Dekadent. Dankmar H. Isleib. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dankmar H. Isleib
Издательство: Bookwire
Серия: münchenMAFIAmord
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783969020036
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tun hatten, der ihnen in ihrer Laufbahn untergekommen war.

      Der Toxikologe der SpuSi stand regungslos vor den beiden sitzenden Leichen. Er schüttelte mehrfach seinen Kopf.

      »Ich bin ratlos, Chef, völlig ratlos! Ich habe schon viele Tatorte gesehen, aber einen wie diesen …«

      »Könnte es sein«, fragte Kriminalrat Franz-Xaver Bleiling den Toxikologen, »dass wir es hier mit den Folgen einer Radioaktivität zu tun haben? Mir fällt da gerade der Fall des russischen Spions Litwinenko ein, der vor etlichen Jahren in London einem Anschlag mit radioaktivem Material zum Opfer fiel. Wir hatten seinerzeit dazu mehrere Weiterbildungen. Haarausfall, Diarrhö, Blutungen und so sind da an der Tagesordnung.«

      »Daran habe ich auch schon gedacht, aber die Möglichkeit sofort wieder verworfen. Wir leben in Deutschland, in München! Sind in einem obskuren Nachtklub der Neureichen und Angeber. Wer sollte hier mit atomaren Materialien arbeiten können?! Da kommt keiner ran. Und überhaupt: warum, wofür? Töten kann man auch anders. Das macht alles keinen Sinn. Aber wann sind Morde schon sinnvoll … Nein, Xaver, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, obwohl die Symptome passen könnten. Bei dem Russen war es Polonium, 210Po. Je nachdem, wie viel man von dem Zeug verabreicht, liegen die Halbwertzeiten in etwa zwischen 3·10−7 Sekunden für 212Po bis zu 103 Jahren für das künstlich hergestellte 209Po, wenn dir das was sagt!«

      »Das heißt was?«

      »Wie lange man auf so einen Tod warten muss, wenn man das Zeug verabreicht bekommt? Es hängt natürlich von der Menge ab. Und von der Art und Weise, wie das Polonium in den Körper gelangt. Vorausgesetzt, wir haben es hier überhaupt mit Polonium zu tun. Das kann der Doc erst feststellen, wenn er die beiden Leichen auf dem Tisch hat. Wenn Polonium-210 in den Körper gelangt – entweder über das Essen, über Getränke oder durch Einatmen –, kann das wahnsinnig schnell gehen. Dann entfaltet die Strahlung je nach Menge oft blitzartig ihre zerstörerische Wirkung. Zwar wird ein großer Teil des aufgenommenen Poloniums direkt wieder ausgeschieden, doch über den Blutstrom erreicht der Rest verschiedene Gewebe und Organe. Dort hat die Alphastrahlung eine so große Energie, dass sie Zellstrukturen geradezu in Sekundenschnelle zertrümmern kann. Das muss hier geschehen sein. Immer vorausgesetzt, wir haben es mit Polonium zu tun. Ist ja nur eine Vermutung. Einfach crazy, verdammt noch mal …«

      »Du machst mir Angst, Toxi!«, erwiderte Kriminalrat Franz-Xaver Bleiling vom LKA. Er nahm den mit „Toxi“ angesprochenen Kollegen am Arm und sagte:

      »Komm, lass uns was essen gehen. Könnte ja sein, dass das nicht vergiftet ist …«

       Daniel Richter und Sepp Huberbauer:

      12:43 Uhr. Der Monolog von Gitti Mörsmann hatte um 12:42 Uhr geendet. Fanny schaute mich an und ich ahnte, was er sagen wollte.

       Die Alte hat dich genervt, stimmt’s?

      »Klar, mein Alter!«, antwortete ich ungefragt meinem Tosa Inu und streichelte ihm über seinen dicken Dickschädel. Die achtundachtzig – oder waren es schon fünfundneunzig? – Kilogramm Lebendgewicht – er hatte in Südafrika wirklich zugelegt! – drehten sich zur Seite. Fanny irrte sich so gut wie nie.

      Er war zufrieden und bestand weiterhin auf seinen Mittagsschlaf.

      Ich wählte unverzüglich eine Nummer in der Ettstraße; es war 12:44 Uhr. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass bei diesem Fall der Zeitfaktor eine entscheidende Rolle spielen sollte, aber ich wusste nicht, welchen:

      »Sepp, kennst du einen Club namens DEKADENT?«, fiel ich mit meinem Anruf Hauptkommissar Huberbauer vom Morddezernat München 1 vermutlich direkt in seinen Mittagsschlaf.

      »Natürlich, du Ignorant!«, brummelte Sepp in den Hörer.

      »Da scheint es einen Doppelmord gegeben zu haben. Bist du nicht eigentlich dafür zuständig?«

      Jetzt war Hauptkommissar Huberbauer hellwach.

      »Was sagst du da? Einen Doppelmord? Im DEKADENT? Wann denn? Gerade eben? Warum weiß ich nichts davon?«

      Ich hatte ihn.

      Er log mich nicht an. Der clevere Graukopf, ein ruhiger Typ und mich irgendwie an Colombo aus der alten US-TV-Serie erinnernd, wusste wirklich nichts. Aber warum? Hatte mich die Mörsmann, die mich in einer Stunde im Café Luitpold treffen wollte, veralbert? Gab es gar keinen Mord?

      »Sepp, ich bin in zehn Minuten bei dir.«

      Rascheln. Grummelgrummel.

      Aufgelegt.

      Huberbauer war stinkig und würde sofort in die Vollen gehen. Ich weckte Fanny und schon waren wir unterwegs in Richtung Ettstraße. Anna hatte mir ein ätzend orangefarbenes Fahrrad mit der Bemerkung geschenkt: »Damit ihr nicht verfettet« – und meinte tatsächlich Fanny und mich.

      Frechheit!

      Als wir das Büro des Hauptkommissars betraten, hing Sepp mit hochrotem Kopf noch immer am Telefon. Dann knallte er den Hörer auf.

      Wie bei mir.

      Diesmal ohne ‚Grummelgrummel‘.

      »Irgend so eine Pfeife aus der Staatskanzlei hat doch tatsächlich den Bleiling vom LKA letzte Nacht aus dem Schlaf geholt, eine SOKO bilden lassen und in den dämlichen Club geschickt. An mir vorbei! Kannst du das glauben? An mir vorbei! Bin ich denn schon in Pension oder wie?! Zwei Tote. Blutjunges Mädchen und ein reicher Armleuchter. Da läuft was, was mir gar nicht gefällt. LKA! Und noch viel weniger, dass du, Doktor, schon wieder mehr weißt als ich, und deine Finger im Spiel zu haben scheinst!«

      Stille.

      Nicht ganz, denn die Klimaanlage machte ätzende Geräusche.

      Huberbauer war angepisst.

       Hussein-Hiob Hiebler:

      12:45 Uhr. Hussein-Hiob Hiebler transpirierte noch immer und das würde sich in den nächsten 85541 Sekunden auch nicht ändern. Innerhalb dieser gerade begonnenen 85541 Sekunden würde seine Wahrsagung, die er insgesamt an 108 (+ 2) (+ 1) – also 111 – Personen per SMS mit einem sekundengenauen Versprechen verschickt hatte, in Erfüllung gegangen sein.

      Für jeden Einzelnen. In exakt berechneten Abständen, so, dass man die Atomuhr in Brüssel danach stellen könnte.

      Sogar an sich selbst hatte er eine Kopie der SMS geschickt („+1“). Der guten Ordnung halber, um die Kraft der Zahl 111 nicht zu zerstören. Allerdings hatte er für sich die Message, die er soeben an die anderen 108 Männer geschickt hatte, von negativ in positiv gewandelt.

      Zwei weitere Personen waren von der Weissagung ausgeschlossen. Die hatten ihre Message direkt zum Zeitpunkt der Erfüllung erhalten und waren schon einem Exempel zum Opfer gefallen.

      Ein herrlicher Anblick, den er leider nur für Augenblicke genossen hatte!

      Und, was nur er wusste: Morgen um diese Zeit wäre bereits alles vorbei! Auf die Sekunde …

      111 Mitglieder hatte der Club der Reichen und Neureichen, DEKADENT.

      Eine Powerzahl.

      Hussein-Hiob Hiebler hatte die Gründungsväter der ach so geheimen neuen Supervereinigung Münchens reichster Männer geschickt dazu überreden können.

      111 – keine Person mehr, keine weniger.

      Manipulation war eine seiner Stärken.

      Und als er vom Initiator des DEKADENT-Clubs auf die Möglichkeit einer Mitgliedschaft angesprochen wurde – ‚man‘ hatte sein Vermögen geprüft und mit aktuell 217 Millionen Euro für ausreichend befunden –, hatte HHH, wie er in der Branche der auffällig Reichen nicht ohne Bewunderung genannt wurde, sofort an eine okkulte Zahl gedacht, die es einzubringen gelte …

      HHH – er wusste, dass ihn seine Kommilitonen mit Nicknamen HaHaHa nannten, ihm war ÄitschÄitschÄitsch, natürlich