Aber wie gesagt: Vielleicht war ein solches Verhalten nicht gerade taktisch klug. Vielleicht konnte man den Spanieren, die ihre grausige Odyssee um England und Irland herum fuhren, besser beistehen, wenn man diesen Fettwanst täuschte.
Sir Richard Bingham indes meinte, diesen Killigrew und diesen Ribault durch sein Geschick zu nutzbaren und willfährigen Werkzeugen in seinen Händen machen zu können. Sie sollten ihm helfen, die an der Clew Bay und an Murrisk vorbeisegelnden halbwracken Spanier auszuplündern.
Er war geradezu verrückt darauf. Und ihm standen fast die Tränen der Wut in den Augen, wenn er daran dachte, wie viele Spanier bereits an der Clew Bay vorbeigezogen waren, die eine leichte Beute für ihn hätten werden können.
„Diese Spanier“, sagte er mit verschlagenem Gesichtsausdruck. „Wir sollten sie nicht nur versenken, damit sie ihr Heimatland nicht mehr wiedersehen, wir sollten ihnen auch wegnehmen, was sie noch an Bord ihrer Schiffe mitschleppen. Gentlemen, alles, was sie nach Spanien und Portugal zurückbringen, dient doch letztlich ihrem verfluchten König, diesem Philipp, wieder eine neue Flotte aufzubauen und auszurüsten. Habe ich recht?“
Diesmal war es Jean, der darauf erwiderte: „Sehr richtig, lieber Freund. Vom kriegstechnischen und vernunftmäßigen Standpunkt aus gesehen, ist dem, was Sie eben ausgesprochen haben, nur unter außergewöhnlichen Umständen eine gehörige Portion Schlauheit zu leugnen.“
„Wie?“ sagte Bingham verdutzt.
„Ich meine, was Sie da über König Philipp II. von Spanien gesagt haben, stimmt schon“, entgegnete Jean, ohne dem Dicken zu verraten, wie er über den Rest seiner Worte dachte.
So rechtfertigte Bingham also, was er plante – Spanien zu schaden, wo man konnte. Fehlte nur noch, daß er behauptete, er tue dies für seine Königin, der er treu ergeben sei.
„Mit den wenigen kleinen Schiffen, die Sie im Hafen liegen haben, dürfte ein solches Unternehmen aber scheitern“, sagte nun der Seewolf. „Mit den Einmastern können Sie nur was anfangen, wenn Sie hervorragende Entermannschaften haben, Burschen, die weder Tod noch, Teufel fürchten und reiche Erfahrung im Kapern haben.“
Bingham rang die Hände. „Daran mangelt es mir ja gerade, Freunde. Keiner meiner Untergebenen ist kampferfahren genug, um so was leisten zu können. Meinen Sie denn, ich säße sonst noch hier herum?“
„Und die Iren?“
„Die irischen Bastarde sind dazu sowieso nicht zu gebrauchen“, sagte Bingham verächtlich. „Mit anderen Worten, nur Sie können das erledigen.“
Hasard schlug ein Bein über. „So viele spanische Schiffe wie möglich entern? Darüber läßt sich reden, denn das ist unsere Spezialität. Und wie sieht es mit unserem Anteil aus?“
„Proviant und Trinkwasser, reichlich …“
„Ach. Und Sie glauben, damit begnügen wir uns?“
Bingham rutschte ein Stück auf seinem Stuhl vor und legte die Hände auf das blankgewetzte Pult. „Gold und Silber habt ihr Seewölfe auf euren Fahrten doch genug gerafft. Was ihr jetzt braucht, ist ausreichend gutes Essen, Wasser, Wein, Bier, Whisky – ihr glaubt ja nicht, wie gut es um meine ganz privaten Vorräte bestellt ist.“
Doch, Hasard glaubte fest daran, daß Bingham sich gut eingedeckt hatte, denn wo man den Iren kein Geld und keine Wertsachen entreißen konnte, da nötigte man ihnen eben Naturalien ab, an denen man sich gütlich tun und mit denen man auch einen schwunghaften Tauschhandel betreiben konnte.
„So?“ sagte Jean Ribault. „Habe ich richtig gehört? Sie haben auch Whisky? Etwa den echten irischen, der mit einem ‚e‘ vor dem ‚y‘ geschrieben wird: W-h-i-s-k-e-y?“
„Ja, den.“
Jean blickte zu Hasard. „Also, das sollten wir uns aber wirklich gut überlegen. Da ist doch einiges für uns drin, Hasard.“
„Kann sein.“
Hasard spielte den Zögernden und feilschte noch eine Weile mit Bingham über die Mengen herum, die er forderte, obwohl er dem Dicken am liebsten zwei deftige Maulschellen verpaßt hätte.
Endlich hatten sie eine „Einigung“ erlangt, und Hasard fragte: „Wann sollen wir denn mit dem Überfall auf spanische Schiffe beginnen?“
„So schnell wie möglich“, erwiderte Bingham hastig. „Die Clew Bay ist übrigens ein ideales Versteck, aus dem man wie der Teufel über einen Feind herfallen kann. Sie brauchen bloß auf die verdammten Philipps zu warten, Freunde, und dann rupfen Sie sie, einen nach dem anderen.“
„Es stürmt“, erwiderte der Seewolf. „Und meine Männer sind hungrig. In der Kneipe von Westport können sie saufen und mit den Ladys scherzen, aber da gibt es nichts zu essen.“
„Meine Männer sind auch hungrig. Wie die Bären“, hieb Jean sogleich in dieselbe Kerbe. „Seit zwei Tagen haben sie nichts Vernünftiges mehr zwischen die Zähne gekriegt.“
„Und wer Hunger hat, kann nicht kämpfen“, erklärte der Seewolf. „Also sollten wir den Proviant, das Wasser und die übrigen Kleinigkeiten, die Sie, werter Richard, uns versprochen haben, so schnell wie möglich übernehmen.“
„Wenn der Sturm nachläßt, oder?“ fragte Bingham.
„Am besten noch heute nacht“, sagte Hasard.
„Und wenn es weiterhin stürmt?“
„Auch dann“, entgegnete Hasard und entblößte seine Zähne. „Meine Leute und die Männer Jean Ribaults werden schon nicht von der Gangway fallen, wenn sie Fässer und Kisten zur ‚Isabella‘ und zur ‚Vengeur‘ hinübermannen. Je mehr Bier und Schnaps sie in Ihrer Spelunke die Kehlen hinunterstürzen, desto sturmfester wird ihr Gang.“
Er lachte. Jean lachte auch. Bingham fiel glucksend mit ein, dann erhob er sich und schüttelte den beiden spontan die Hände. Hasard und Jean wäre es lieber gewesen, voll in eine glitschige Nesselqualle zu packen als diesem Widerling die Hand zu drükken, aber sie taten auch das.
Was tat man nicht alles zum Schein!
„Ich werde alles Notwendige veranlassen“, sagte Sir Richard Bingham feierlich. „Und nun lassen Sie uns erst mal trinken – auf gute Geschäfte.“ Er kicherte, setzte sich wieder und zog aus dem untersten Fach seines Pultes eine leicht angestaubte Flasche hervor. Guter irischer Whiskey befand sich darin, zehn Jahre alt, ein edler Tropfen, den Bingham eigentlich für sich ganz persönlich aufgespart hatte.
Zum Teufel mit allem Geiz, dachte er, das hier ist schon ein Opfer wert.
Der Sturm hielt an. Immer noch kämpfte die „Gran Grin“ mit ihm. Ihr Kapitän und ihre Besatzung entdeckten in den ihnen unbekannten Gewässern keine schützende Bucht, in die sie verholen konnten. Dunkelheit und Regen hüllten das große Schiff ein, Brecher rollten donnernd gegen die Bordwände an und vergrößerten die Lecks.
1160 Tonnen groß war die „Gran Grin“, ein einst stolzes Schiff, wie es in dieser Größe und prachtvollen Bauweise nur selten vom Stapel gelassen wurde.
Sie war das Vize-Flaggschiff aus dem Biskaya-Geschwader des Juan Martinez de Recalde, eine gut armierte Viermast-Handelsgaleone. Aber von ihren vier Masten standen jetzt nur noch der vordere Besanmast und der Fockmast. Der achtere Besanmast war im Gefecht weggeschossen worden. Der vordere Besanmast war lateinergetakelt, an dem Fockmast bauschten und beutelten sich im zornigen Wind die beiden Rahsegel – Fock und Vormarssegel –, und zwischen diesen beiden Masten stand als Überrest des Großmastes ein unbrauchbarer, kläglicher Viertelstumpf. Die oberen drei Viertel waren samt Takelage und Segeln längst gekappt und schwammen nördlich der Orkney-Inseln.
Und die Armierung?
Es waren nur noch die Kanonen da, von denen sich die