Seewölfe Paket 28. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954399963
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und kicherten sie, hatten gefälligst außergewöhnlich nett zu ihnen zu sein.

      Das kräftezehrendste Stück Arbeit stand ihnen noch bevor. Deshalb hatten sie die Pause eingelegt. Zwar hatte der Fluß nur mäßige Strömung, und das schlanke Boot lief verhältnismäßig zügige Fahrt, doch von den Kerlen wurde dennoch der ganze Einsatz gefordert. Wind, der ein Setzen der Besegelung ermöglicht hätte, fehlte noch immer, und so waren sie allein auf ihre Muskelkraft angewiesen.

      Langsam, Stück für Stück, schob sich Hasard im Bugraum des Bootes etwas höher, so daß er wenigstens über das Dollbord spähen konnte. Nach wie vor konnte er die Ufer nur als dunkle Linien erkennen. Der Nebel war hier, in der Flußniederung, mindestens ebenso stark wie auf See, und er hatte sich kein bißchen gelichtet. Die Sonne schien noch immer nicht aufgegangen zu sein.

      Immerhin gelang es Hasard, die zurückgelegte Entfernung zu schätzen. Es mochten vier Meilen von der Flußmündung sein, als die Entführer das Pullen einstellten. Hasard sah die schweißüberströmten Gesichter. Sie atmeten auf. Nur noch leichte Riemenschläge waren erforderlich. Den Rest erledigte der Mann auf der Achterducht. Geschickt manövrierte er das Boot in eine von dichtem Buschwerk umsäumte Bucht, die von der Flußmitte her zweifellos kaum zu erkennen war.

      Ein wenig hatte sich der Nebel gelichtet, die Sichtweite jedoch nur um zehn Yards verbessert. Die Sonne mußte mittlerweile aufgegangen sein, doch es würde noch bis zum späten Vormittag dauern, daß ihre Kraft ausreichte, um das mächtige Nebelfeld vollends aufzulösen.

      Etwa in der Mitte der Bucht begannen die Graugekleideten erneut zu pullen. Sie hielten auf einen Uferabschnitt zu, den Hasard erst jetzt als Einfahrt zu einer Nebenbucht erkannte. Durch das weit überhängende Gebüsch entstand eine natürliche Tarnung, wie man sie sich besser nicht wünschen konnte.

      In der Nebenbucht lagen weitere Boote und eine arabische Dhau an Stegen vertäut. Ein Posten erhob sich beim Auftauchen des zurückkehrenden Bootes, wirbelte herum und lief landeinwärts. Er verschwand hinter der Biegung eines Trampelpfads, der wie ein Hohlweg durch das Gebüsch führte.

      Die Entführer erreichten einen noch freien Liegeplatz. Einer durchtrennte Hasards Fußfesseln, und dann zerrten sie ihn auf den Steg. Er verzog keine Miene, obwohl es dort, wo ihm die Fesseln das Fleisch eingeschnürt hatten, wie von tausend Nadeln stach.

      Seine Beine waren im ersten Moment wie gelähmt, doch mit eiserner Willenskraft schaffte er es, sich hochaufgerichtet zu halten. Der größte der Graugekleideten war einen halben Kopf kleiner als er.

      Sie trieben ihn an Land, durch den Hohlweg, und ließen ihm keine Chance, nach links oder rechts zu entwischen.

      Das Buschwerk öffnete sich, ließ den Weg breiter werden und gab den Blick frei auf eine Senke, die von mäßig ansteigenden Hängen umgeben war. Die Hügel hatten keinen Baumbestand, nur wenig Buschwerk, aber kniehohes Gras, das hart und borstig zu sein schien und einen blaugrauen Schimmer hatte.

      Den Mittelpunkt der Senke bestimmten die Rundzelte der türkischen Küstenhaie. Hasard blieb keine Zeit, sie genau zu zählen, denn die Kerle trieben ihn jetzt mit größerer Eile voran. Offenbar wollten sie ihrem Anführer den Gefangenen präsentieren, bevor er sich allzu weit von seinem behaglichen Quartier entfernen mußte.

      Sie erreichten einen größeren Platz im Zentrum des Schlupfwinkels, der äußerlich einer ganz normalen menschlichen Ansiedlung glich. Nur Kinder und alte Leute fehlten. Überwiegend drahtige Kerle waren es, nur wenig bullig gebaute, die aus den Behausungen auftauchten. Die Frauen und Mädchen, die allem Anschein nach in eigenen Zelten wohnten, trugen keine Schleier.

      Auch größere Konstruktionen aus Stangengerüsten und Fellbespannung gab es. Aus den Geräuschen, die er hörte, folgerte Hasard, daß die Halunken über Pferde verfügten. Sie waren sowohl seewärts als auch landeinwärts äußerst beweglich.

      Aus dem größten der Wohnzelte trat ein Mann, der sich äußerlich schon von den anderen abhob. An Körpergröße erreichte er fast den Seewolf, und seine breiten Schultern und der kräftige Körperbau ließen erkennen, daß er kein Gramm Fett zuviel mit sich herumtrug.

      Sein Gesicht, scharfgeschnitten und mit kantigem Kinn, war bartlos. Schwarze Brauen standen als waagerechte, fast durchgehende Linie über seinen stechenden Augen. Das schwarze Haar hatte er kurzgeschoren.

      Vier junge Frauen folgten ihm, in lange Seidengewänder gekleidet, die mit sanft fließenden Linien jede Bewegung untermalten.

      Dem Seewolf blieb eben Zeit, sich einen kurzen Überblick zu verschaffen. Hundert Männer waren es gut und gern, die der Hochgewachsene hier befehligte. Und etwa fünfzig Frauen hausten mit ihnen im Schlupfwinkel am Fluß. Ein erfolgreicher Zusammenschluß aus niederen Motiven, wie es aussah. Die kostbaren Kleider der Frauen und das wohlgenährte Aussehen der Männer zeigten, daß hier niemand Mangel litt.

      Der Anführer trat auf den Seewolf zu, der in der Mitte des Platzes stand, hinter ihm seine Entführer, die bereit waren, sofort zuzupacken, falls er sich auch nur die kleinste unerwünschte Bewegung erlaubte.

      Das Tuscheln und Raunen der Meute endete schlagartig, als der Anführer die rechte Hand erhob. Er ließ sie wieder sinken, und ein Grinsen huschte über seine hartlinigen Lippen.

      „Es freut mich, einmal einen Engländer in unserer Mitte begrüßen zu dürfen“, sagte er in erstaunlich gutem Englisch. „Seien Sie willkommen, Sir!“ Er ließ es höhnisch klingen, verneigte sich dazu, und die gesamte Mannschaft stimmte ein schallendes Gelächter an.

      Eine energische Handbewegung von ihm ließ sofort wieder Ruhe einkehren.

      „Ich bin Ahmet Üzürgül“, fuhr der hochgewachsene Mann fort und setzte dabei eine herablassende Miene auf. „Ich erwarte nicht, daß Sie schon von mir gehört haben, Sir, aber was ich erwarte, ist unabdingbarer Respekt. Sie befinden sich in meiner Gewalt, und es wird Sie auf der Stelle das Leben kosten, wenn Sie sich gegen mich aufzulehnen versuchen.“

      „Das würde Sie die Beute kosten“, entgegnete der Seewolf mit fester Stimme. Ein kaum erkennbares Lächeln lag in seinen Mundwinkeln.

      Üzürgül zog die Augenbrauen hoch, so daß sie stumpfe Winkel bildeten. Er ließ sich zu einem selbstgefällig anerkennenden Nicken herab.

      „Sieh an, sieh an. Unser Gast aus dem fernen England hat bereits Gedankenanstrengungen unternommen. Aber er hat sie nicht bis zu Ende geführt, bis zur letzten Konsequenz. Seien Sie versichert, Sir: Ich bin auf die Beute nicht angewiesen. Alles, was meine Freunde und ich noch unternehmen, mehrt nur unseren Reichtum. Wir könnten uns morgen zur Ruhe setzen, wenn wir wollten. Aber – wer rastet, der rostet, nicht wahr? Wir erhalten uns unsere Kraft und steigern unseren Wohlstand. Zwei Beschäftigungen, die uns außerordentlich gut bekommen.“ Er lachte kurz und trocken und genehmigte auch den Kerlen, erneut in Johlen auszubrechen.

      Und wieder brachte er sie zum Verstummen. Er wirkte dabei wie ein herrischer, ärgerlicher Chorleiter in einem Mönchskloster.

      „Bilden Sie sich also nichts ein, Sir“, fuhr er fort. „Wenn Sie geruhen, mich zu ärgern, werde ich nicht lange fackeln. Die Zeiten, in denen ich mich damit herumgeplagt habe, entwichene Gefangene zu jagen und lebend zurückzuholen, sind endgültig vorbei. Das habe ich nicht mehr nötig, verstehen Sie? Sollten Sie einen Fluchtversuch unternehmen, werden wir ihn mit Bleikugeln beenden, was für Sie eine unwiderrufliche Wirkung hätte.“

      Hasard gelangte zu der Überzeugung, daß er es mit einem Aufschneider zu tun hatte. Ein Mann, der sich gern reden hörte. Die Tatsache jedoch, daß er zuviel redete, mußte nicht bedeuten, daß man ihn nicht ernst zu nehmen brauchte. Zweifellos war er einer, der rasch aufbrauste und vor Wut außer sich geriet. Ein Unberechenbarer. Daß er nur noch aus Zeitvertreib Raubzüge unternahm, hielt Hasard für reine Angeberei.

      „Ich habe verstanden“, antwortete der Seewolf. „Ich werde nichts unternehmen, über das Sie sich aufregen müßten. Sie brauchen sich keine Sorgen zu bereiten.“

      Üzürgül furchte die Stirn. Er schien zu überlegen, ob die Worte seines Gefangenen sarkastisch gemeint waren. Offenbar gelangte er zu keinem rechten Schluß.