Brauch Blau. Julia Malik. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julia Malik
Издательство: Bookwire
Серия: Debütromane in der FVA
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783627022815
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ins Bett. Um miteinander zu schlafen und dann nah aneinander wegzusacken.

      Die Frau schließt ihre Augen wieder und schmiegt sich an den Mann, dessen Kinn zur Tür weist. Er murmelt nur: »Du bist falsch.«

      Sie steht vor dem Bett, die Hand an den Mund gepresst. Sie dreht sich um. Es ist stickig. Die Fenster sind geschlossen, an der Wand ist das Waschbecken, darauf steht der Becher, den sie gefüllt hatte.

      Ihre Stimme zittert. »Wo sind meine Kinder? Die waren hier. Wo sind sie jetzt?«

      Hier hat sie mit ihnen gelegen. Das ist der Geruch der ausgekochten zitronengelben Bettwäsche. Sie haben noch geschlafen.

      Sie schreit.

      An der Theke steht sie vor der Frau mit den stoppeligen Haaren.

      »Ihre Kinder sind direkt nach dem Frühstück gegangen. Ich hab denen natürlich gesagt, das geht auf gar keinen Fall. Ist ja gefährlich mit dem Verkehr, und die Straßenbahnen, was. Aber Ihr Töchterlein hat gesagt: Nee, das machen wir immer so, wir gehen allein zur Kita, der Kleine und ich, wenn die Mami nicht kann, wir sind auch schon drei und fünf, zu zweit also acht. Na, dann sind sie eben losgewackelt. Und das hier haben sie Ihnen gemalt, soll ich Ihnen geben.«

      Sie schiebt ihr ein Blatt rüber, darauf sind drei unterschiedlich große Gestalten, die fast gleich aussehen, außer der kleinsten, die hat kürzere Haare als die anderen beiden. Sie halten sich an den Händen, alle Arme sind unterschiedlich lang, immer gerade so, wie es nötig ist. Die drei lächeln glücklich, die Blumen sprießen von ihren Füßen baumhoch um sie herum, über ihnen schweben Vögel in ewiger Sonne.

      »Das sind ganz besondere Kinder, na, das wissen Sie ja, was. Die haben hier schon klar gesagt, was sie zum Frühstück wollen. ’ne Schrippe mit Butter und Marmelade drauf, hat die kleine Prinzessin gesagt. Aber nur, wenn Sie Himbeermarmelade haben, ansonsten die Schrippe auf jeden Fall nur mit Butter! Der Kleine hat gesagt: Keine Sorge, die ist eben süchtig. Ich hab das nicht verstanden, ging nicht rein in meine Birne. Frag ich ihn: Was sagst du da? Meint er: Na, meine Schwester ist eben süchtig. Die vergisst alles andere, wenn sie nur HIMBEERMARMELADE kriegen kann! Da hab ich echt geglotzt. Sitzt da so’n Dreikäsehoch und erzählt mir was von ’ner Sucht. Und dann sagt er, er will noch Servietten, also geh ich los und bring ihnen Servietten, so rote Servietten, und da sagt der kleine Mann ganz freundlich, aber eben auch sehr bestimmt: Nee, brauch Blau. Nicht Rot. Brauch Blau! Hat er gleich ’n paarmal hintereinander gesagt, nee, befohlen hat er das, ganz streng: Brauch Blau, du Haubitze. Und als ich dann, den Mund nicht mehr zugekriegt, was, ’ne blaue Serviette gefunden hab und ihm gebracht, da hat er gelächelt und gesagt: Das ist gut. Da haben wir alle gelacht hier. Na, die gehen ihren Weg. Mutti, das sag ich dir, das haste gut gemacht.«

      Sie hält sich am Tresen fest. Wischt sich die Tränen mit beiden Händen aus dem Gesicht. Die dunkelblaue Serviette in ihrer Hand ist matschig. Himbeermarmelade? Brauch Blau, du Haubitze? Das sind ihre Kinder. Sie kann ihre Stimmen hören. Mama, ich brauch Blau, hat ihr Sohn gemurmelt, auf ihrem Arm, dicht an sie gekuschelt. Nachdem sie zu Larry gesagt hatte, sie müsse am Abend endlich mal wieder raus, sie brauche sofort Drinks, Erwachsene und Gehüpfe von Restaurant zu Bar, mit großen Schritten und leichtfertigen Diskussionen, wo man zwischen den anderen allein ist, kurz frei ist vom Aufpassen, dem Dienen für die Kinder, nein, frei auch von allen Einengungen, die einem die eigenen Gefühle machen, verstehst du, ich brauch Blau, hatte sie gesagt.

      Ihre Kinder merken sich jedes Wort.

      Sie ist aufgestanden, als sie schliefen. Die Kinder sind im Hotel Hedwig in Sicherheit, hat sie gedacht. Deshalb überhaupt waren sie im Hotel Hedwig, um sich in Sicherheit zu bringen. Und dann wollte sie nur ganz kurz in die Bar. Herbert hat noch an ihr geklebt, sie wollte ihn abschütteln. Er war am Mittag da gewesen. Ihn aus sich heraustrinken. Sie hatte nicht neben den Kindern im Bett liegen bleiben können. Einmal durch die Straße rennen und einen Wodka. Und dann zu den Kindern zurück.

      Jetzt klammert sie sich am Tresen fest. An der Unterseite vom Glück. Die Unterseite vom Glück ist glitschig, denkt sie, und dann fällt ihr ein Moment aus einem Film ein, von dem Herbert damals beim Mittagessen auf Mallorca erzählt hatte. Weil er eigentlich mit ihr tauchen gehen wollte, das wäre normal im Urlaub, wenn nicht immer die Kinder wären. Da könnten sie sich erholen und zusammen sein. Endlich allein zusammen. In dem Film ging es um eine Gruppe Taucher mitten auf dem Meer, die weit rausfahren, wirklich fern der nächsten Küste, und paarweise ins Wasser springen, um zu tauchen. Als sie aufs Boot zurückkommen, verzählen sie sich aber und vergessen bei der Abfahrt das Paar, das wohl im Honeymoon war, immer mit sich beschäftigt und irgendwie noch unter der Oberfläche. Das Boot fährt ohne sie ab.

      Sie hat sich vorgestellt, wie diese Taucherin während des Tauchgangs ihren Partner ab und zu durch die Maske anzwinkert, sich unbeholfen mit Handzeichen verständigt und dann mit der Sauerstoffflasche in einer Höhle hängen bleibt, wie ihre Luftversorgung unterbrochen wird. Natürlich hilft ihr Mann ihr sofort, sie sind erleichtert, weil sie sich eine Flasche teilen können, aber dann finden sie den Ausgang aus der Höhle nicht, sind zwischen dunklen Algen und wuchernden Korallen gefangen. Komische Wasserpflanzen schlingen sich um ihre Flossen. Hatten die auf dem Boot nicht davor gewarnt, in Höhlen zu tauchen? Es ist so dumm.

      Es wird dunkel. Sie will die Augen schließen und schnell zurück in die Tage, an denen alles einfach war. Wo die Bar an der Ecke nicht die Falle war, die sie von allem trennt. Nach der Geburt ihrer Tochter war sie natürlich oft müde und überanstrengt, sie vergaß aber deswegen nach der Probe nicht, sie abzuholen, sie funktionierte. Damals funktionierte sie noch. Eine Maschine, die richtig eingestellt war. Aufwachen, stillen, Milch für später abpumpen, duschen, Kaffee und Brei machen, Kaffee trinken und Brei füttern gleichzeitig und dann sich selbst und die Kleine anziehen. Die Kleine zur Babysitterin bringen. Auf die Probe düsen, Szenenproben, Klavierproben, Orchesterproben, Kostümproben, Fotos. Künstlerische Umwege? Keine Zeit. Sie konnte ihr Kind nicht ewig bei der Babysitterin lassen, es war noch klein und weinte, wenn die Mama nicht da war, zum Rumstehen war sie nicht angetreten.

      Sie zuckt zusammen. Ihre Nase läuft. Sie drückt die Serviette von unten dagegen, aber zwischen ihren Fingern sind nur noch nasse blaue Schnipsel.

      »Wann sind sie denn heute früh gegangen?«, fragt sie.

      Die Stoppelfrau schaut sie an. Braune Augen, blau geschminkt.

      Die Nase hört nicht auf zu laufen, sie zieht sie hoch, dreht sich schnell weg und sieht an der Rückwand einen Stapel Servietten. Sie geht nach hinten und nimmt sich eine.

      Die Frau antwortet nicht.

      Sie putzt sich mit der Serviette die Nase.

      Sie hatte ewig nichts genommen, natürlich nicht, sie musste sich doch um die Kinder kümmern, und wenn sie Substanzen zu sich nähme, verlöre sie den Überblick.

      Früher, als sie fest an der Oper engagiert war, hatte sie mal viel genommen. So wie alle. Geraucht hatte sie nicht, das griff die Stimme an, Alkohol war deswegen auch tabu. Also nahm man Drogen und Tabletten, die einen auf die verwunschene Insel ohne Termine trugen. Komme, was wolle, der Vorhang musste hoch! Es ging ausschließlich um das, was auf der Bühne passierte. Das hatte sie alle immer wieder auf dieses Floß getrieben. Upper, um zu leuchten, danach Unmengen von Downern. Sie musste was nehmen, um zu schlafen. Und dann was anderes, um wieder in Schwung zu kommen und die Bühne zu betreten.

      Aber auch nachdem die Kinder geboren waren und sie nach dem ununterbrochenen Hin- und Hergehopse zwischen krabbelndem Kleinkind und brüllendem Baby, wenn tatsächlich einmal beide gleichzeitig schliefen, am Abend große Sehnsucht danach gehabt hatte, mit einem eiskalten Bier zu Herkules auf das lauwarme Sofa zu sinken und sich ein paar Stunden vom Geballere seiner Games verwöhnen zu lassen, trank sie nicht.

      Die Stimme war alles, was sie hatte.

      Und der Drogenkonsum war mit der Kinderaufzucht nicht vereinbar.

      Aber als Herbert ging, nahm er ihre ganze Kraft mit sich. Kurz bevor er verschwand, drehte er ihr Joints vor. Dreißig Sticks in einer Schatulle, die sie damals aus Mexiko mitgebracht hatten. Damit sie nicht durchdrehe, wenn er zur Vigräne ziehe. Damit sie schlafen könne. Und tags nicht dauernd