Sampedros und Flores sprachen kein Wort.
Der Koch trat vor de Bobadilla hin. De Bobadilla wollte an den Gurt greifen und die Pistole zücken, aber er kriegte sie nur halb heraus. Sampedro schlug sie ihm aus der Hand.
Oben auf der Back sagte Alvarez gerade: „Also ehrlich, Senor, da müssen Sie sich getäuscht haben. Ich bin hier vorn mutterseelenallein. An sich ist das sogar ein verdammt langweiliger Dienst hier. Ich wollte mich gerade unter mein Stück Segeltuch verziehen, wegen des Regens, und …“
„Und ein Nickerchen halten?“
„Nein, das natürlich nicht.“
„Vallone ist fast sicher, in der zweiten Gestalt Luis de Bobadilla erkannt zu haben“, sagte de la Torre.
Alvarez lachte gekünstelt und erwiderte: „Das ist aber wirklich ein guter Witz. Was sollte denn wohl der Zahlmeister bei dem ungemütlichen Wetter und in aller Herrgottsfrühe ausgerechnet hier suchen?“
„Das fragten wir uns auch …“
De Bobadilla hatte die Fäuste gegen Sampedro gehoben und wollte auf ihn einschlagen. Der Koch spürte die Wut in sich überschäumen. Er hieb zurück, entriß dem beleibten Mann den Segeltuchsack, schleuderte den Sack von sich und wehrte de Bobadillas erneuten Angriff ab.
Juan Flores fing den Sack auf.
Sampedro rammte dem Zahlmeister die Faust unters Kinn, bückte sich plötzlich und hievte den Mann, der jetzt erschlaffte, an den Beinen hoch.
Juan Flores stockte der Atem. Nie hätte er geglaubt, daß der Koch zu einer solchen Tat fähig sei. Aber er begriff, was es war, das Francisco Sampedro so weit trieb: die unglaubliche Niedertracht de Bobadillas, die Selbstsucht, durch die er der Mannschaft die letzten Proviantreserven geraubt hatte.
De Bobadilla flog außenbords. Klatschend landete er im Wasser, aber im Sturm hörten das weder de la Torre und Alvarez noch sonst jemand – außer Sampedro und dem Jungen natürlich.
Mit den eingenähten Münzen in Wams und Hosen sank der Zahlmeister wie ein Stein. Die Fluten verschlangen ihn.
Juan Flores wollte dem Mann einen Blick nachwerfen, aber Francisco Sampedro packte ihn am Arm und zog ihn mit sich zum Steuerbordschott der Back. Erst als sie sich im Inneren befanden, lehnte sich Sampedro schwer atmend gegen die Wand.
Juan griff in den Segeltuchsack und zeigte vor, was de Bobadilla gegen klingende Münze von Alvarez erstanden hatte. Seine Miene war verbittert, denn er dachte daran, was wohl der arme Miguel darum gegeben hätte, vor seinem Tod noch einmal Salchichas zu essen oder Rioja-Wein zu trinken.
„Die Spezialreserven des Proviantmeisters“, flüsterte Francisco Sampedro erregt. „Den Kerl würde ich mir gern auch noch kaufen.“
„Aber der Erste …“
„Ich weiß, Juan. Keiner darf wissen, was mit de Bobadilla geschehen ist. Was immer er auf dem Kerbholz hatte, für mich hat es üble Folgen, wenn die Wahrheit herauskommt.“
„Ja, Senor Francisco“, raunte Juan. „Ich werde schweigen wie ein Grab.
Sampedro atmete jetzt langsamer und regelmäßiger. Er begriff, daß er mit Alvarez kaum noch abrechnen konnte, er würde sich dabei zweifellos demaskieren. Totales Schweigen schien auch für ihn das beste zu sein.
Fünf Glasen später hatte der erste Offizier Vega de la Torre auf Kapitän Pedro de Mendozas Befehl hin einen Trupp von zwanzig bleichen, ausgemergelten Gestalten zusammengestellt, der zwei Aufgaben zu versehen hatte: Erstens sollte er unter der Leitung von de la Torre nach dem spurlos verschwundenen Luis de Bobadilla suchen, zweitens das Land erkunden, an dessen Küste man vertäut hatte.
Zwei Boote lösten sich in der immer noch stürmischen See von der Bordwand der „Gran Grin“. Zehn Mann saßen auf den Duchten jeder Jolle und pullten zum Ufer. De la Torre war der erste Bootsführer, Vallone, der Bootsmann, der zweite. Sie hockten auf den Heckduchten und dirigierten die Jollen durch geschicktes Bedienen der Ruderpinnen zwischen tückischen Felsen hindurch in die donnernde Brandung.
Allein das Landen war ein schwieriges, waghalsiges Unternehmen. De la Torres Boot kenterte beinah, nur wie durch ein Wunder schlug es nicht um. Vallones Boot wurde von einer Woge hochgehoben und auf den Kiesstrand geschmettert. Die leidgeprüften Männer fluchten, sprangen aus den Booten und zogen sie in Wind und Wasser aufs Land.
Im Wasser war de Bobadilla nirgendwo zu entdecken gewesen, und Kapitän de Mendoza hatte nach einem Blick in die Kriegskasse des Geschwaders die berechtigte Behauptung aufgestellt, der Zahlmeister habe das Weite gesucht, man solle an Land nach ihm fahnden.
Vega de la Torre, Vallone und die anderen Männer des Trupps suchten zunächst die Küste ab, ohne eine Spur von de Bobadilla zu entdecken. Auch stießen sie auf keine Bewohner der Gegend, die Uferregion lag wie ausgestorben da.
„Wir steigen in die Felsen auf“, sagte de la Torre.
Wenig später sollte er einsehen, daß dies ein tragischer Fehler war. Auf der Mitte eines ausgedehnten Plateaus, das sie auf der Höhe von rund einhundert Yards erreichten, wurden sie von einer Bande angegriffen, die ihnen zahlenmäßig weit überlegen war.
Mindestens vierzig wilde, bärtige Kerle in abgerissener Kleidung fielen aus Verstecken über sie her. Nachdem die Männer der „Gran Grin“ die letzten Kugeln und das letzte Pulver verfeuert hatten, die noch in ihren Musketen, Arkebusen und Blunderbüchsen steckten, mußten sie sich auf einen mörderischen Nahkampf mit den Wegelagerern einlassen.
„Kontakte mit der Bevölkerung aufnehmen“ – so hatte de Mendozas Befehl gelautet. Und so sah nun die bittere Praxis aus: keine Chance, mit den Iren zu verhandeln, keine Aussicht auf Proviant und Trinkwasser. Kapitän de Mendoza hatte die Kriegskasse, die de Bobadilla bislang verwaltet hatte, aber sie nutzte ihm nichts, er konnte mit dem Geld nicht kaufen, was seine Mannschaft und auch er so dringend benötigten. Keine Chance.
Im Handgemenge auf dem Plateau hatten die Spanier das Nachsehen. Zu schwach, um sich auf die Dauer mit ihren Blankwaffen verteidigen zu können, fielen sie rasch, Mann um Mann. De la Torre, Vallone und eine kleine Restgruppe zogen sich fechtend immer weiter zurück.
Der Anführer der johlenden Bande hieß Dubhdara Rua O’Malla und war der Inselhäuptling von Clare Island, aber das sollten de Mendoza und die letzten Überlebenden der Galeone erst sehr viel später erfahren.
O’Malla drang auf Vallone ein, schlug dessen Verteidigung nieder und säbelte ihn zu Boden. De la Torre, rasend vor Wut, versuchte bis zu Vallone vorzudringen, aber zwei andere Iren versperrten ihm den Weg und setzten ihm selbst so hart zu, daß er beinah unterlag. Nur einen konnte er töten. Der andere stürzte, rappelte sich aber wieder auf, erhielt Verstärkung durch seine Kumpane und rückte mit ihnen erneut auf de la Torre zu.
De la Torre hatte keine andere Wahl mehr, er mußte mit den drei letzten Soldaten den Rückzug antreten. O’Malla und dessen wilder Haufe verfolgte sie bei der Flucht zum Ufer hinunter, und voll Verzweiflung mußte Vega de la Torre erleben, wie noch zwei seiner Männer niedergemetzelt wurden.
Fast gelang es dem ersten Offizier und seinem letzten Begleiter nicht, eine der Jollen klar zu kriegen. In nackter Todesangst schoben sie das Boot dann aber doch in die Brandung, warfen sich hinein und begannen zu pullen, während die O’Malla-Meute heranstürmte und Pfeile hinter ihnen herschoß. De la Torre und sein Begleiter entgingen diesen Pfeilen. Sie erreichten die „Gran Grin“ und sanken dort erschöpft auf die Planken der Kuhl. De la Torre berichtete, was sich ereignet hatte.
Kapitän de Mendoza blickte erschüttert zum Ufer, zu den johlenden, fluchenden Kerlen, die das zweite Boot der Galeone umringt hatten.
„Nach Calais dachte ich, es würde keinen schwärzeren Tag in meinem Leben geben“, sagte er. „Aber nun