Brauch Blau. Julia Malik. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julia Malik
Издательство: Bookwire
Серия: Debütromane in der FVA
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783627022815
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war so glücklich, als sie die Kinder an diesem Abend wieder bei sich hatte. O Gott, ja. Sie war nach Herberts Besuch fast zu spät in der Kita gewesen. Sie hatte versucht, die Zeit zu überholen. Und musste sich auf dem Weg bei Greg in der Bar noch Geld leihen.

      Wie hatte sie sie danach überhaupt loslassen können? Sind sie noch im Hotel mit der gelben Bettwäsche? Sie hatte sie am Nachmittag ja nur in der Kita vergessen. Und den Schlüssel in ihrer Wohnung.

      Nein. Nicht vergessen. Das war alles wegen Herbert.

      BETON

      Wie lange hat sie hier gelegen? Sie fühlt sich wie betäubt. Der Moder bedrängt sie mit seiner Süße. Sie muss endlich aufstehen, aber sie klebt an der Bank fest. Ihr Körper hat sich in Beton verwandelt. Nie gekannte Schwere. Nicht einmal der Kopf lässt sich heben. Langsam. Nicht wackeln.

      Das gelbe Zimmer.

      Der Milchgeruch der Haare zieht sie hoch.

      Aber in welche Richtung?

      Unbedingt zum gelben Zimmer.

      Oder hat Herbert die Kinder geholt?

      Nein, war ihm alles sehr unrecht. Er hatte sich sofort aufs Beistellbett gelegt. Es war ihr letzter gemeinsamer Urlaub gewesen. Ungefähr zwei Jahre war das her. Ein paar Tage Mallorca. Er veröffentlichte direkt danach das siebte Sequel seines ersten Spiels, ein Krieg zwischen zwei verfeindeten Bauernhöfen, und sie musste nach Helsinki, kurzfristige Übernahme, Brunhild in der Götterdämmerung, die Kollegin hatte eine Stimmbandentzündung. Die Kinder würde sie mitnehmen, abends einen finnischen Babysitter ins Hotel bestellen. Die Kinder bei ihm zu lassen hatte nie zur Debatte gestanden.

      Aber erst einmal wollten sie sich erholen. Sie nahmen ein gutes Hotel im Norden Mallorcas, ziemlich teuer, sie bestand darauf: »Komm, nur fünf Tage! Für was geben wir denn sonst Geld aus!«

      Das Hotel wachte majestätisch auf einem Hang über die Gärten und das Meer. Sie nahmen nur ein kleines Zimmer, keine Suite, das wäre Herbert dann wirklich zu teuer gewesen, obwohl er mit Acker 7 unglaublich viel Geld verdient hatte, aber wenn es ans Ausgeben ging, konnte er sich nur unter großen Schmerzen dazu überwinden. Im Hotel spürte er in den Gliedern, wie ihm ununterbrochen das Geld aus den Taschen gezerrt wurde. Die Kellner nagten an seinen Fingern. Er konnte nicht mal im Bett liegen, ohne zu kommentieren, was diese Minuten bis zum Frühstück jetzt wieder kosteten. Und das Frühstück erst! Er musste aufpassen, dass ihm vom Wissen über diese Kosten nicht so schlecht würde, dass er nicht mal mehr frühstücken könnte, er also bezahlen müsste, ohne dass er überhaupt eine Leistung erhalten hätte. So wie er sich auch immer ärgerte, wenn er für die U-Bahn ein Ticket gekauft hatte, die Kontrolleure aber trotzdem ausblieben.

      Sie hatten ein Beistellbett für die Große geordert. Noch mal zehn Euro extra pro Tag, aber zu viert in einem Bett ging es einfach nicht, und der Kleine, der gerade ein knappes Jahr alt war, verlangte, möglichst nah an Mama zu schlafen, sonst setzte seine empörte Trompete ein, die nur durch Hautkontakt mit Mama abgestellt werden konnte. Natürlich hätte man auch ihn in ein Babybett legen und das Tröten stundenlang aushalten können, sie hatte das zu Hause schon öfter versucht, aber irgendwann hatte jedes Mal die allgemeine Verzweiflung gesiegt, und die Möglichkeit, ihn neben sich zu legen und seine Zufriedenheit zu spüren, war zu verlockend.

      Die Große war schon drei, aber als sie das Beistellbett sah, in dem sie schlafen sollte, trötete sie nicht, weinte dafür laut und herzzerreißend. »Das ist so ungerecht! Nur weil der kleiner ist, darf er bei Mama schlafen? Und ich? Da hinten an der Wand? Das ist aber ganz weit weg von dir, Mama! Das ist so gemein! Warum muss immer ich so weit weg?« Sie weinte mit aufgerissenen Augen. Sie würde auf jeden Fall weiterprotestieren, sie hatte Kondition. Sie musste ja dauernd um ihre Rechte kämpfen.

      Und das war Herbert in diesem Moment zu viel.

      Er hatte sich so sehr auf eine erholsame Woche mit seiner Frau gefreut. Er wollte sofort wieder abreisen.

      »Wir haben noch keinen einzigen Satz miteinander gesprochen, seit wir unterwegs sind, ohne dass ein Kind dazwischenredet oder schreit! Andauernd! So kann man doch keinen Urlaub machen! Bei den anderen Leuten geht das doch auch! Oder muss man immer ein Kindermädchen dabeihaben? Das kann ja nicht wahr sein!«

      »Bitte hab doch ein bisschen Geduld, die beruhigen sich, die sind nur beide total übermüdet, das wird schon!«

      Er war erschöpft, sie fand ihn so schön, wenn er dünnhäutig war. Dann sah sie diesen aufgerissenen Ausdruck, sein Gesicht bekam etwas Erwachsenes. Und das rührte sie noch mehr als seine Verspieltheit, in die sie sich vor so langer Zeit verliebt hatte. Jetzt war er ganz anders. Schwerfällig. Bestimmt. Gereizt, sogar cholerisch bis zur Ausfälligkeit. Manchmal glaubte sie, für diese Verwandlung mitverantwortlich zu sein. Sie hatten sich zusammen weiterentwickelt und verändert. Er hatte immer zu ihr gestanden, ihre Unsicherheiten ausgehalten. Sie war ihm dankbar.

      Er hatte sich die letzten Wochen vor dem Urlaub in seinem Zimmer eingeschlossen, kam nur raus, um neues Gras zu kaufen und essen zu gehen. Dazwischen arbeitete er. Sagte er. Die lange Zeit, bevor ein Spiel rauskam, war furchtbar anstrengend, und je anstrengender etwas war, desto mehr musste er kiffen. Auch er betrieb also aufopfernd Raubbau an sich, für die Familie! Das erschöpfte doch elementar! Das sah leider keiner. Immer ging es nur um sie, Mütter durften immer müde sein. Aber was war mit ihm? Er hatte ja die Verantwortung. Musste Geld verdienen. Ihre Launen aushalten, ihre Müdigkeit, das ganze Geschrei, das Chaos und die ständige Unruhe, seit die Kinder da waren.

      Und für Mallorca war endlich ein paar Tage Ruhe geplant. Er hatte extra kein Gras eingepackt, dann käme er schön runter. Man musste sich im Urlaub doch erholen, so war das vorgesehen. Und dafür gab es ein bewährtes Programm, nämlich ausgiebiges Frühstück mit Zeitung, Vormittagsschläfchen, Mittagessen, Siesta, gefolgt vom Aperitif, Essen, Drinks, dabei ununterbrochen Gespräche, also Vorträge seinerseits, im Urlaub wollte er endlich mal seine Ansichten teilen. Sonst denkt man leider immer nur vor sich hin, aber jetzt wollte das alles raus! Gewürdigt werden! Wenn nur er selbst sich immer so gut fand, war das einfach nicht ausreichend! Aber dauernd wurde hier dazwischengequäkt. Ganz unangenehm gebrüllt, obwohl er noch nicht zu Ende geredet hatte. Wie sollte er sich da merken, was er sagen wollte? Und immer stand die Frau auf. Nahm Kinder mit ins Bett und wollte dann trotzdem weiterknutschen. Das Kind am Busen! Diese Vermischung von Zuständen konnte er nicht aushalten.

      Irgendwann war es ihm gelinde gesagt zu blöd gewesen. Er hatte mehrere Whisky getrunken, damit diese unerfreuliche Phase des Abends, in der seine Frau wieder irgendeinem der alle zwei Minuten unter fremde Tische krabbelnden Kinder hinterherkroch, überbrückt werden konnte. Aber als sie dann – er hätte noch so vieles erzählen wollen, hatte sich auf seinen letzten Langstreckenflügen sogar durchs Lesen einer internationalen Zeitung und eines wöchentlichen Magazins gut vorbereitet – endlich die schwere Zimmertür öffneten und die Frau sich mit den zwei Kleinkindern im Arm auf das Doppelbett fallen ließ, legte er sich, ohne weiter um Land und Wort zu kämpfen, sofort auf das schmale Beistellbett.

      Vielleicht hatte es auch was Gutes. Da konnte er seine Klamotten anbehalten, ohne dass es groß auffiel. Musste nicht duschen, nicht warten, bis die Kinder schliefen, und dann noch eine Zärtlichkeit zu seiner Frau aufbauen. Er legte sich einfach mit dem T-Shirt, das er schon mehrere Tage anhatte und das ihm mit seinem privateigenen Geruch Geborgenheit spendete, hin, zog die saubere Decke über sich und schlief ein.

      Sie hatte ihn beneidet, während ihr die Kinder Arme und Beine um die Ohren pfefferten. Sie hatte dort im Bett gelegen, war so müde, aber ihr Kopf rumpelte wie nach einem zu schweren Essen. In diesem Urlaub lief einiges schief, das merkte auch sie. Aber sie hatte keine Ahnung, was sie dagegen tun sollte. Eines der Kinder schrie immer, und sie konnte sie ja schlecht weinend ins Zimmer sperren, um dann entspannt mit ihrem Mann auf der Terrasse einen Drink zu schlürfen und ihm zuzuhören. Sie versuchte, sich im Bett umzudrehen und das schleichende Gefühl, in ihrer Beziehung den Kern verloren zu haben, wegzuschieben, aber die Kinder pressten sich auf beiden Seiten dicht an sie. Sobald die Müdigkeit sie endlich kurz an den Meeresgrund drückte und damit den verrutschten Zustand der Gegenwart verwischte,