen. Ihm ist zum Heulen zumute, aber er zwingt sich, gerade zu stehen. Wie durch einen Schleier hört er die gehässige Stimme der Lehrerin. „Seht euch doch mal den Werner an. Er lernt an einer sozialistischen Schule und glaubt noch an solchen Quatsch. Jetzt lachen wir ihn mal alle kräftig aus.“ Nachdem die Mitschüler nur verstört in ihren Bänken hocken, wiederholt sie die Aufforderung und fängt selbst an zu wiehern wie ein Pferd. Zaghaft lachen die Kinder mit und einige zeigen mit dem Finger auf Werner, weil die Lehrerin es vormacht.

      Werner schießen die Tränen in die Augen, weil er sich so elend und hilflos fühlt. Warum machen die alle mit? Es gibt doch noch andere in der Klasse, die manchmal mit zur Kinderstunde kommen. Warum hat keiner den Mut, mich zu verteidigen, wenigstens zu mir zu halten? Er fühlt sich wie in einem Strudel, es gibt keinen Halt, keine Hilfe. Es legt sich wie eine Last auf ihn: Du bist allein, du musst das allein durchstehen. Als er sich wieder setzt, schaut er sich vorsichtig um, aber keiner zeigt Mitgefühl oder hat einen aufmunternden Blick für ihn.

      Nach dem Unterricht warten die anderen nicht auf ihn. Sonst sind sie oft laut schwatzend, manchmal sogar mit einem Lied auf den Lippen gemeinsam von der Schule in die Neubausiedlung gezogen. Haben sie vielleicht ein schlechtes Gewissen? Diese Feiglinge! Ganz langsam läuft Werner heim – er nimmt sogar noch einen Umweg durch die nahe gelegene Kleingartenanlage. Immer wieder quält ihn die Frage: Wer ist wirklich dein Freund?

      Die Mutter weiß sofort, dass etwas vorgefallen sein muss. So geknickt kommt ihr Junge selten nach Hause. Sie drückt ihn an sich und fragt nur: „Erzählst du’s mir?“ Aber es dauert lange, bis Werner den Vorfall so schildert, dass sie nachvollziehen kann, was in der Klasse passiert ist. Es schnürt ihr das Herz ab, aber sie wird nicht in die Schule gehen, um ihn zu schützen. Sie ist als Flüchtling aus Westpreußen gekommen und hat Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache. Nie und nimmer wird sie gegen eine „Studierte“ ein Streitgespräch führen können. Ihre einzige Hilfe, die sie anbieten kann, ist ein stummes Gebet – und dass sie ihrem Werner über das wuschelige Haar streicht.

      Als der Vater von der Werft kommt, erzählt