Seewölfe Paket 17. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954397754
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will dich nicht bedrängen“, sagte der Seewolf, „aber ich würde dich jetzt gern bei mir an Bord sehen.“ Er wußte, daß er für diese Worte keinen Übersetzer brauchte und sein Cousin ihn auch so verstand. Ohnehin hatten sie seit ihrer ersten Begegnung in Wisby auf Gotland schon viel von der sprachlichen Barriere abgebaut, die sie trennte. Auch menschlich waren sie einander näher. In der kurzen Zeit ihres Zusammenseins hatten sie immer häufiger feststellen können, daß sie aus dem gleichen harten Holz geschnitzt waren.

      „Woher wußtest du …?“ Arne sprach den Satz nicht zu Ende, während er zu seinem Vetter aufblickte. Da war etwas, das seine Stimme erstickte, und sein Gesicht hatte noch immer diesen wie versteinerten Ausdruck.

      „Ich habe die Kutsche gehört“, entgegnete Hasard. „Komm an Bord. Ich will nicht, daß du dich verkriechst.“

      Arne nickte mit zusammengepreßten Lippen. Dann enterte er über die Stelling auf. Seine Bewegungen waren müde wie die eines alten Mannes, der den größten Teil seines Lebens hinter sich hat.

      Hasard gab Gary Andrews einen Wink. Gary war als Bordwache eingeteilt, und er verstand, daß Nils Larsen nun doch als Dolmetscher gebraucht wurde. Hasard legte seinem Vetter den Arm auf die Schulter und führte ihn in die Behaglichkeit der Kapitänskammer. Wenig später war Nils zur Stelle, der seit jenem denkwürdigen Zusammentreffen in Wisby ein besonderes Vertrauensverhältnis in der Beziehung der beiden Vettern erworben hatte.

      Der Seewolf nahm eine Flasche Rotwein aus dem Schapp, stellte Gläser auf den Tisch und hängte den regenfeuchten Umhang seines Vetters weg. Dann setzte er sich Arne gegenüber. Nils schenkte ein. Der Wein funkelte rubinrot im geschliffenen Kristall.

      „Ich fühle mich elend“, sagte Arne leise, „weil ich Giselas Familie alleingelassen habe. Einerseits glaubte ich mich verpflichtet, in ihrer Nähe zu bleiben. Andererseits hatte ich aber auch das Gefühl, daß sie in ihrer Trauer unter sich bleiben möchten, obwohl sie das natürlich nicht gesagt haben.“ Arne atmete tief durch, wie nach einer schweren Anstrengung.

      Nils übersetzte so zügig und lückenlos, wie die Männer es schon seit vielen Gelegenheiten gewohnt waren. Es entstanden keine störenden Gesprächspausen, und für die beiden Vettern war es fast so, als sprächen sie die gleiche Sprache. Hasard hob das Glas und nickte Arne zu.

      „Ich, meine, du hast richtig entschieden“, sagte der Seewolf, „die Eltern Giselas betrachten dich sicher nicht als einen Fremden. Trotzdem werden sie ihre Trauer in erster Linie als eine Familienangelegenheit empfinden. Sie haben Erinnerungen an ihre Tochter, die du mit ihnen nicht teilen kannst.“

      Arne nickte mit starrer Miene und drehte das Glas zwischen seinen Fingern. Dann hob er den Kopf und sah Hasard fragend an.

      „Ich weiß ein wenig über dein Schicksal, aber …“

      Hasard lächelte kaum merklich.

      „Du hast recht. Was ich gesagt habe, klingt schulmeisterhaft. Das ist es aber nicht.“ Er zögerte einen Moment, preßte die Fingerspitzen gegeneinander, und schließlich gab er sich einen Ruck. Mit wenigen Worten, um nicht seine eigenen Belange in den Vordergrund zu rücken, berichtete er über den tragischen Tod seiner Frau Gwendolyn, der Mutter seiner Söhne Philip und Hasard. Die Naturgewalten hatten ihm Gwen entrissen, damals, im Sturm bei der Flucht nach Calais.

      In Arnes Augen entstand deutliche Betroffenheit.

      „Das habe ich nicht gewußt. Es tut mir leid, daß ich an deinen Feststellungen gezweifelt habe. Dann ist Dan O’Flynn dein Schwager? Und Old Donegal dein Schwiegervater?“

      „So ist es. Aber diese Zeit liegt hinter uns. Der alte Donegal und sein Sohn waren zumindestens genauso betroffen wie ich. Doch wenn die Erinnerung einmal wach werden sollte, verzweifeln wir nicht mehr an uns selbst. Das ist es, was ich zu sagen versuche. Der Schmerz, der einem zugefügt wird, läßt sich niemals ganz auslöschen. Aber die Zeit deckt die Wunden zu. Du wirst es selbst erfahren, Arne. Nur – es dauert lange. Von heute auf morgen kannst du es nicht überwinden.“

      „Mein Gott“, flüsterte Arne von Manteuffel kaum hörbar, „ich fange an zu begreifen, welche Kraft du aufgebracht haben mußt. Erst der Tod deiner Mutter, dann das schreckliche Ende deines Vaters, meines Onkels. Und schließlich, als du geglaubt hast, ein kleines persönliches Glück erlangt zu haben …“ Abermals versiegte seine Stimme.

      Hasard schüttelte den Kopf.

      „Du bist in der Stimmung, die Dinge düster zu sehen. Das ist mehr als verständlich. Auch ich habe damals nicht daran geglaubt, daß das Leben noch einen Sinn haben könnte. Aber du bist nicht so schwach, daß du daran zerbrechen würdest.“

      „Wenn ich mir diese Frage stelle, weiß ich im Augenblick keine Antwort darauf.“ Arne atmete schwer. „Es ist nicht allein die Trauer. Was vielleicht noch schwerer wiegt, sind die Selbstvorwürfe. Hätte ich nicht Giselas Tod verhindern können? Trifft mich nicht eine gewisse Schuld?“

      Hasard und Nils Larsen wechselten einen Blick.

      „Dann sind wir alle mitschuldig“, sagte Nils, der sich sonst nicht in das Gespräch einmischte.

      „Allerdings.“ Der Seewolf nickte. „Warum hat keiner von uns daran gedacht, daß Erich von Saxingen und Bruno von Kreye uns auflauern könnten? Der Gedanke lag schließlich nahe, da wir Hugo von Saxingen als Gefangenen bei uns hatten.“

      „Um Himmels willen, nein!“ rief Arne erschrocken. „Das habe ich damit nicht sagen wollen. Ich stehe tief in deiner Schuld, Hasard – nach allem, was du für mich getan hast. Das gilt ebenso für deine Männer. Und schließlich wart ihr es, die Erich von Saxingen zur gerechten Strafe für den Mord verholfen habt.“

      Der Seewolf beugte sich vor und blickte Arne eindringlich an.

      „Was für meine Männer und mich gilt, gilt ebenso für dich. Keiner von uns hat einen Grund, sich mit Vorwürfen zu plagen. Die Schicksalsschläge des Lebens kann man nicht überwinden, indem man sich selbst zerfleischt. Du mußt das begreifen. Und du wirst es begreifen. So gut habe ich dich mittlerweile kennengelernt.“

      Arne senkte den Kopf. Minutenlang schwieg er. Dann hob er das Glas, nahm einen Schluck und setzte es mit einem entschlossenen Ruck wieder ab.

      „Ich danke dir, Hasard. Ich verstehe alles, was du mir erklärt hast. Ich bin auch sicher, daß ich mich danach richten werde. Nur mußt du Geduld mit mir haben. Denn auch damit hast du recht: Von heute auf morgen läßt sich das alles nicht überwinden.“

      „Aber du bist auf dem besten Weg dazu“, entgegnete der Seewolf. „Laß uns jetzt nicht mehr darüber reden. Ich habe etwas anderes zu sagen: Du brauchst Abstand von den Dingen, die dich belasten. Räumlichen und auch zeitlichen Abstand. Wie wäre es, wenn du uns begleitest?“

      „Oh, es ist meine Pflicht, dir bei der Erfüllung deines Auftrags im Ostseeraum zu helfen. Bislang hast du immer nur etwas für mich getan. Es wird Zeit, daß ich mich auch ein wenig revanchieren kann.“

      Hasard schüttelte den Kopf.

      „Davon rede ich nicht. Ich meine die Zeit nach diesem Auftrag. Wir werden nach England zurückkehren und dann in die Neue Welt aufbrechen. Die Karibik wird unser Ziel sein. Und dann die Schlangen-Insel.“ Hasard konnte sich eines leisen Gefühls von Sehnsucht nicht erwehren, als er seinem Vetter von jener Insel berichtete, auf der freie Menschen wirklich noch frei sein konnten.

      Tief in den Augen Arne von Manteuffels entstand ein Leuchten, kaum erkennbar noch, doch es war vorhanden. Hasard wußte, daß sein Vetter trotz des Schmerzes härter werden würde. Aber diese Härte würde sich nicht in Bitterkeit äußern.

      „Du meinst“, sagte Arne schließlich, „ich sollte dich auf deinen Reisen begleiten?“

      „Warum nicht? Du bist ein freier Mann.“

      Arne zog die Schultern hoch und sog die Luft tief ein.

      „Ich muß gestehen, der Gedanke ist verlockend. Und er trifft mich überraschend. Ich muß darüber nachdenken.“

      „Natürlich.