Arnulf lachte. „Von Euch könnte das eine oder andere gekrönte Haupt vielleicht noch lernen“, meinte er schmunzelnd. „Genau das, was Ihr sagt erwägt Kaiser Otto übrigens in seinem jugendlichen Überschwang!“ Arnulf zuckte die Schultern. „Zumindest hieß es so, als ich zum letzten Mal in Magdeburg war. Aber seitdem ist ja nun eine geraume Zeit vergangen und...“
„...und so könnte es ein, dass eine neue Zeit angebrochen ist, wenn Ihr ahnungslos zurückkehrt?“, lächelte Li.
Arnulf nickte, während sich ihre Blicke zum wiederholten Mal trafen.
„Erzählt mir ruhig mehr von Eurer Heimat – Saxland... Ich möchte alles darüber erfahren, so wie wir uns ja auch gegenseitig bereits unsere Erlebnisse in den Ländern des Ostens ausgetauscht haben!“
„Aber gerne“, sagte Arnulf. „Was wollt Ihr zuerst hören? Von dem Kaiser in Magdeburg der erst ein Junge ist und für den man hier in Konstantinopel nur sehr schwer eine geeignete Prinzessin findet? Oder davon, dass ganz Magdeburg wahrscheinlich kleiner ist, als allein der Palast des Basileios!“
„Größe an sich stellt noch keinen Wert dar, Arnulf. Und ehrlich zu ein, es ist mir fast gleichgültig, wovon Ihr zuerst erzählt. Ich höre einfach gerne Eurer Stimme zu.“
Sie sah ihn an und seine Hand berührte sie vorsichtig am Unterarm. Aber er zog die Hand sogleich wieder zurück. „Ihr seid eine Frau von ganz eigenem Zauber, Li...“
„Das sagt Ihr, weil ich jetzt standesgemäße Kleider trage, mit denen man sich auf der Straße blicken lassen kann und deren Anblick Euch nicht ungewohnt ist.“
„Nein, das habe ich schon in dem Augenblick gedacht, als ich Euch in Samarkand sah, und Ihr nach Art der dortigen Frauen gekleidet ward... Selbst Lumpen würden Eure Anmut nicht verbergen können!“
„Ihr hättet mich bei den Uiguren sehen sollen, als ich wie ein zotteliges Tier herumlief!“
„Selbst das könnte daran wohl kaum etwas ändern!“
„Ich habe in all dieser Zeit gelernt: Es kommt nicht auf die äußeren Dinge an, sondern auf das, was in einem ist. Denn nur dies lässt sich bewahren. Alles andere ist ein Raub des Mottenfraßes und der Vergänglichkeit...“
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Sie gingen weiter über den Platz, auf dem Li eigentlich nach einem bestimmten Händler suchte, der hier normalerweise im regelmäßigen Abstand mehrerer Tage zu finden war. Er hatte gute Lumpen, handelte aber auch mit anderen nützlichen Dingen. So hatte er auch eine Auswahl von Harzen, die für den Gebrauch in Lis Werkstatt sehr viel besser geeignet waren als vieles, was die arabischen Händler in die Stadt brachten. Aus welchen Bäumen er diese Harze gewann, hatte er nie verraten wollen. Allerdings konnte man auf Grund der Tatsache, dass er mindestens einmal in der Woche in die Stadt kam und seinen Stand auf dem Forum Tauri hatte, erschließen, dass der Ursprung seiner Ware wohl aus Thracien, der näheren Umgebung Konstantinopels, kam. Und welche Bäume überhaupt in Thracien heimisch waren, sodass die Herkunft des Harzes sich hätte erraten lassen, darüber wusste Li einfach noch nicht genug über die Vegetation dieses Landes Bescheid. Schließlich hatte sie in all der Zeit, die sie nun schon in der Kaiserstadt lebte, deren Mauern noch nie verlassen. Alles, was sie kannte, waren ein paar Straßen und Märkte. Sie hatte so viel zu tun gehabt, dass sie noch nicht einmal zu den Spielen im Hippodrom hatte gehen können. Nur ein Blick aus dem Fenster hatte ihr dann deutlich vor Augen geführt, dass gerade eines der berühmten Wagenrennen stattfand, denn wenn das der Fall war, waren die Straßen ziemlich leer. Es gab kaum Gedränge und Li hätte gerade diese Zeiten dann gerne für ihre eigenen Besorgungen genutzt. Der Haken dabei war nur, dass dann kaum ein Händler oder Handwerker dienstbereit war. Die meisten ließen sich die Wagenrennen nicht entgehen, vom Kaiser persönlich, bis hin zum einfachen Marktschreier war das Volk der großen Stadt dann für wenige Stunden in der fieberhaften Anteilnahme am Wettstreit der unterschiedlichen Wagenlenker-Mannschaften.
„Mir scheint schon die ganze Zeit, dass Ihr etwas sucht – oder jemanden“, stellte Arnulf fest.
„Ist das so offensichtlich?“
„Allerdings!“
„Ich vermisse den Händler Phorkias – und ehrlich gesagt verstehe ich nicht, weshalb er nicht an seinem Platz ist.“
Ein paar Männer standen in einer Gruppe zusammen und unterhielten sich ziemlich lautstark. Während Arnulf so gut wie nichts davon zu verstehen vermochte, lauschte Li ihnen aufmerksam. Dann ging sie auf die Gruppe zu und sprach einige Worte auf Griechisch mit ihnen. Anschließend wandte sie sich an Arnulf.
„Die Bulgaren sind in Thracien eingefallen und die Stadttore wurden deshalb geschlossen. Ich hatte mich schon gewundert, weshalb hier nicht so viel los ist wie sonst! Offenbar wird niemand mehr in die Stadt gelassen!“
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In den nächsten Tagen trafen sich Li und Arnulf noch häufiger. Sie zeigte ihm die Stadt auf eine Weise, wie sie ihm ansonsten als Fremden nie zu Gesicht gekommen wäre. Unter anderem führte sie ihn in den Bau der gewaltigen Bibliothek, die eine der größten Sammlungen von Schriften in der Christenheit enthielt. Eine Handvoll der Bände, die hier in den Regalen standen, waren auf Papier geschrieben worden, das aus Lis Fertigung kam. Li holte eines dieser Werke aus dem Regal heraus. „Das ist die Übersetzung eines Kompendiums über die Natur der Krankheiten, das ins Griechische übersetzt wurde. Seht nur die Verarbeitung! Das Papier trägt ein Wasserzeichen, das den Stab des Äskulap darstellt...“
„Es scheint, als wäre nicht nur Euer Papier zu einem Teil dieser Stadt geworden“, sagte Arnulf.
„Nein, wenn Ihr das glaubt, dann irrt Ihr. Ich habe nirgendwo mehr Wurzeln. Die sind mir ausgerissen worden, als man uns aus Xi Xia verschleppte.“
„Ich dachte, die Art und Weise, wie Ihr im Augenblick hier in Konstantinopel Eurem Handwerk nachgeht, erfüllt Euch voll und ganz!“
„Das tut es auch!“
„Als ich Euch in Eurer Werkstatt gesehen habe, wirktet Ihr wie jemand, dem der Herr den rechten Platz gezeigt hat.“
„Das mag sein. Aber wenn ich eins gelernt habe, dann ist es dies: Es kann sich von einem Tag auf den anderen alles ändern. Nichts ist gewiss und was ich heute besitze, kann sich morgen schon in Nichts aufgelöst haben.“
„Und wenn so etwas passieren würde?“, fragte Arnulf.
„Dann würde ich an einem anderen Ort von vorne beginnen.“
„Wahrscheinlich würde Euch auch dort alles gelingen, was Eure Hand berührt, Li.“
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Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Stadt, dass die Bulgaren die Stadt von ihrem Hinterland abgeschnitten hatten.
Einige Söldnereinheiten waren in verlustreiche Kämpfe verwickelt worden und nur wenige Überlebende schafften die Flucht bis zu den Stadtmauern, wo man sie einließ.
Ragnar der Weitgereiste stattete Li einen Besuch ab. Ihm gehörte schließlich das Haus, in dem sie ihr Handwerk betrieb und er profitierte von ihrem Gewinn.
„Dein