»Mein Mann, ja, der ist, eh, der war ein Arschloch! Ein riesiges!«
Klingt fein, die Ansprache. Was will die Schrille von mir?
»Der ist tot! Einfach so. Sagt der Rudi, der ihn mit ins DEKADENT geschleppt hat. Sie kennen den besten Privatclub Münchens, ja? Und mein Ecki …«
Ich verstehe nur Bahnhof.
»Halt! Stopp! Jetzt mal von vorne, gute Frau, bitte! «
»Der Anruf von Rudi kam vor genau drei Minuten. Er sagte, dass ‚das Spiel‘ jetzt beginne. Auf die Sekunde. Und er faselte was von Vierhundertsechzigtausend oder so. Und noch einer Toten. Und er gab mir Ihre Nummer, Doktor!«
»Noch mal, bitte. Wer sind Sie?«
Ich schaue zur Uhr, rechne zurück und schreibe mir automatisch die Zahl auf, die die Anruferin genannt hatte – 12:37. Der Ermittler in mir. Alles könnte wichtig sein. Das habe ich noch nicht abgelegt, aber es hat in meinem Job Vorteile, wenn man präzise arbeiten kann. Aber heute, ausgerechnet heute! Da geht bei mir gar nichts. Keine Zeit. Anruf annehmen, ja. Aber ansonsten: Anna, Fanny und ich haben nachher noch etwas Einmaliges, Besonderes vor uns …
»Ach so, ja, ich bin Gitti Mörsmann. Die Frau, eh, Ex-Frau, nein, falsch, die Witwe von Ecki Mörsmann.«
Schluchzen, das sich anhörte, als ob ein halbes Dutzend New-Yorker-Bullenkarren im nächtlichen Volleinsatz die Fifth Avenue Richtung Downtown rasen, um einen schießwütigen Junkie auf Speed einzufangen.
Mein iPhone machte schlapp …
Hussein-Hiob Hiebler:
12:37 Uhr. Der bullige Typ transpiriert. Ob es sein überflüssiges Bauchfett ist, dass ihm die Schweißperlen auf die Stirn treibt, die auf der Tastatur seines geöffneten Laptops staubumhüllte Regentropfen hinterlassen, ist eher zu verneinen. Schwerer Atem füllt den Raum. Die braunen, stechenden Augen starren gebannt auf den Bildschirm; flinke, ja zarte, lange Finger, die viel eher zu einer jungen Frau passen würden, huschen über die Tasten und verwischen den salzigen Regen – die Tastatur hätte mehr Pflege verdient –, der noch immer aus seinen schwarzen Haaren tropft.
Hussein-Hiob Hiebler hatte soeben den virtuellen und doch echten Startschuss zu seinem perfiden Spiel gegeben.
Auf die Sekunde genau.
‚Sie‘, alle die, die er zu dem Spiel eingeladen hatte, würde der Zeitdruck in den Wahnsinn treiben. Vorausgesetzt, sie kapierten das tödliche Spiel.
Allerdings würde der involvierte Personenkreis vermutlich erst zu spät erfahren, in welcher Gefahr er sich befand …
Figurella:
12:39 Uhr. Sie hätte jetzt Philosophie gehabt. Bei ihrem Lieblingslehrer. Verrückt: Für genau 12:39 Uhr hatte sie geplant, heftige Magenkrämpfe vorzutäuschen, um den Unterricht vorzeitig verlassen zu dürfen. Dr. Möller würde ihr das nicht abschlagen. Sie war für 12:45 Uhr mit ihrer Freundin Lyssie verabredet und brauchte vom Wilhelmsgymnasium exakt sechs Minuten bis zum ›Zepp‹, ihrem Lieblingscafé. Figurella, wenige Wochen vor ihrem sechzehnten Geburtstag, müsste Lyssie dringend berichten, wie es gestern im DEKADENT war. Beim nächsten Mal würde sie Lyssie, ebenfalls noch fünfzehn, mitnehmen, so viel stand fest. Wochenlang hatten die beiden Freundinnen überlegt, wie sie es anstellen könnten, in Münchens neuen Hotspot zu kommen. Es gab kein anderes Thema in ihrer Clique, seit der geheimnisvolle, streng geheime Club der Superreichen Münchens eröffnet wurde. Der Zufall hatte ihr vor acht Tagen das Glück direkt vor die Füße gespült.
Besser gesagt, ein Ecki Mörsmann war ihr vor die Füße gefallen. Die Mädchen lachten sich kaputt, als der Typ, einen Pappbecher mit Coffee to go in der Hand, ins ›Zepp‹ stolperte und mit seinem Gesicht straight auf den silbernen Kennel & Schmenger-Sneakers von Figurella landete, dabei mit dem Rest des Inhaltes des Pappbechers nicht nur die Sohlen vom Straßenschmutz abspülte.
»Die sind schon geputzt, Chef«, pflaumte sie den Hinfaller des Tages an, und grinste den gutaussehenden Mann mit dem vielsagenden Blick einer Möchtegern-Prostituierten aufreizend an. Der Typ rappelte sich auf, suchte seine Armani-Sonnenbrille und erkannte, dass an den silbernen Sneakers ein ausgesprochen attraktives Objekt mit goldenen Schnürsenkeln und blaugrünen Ringelsöckchen, knackigem Po, herrlich festen Titten und goldbraunem, lockigem Haar festgebunden war. Die braucht noch keine Medikamente, stellte er in Sekundenschnelle fest und auch, dass er den Kaffee im Café ohnehin nicht mehr brauchen und die Kleine gerne mit seiner Nudel beglücken würde.
Ungefragt setzte er sich zu den fröhlichen Girls – und schon lachten sie zu dritt über sein Missgeschick.
»Ecki«, stellte sich der Mann vor. Teuer gekleidet wie die Mädchen; er hätte locker zumindest ihr Vater, wenn nicht mehr sein können.
»Sorry, ich bin zum ersten Mal hier. Ich bin mit einem Kunden verabredet, aber wie ich sehe, ist der noch nicht da.«
»Macht nichts. Wir nehmen noch einen mit Latte, Ecki, nicht wahr, Lyssie?!«
Sie zeigte mit den Augen auf ihre Freundin.
»Ich bin übrigens Figurella.«
»Und ich Ecki Mörsmann. Patentinhaber. Ich mache in Pharmazie, wenn ihr versteht, was ich meine.«
Stolz, um nicht zu sagen großkotzig, prahlte der Ecki rum. Kohle schien er zu haben.
Die Mädchen warfen sich vielsagende Blicke zu.
»Das klingt abgefahren, dekadent! Patente!«, flötete Figurella den aus ihrer Sicht alten Mann an.
»Aha. Interessant. Wie kommst du auf „dekadent“?
Ecki fühlte sich ertappt:
Geheimclub. Nur für uns Reiche! Ging leider trotzdem durch die Klatschpresse. Weiß sie was? Aber die Kleine ist hot, very hot!
Anmachen, vollsülzen, protzen. Aushorchen.
Bla, bla bla.
Zwei Stunden später – der Kunde war vergessen, oder hatte Ecki vergessen – landete Figurella mit Ecki im Bett. Um die Ecke, nahe der Maximilianstraße, in einem kleinen Touristenhotel, das nicht den frischesten Eindruck machte. Es stank überall nach Reinigungsmitteln und in der ‚Suite‘ nach muffiger Bettwäsche. Das interessierte „Vater und Tochter“ nicht.
Der Kroate mit der goldgefassten Mütze an der Desk nickte verständnisvoll und ein wenig eifersüchtig, als er dem ungleichen Paar den Schlüssel für Zimmer 7 im Austausch gegen einen Fünfhunderter aushändigte. Gerne hätte er der jetzt folgenden Nummer beigewohnt. Denn: Als erfahrener Portier wusste er, was da gleich abgehen würde. Leider konnte er seinen Arbeitsplatz nicht verlassen und eine Kamera war auf dem Zimmer auch nicht installiert …
Als das ungleiche Pärchen eine Stunde später die Absteige wieder verließ, lief vor der Goldmütze ein Porno ab.
Figurella strahlte zwischen schüchtern und ich-will-mehr und dem erschöpften Pharmatypen namens Ecki stand auf der Stirn geschrieben:
Wenn meine Frau doch auch so geil wäre oder lieber doch nicht …
Figurella hatte ihr Ziel erreicht. Ein einziges Wort hatte ihren Schädel durcheinandergewirbelt:
Dekadent.
Zufall oder Schicksal?
Herr Eckehart Mörsmann war gerade Mitglied im geheimsten der geheimen Clubs in München geworden und ganz heiß darauf, sie dorthin mitzunehmen. Der One-Night-(Nachmittags)-Stand hatte sich für Figurella gelohnt.
Sie verabredeten sich für den heutigen Abend.
Spannend.
Geheimclub der Reichen.
Ecki würde sie um 23:00 Uhr bei ihrer Freundin Lyssie abholen; ihrer Mutter würde