Smokys Gesicht hatte längst wieder einen mißtrauischen Ausdruck angenommen. Er konnte nicht verbergen, daß er der Sache noch immer nicht traute. Menschen konnte man schließlich sehen, aber bis jetzt war nicht ein einziger zu entdecken. Geister hingegen waren in der Regel unsichtbar. Und dann diese Geräusche – zum Teufel, das konnte einem schon mächtig auf den Geist gehen! Wollte man sie damit in eine Falle locken? War das Geisterboot deshalb in diesen schilfumwachsenen Kanal eingelaufen?
Nun, Smoky hatte bestimmt nichts gegen einen greifbaren Gegner einzuwenden, mitnichten, da langte er hin, daß die Fetzen flogen. Aber mit unsichtbaren Geistern und Dämonen wollte er nicht unbedingt etwas zu tun haben.
Stenmark, der Schwede, durchbrach den scheinbaren Bann, der über den Arwenacks lag.
„Ob das Indianer sind?“ fragte er mit gedämpfter Stimme.
Der Seewolf zuckte mit den Schultern.
„Wir werden der Sache sofort auf den Grund gehen. Ed, du enterst mit mir von achtern auf das Boot, ihr anderen bleibt in der Jolle, verhaltet euch absolut leise und gebt uns Rückendeckung!“
Niemand widersprach dieser klaren Anweisung.
Während sich die Jolle langsam an das Heck des Hausbootes heranschob, glitt keine fünf Yards von den Seewölfen entfernt ein ziemlich großer Alligator vorbei. Das erinnerte Philip Hasard Killigrew und seine Mannen mit Nachdruck daran, daß es nicht ratsam war, hier während eines Enterkampfes über Bord zu gehen. Demnach war bei ihrem Vorhaben äußerste Vorsicht geboten.
Als der Dollbord der Jolle das Heck des schwimmenden Hauses berührte, wurde es am nahen Ufer lebendig. Einige Teichläufer verschwanden kreischend im Schilfdickicht, Scharen von Pfuhlschnepfen, Bleßhühnern und Sichlern, die durch das Beiboot der „Isabella“ aufgeschreckt worden waren, stiegen auf und flogen landeinwärts.
Die Atmosphäre war düster und spannungsgeladen, denn alles an diesem Boot und seiner unmittelbaren Umgebung wirkte geheimnisvoll, ja gespenstisch. Kein Wunder, wenn sich abergläubische Gemüter bei einem solchen Anblick bekreuzigten.
Auch der Seewolf und sein Profos spürten, wie ein seltsam beklemmendes Gefühl in ihnen hochkroch. Obwohl sie niemanden sahen, fühlten sie sich dennoch aus tausend Augen beobachtet.
Irgendeine teuflische Überraschung lag in der Luft, darüber waren sie sich im klaren, als sie das Achterdeck jenes rätselhaften Hausbootes betraten.
2.
Die Feuchtigkeit des aufsteigenden Nebels hatte die stellenweise etwas rissigen Planken in eine glitschige Fläche verwandelt. Hasard und Ed mußten aufpassen, daß sie nicht ausrutschten.
Beide hatten ihre Pistolen aus den Gürteln gezogen und umschlichen vorsichtig die bunte Hütte. Dabei war es nicht einmal erforderlich, besonders leise zu sein, denn der Lärm innerhalb des Gebäudes verschluckte ihre Schritte.
Der Seewolf verhielt plötzlich und hob schnuppernd die Nase in den Wind. Sekunden später tat es ihm der Profos nach. Durch die kleinen Fensteröffnungen, die ziemlich hoch oben lagen, drangen nicht nur die nervtötenden Geräusche nach außen, die sie seit Stunden mehr oder weniger laut vernommen hatten, sondern auch merkwürdige Gerüche.
Es stank nicht, o nein, aber es roch doch seltsam süßlich und aufdringlich. Die beiden Männer von der „Isabella“ dachten zuerst an Gewürze, doch dann erinnerten sie sich an die zahlreichen Tempel im Reich des Großen Khan, in denen es stets nach Sandelholz und Weihrauch gerochen hatte.
So ähnlich roch es auch hier.
Edwin Carberry schüttelte verwundert den Kopf. Die Sache wurde immer merkwürdiger. Alles, was hier geschah, was sich den Augen, den Ohren und selbst der Nase darbot, war mit normalen Maßstäben nicht einzuordnen. Es blieb nach wie vor rätselhaft.
Vorsichtig setzten die beiden Männer ihren Weg fort.
Außerhalb der bunten Hütte gab es nichts Außergewöhnliches zu sehen. An der Backbordseite des Gebäudes standen einige Wasserfässer, zwei davon waren leer. Daneben stapelten sich einige Holzkisten und Pützen. Auf dem Vorschiff, nur wenige Schritte vom Hütteneingang entfernt, lag ein winziges Boot kieloben.
Hasard hatte sich gerade durch einige Gesten mit Edwin Carberry verständigt und schickte sich an, auf eins der Wasserfässer zu klettern, um einen Blick durch die darüber liegende Fensteröffnung zu werfen. Da ließ ihn ein plötzlicher Trommelwirbel unwillkürlich zusammenzucken.
Auch Ed stand wie erstarrt und kratzte sich dann bedächtig am Hinterkopf wie meist, wenn er die Welt nicht mehr verstand.
Nach wenigen Sekunden setzte das rasende Trommeln aus. Jetzt war nur noch ein leises Wimmern und Klagen zu hören.
Der Seewolf verzichtete darauf, auf das Wasserfaß zu steigen, und begab sich mit einigen raschen Schritten zu Edwin Carberry.
„Ich habe das Theater satt“, sagte er flüsternd. „Wir wollen keine Zeit mehr verlieren. Ich öffne jetzt das Schott, und du gibst mir Deckung. Alles klar, Ed?“
„Aye, aye, Sir!“ Der Profos ballte die linke Hand zur Faust. „Schreiten wir ein, bevor da drin jemand abgemurkst wird. Es hört sich verdammt danach an.“
Ein Blick nach achtern bestätigte ihnen, daß die Jollenbesatzung gespannt der Dinge harrte, die da geschehen sollten. Die Männer hielten schußbereite Musketen in den Händen, des weiteren trugen sie Pistolen, Degen und Messer bei sich. Unter der Heckducht lagerten außerdem einige der gefürchteten Flaschenbomben, die mit Pulver, gehacktem Eisen und Blei sowie mit Nägeln gefüllt und mit einer Zündschnur versehen waren.
Hasard und Ed schoben sich mit entschlossenen Gesichtern an das Schott heran. Es war nur angelehnt. Einen Riegel gab es offenbar nicht, nur einen verrosteten Eisengriff.
Ed postierte sich links der Türfüllung, hob seine Pistole und spannte den Hahn.
Der Seewolf hingegen packte zu und stieß das Schott schwungvoll auf. Es drehte sich mit einem häßlichen Quietschen in den Angeln und prallte dann mit einem dumpfen Geräusch gegen die Wand.
Im selben Augenblick schienen die beiden Männer zu Steinsäulen zu erstarren.
Süßliche Dunstschwaden überlagerten das Innere der Hütte und raubten ihnen fast den Atem. Aber es war nicht dieser penetrante Weihrauchgeruch, der ihnen kalte Schauer über den Rücken jagte, sondern das groteske Bild, die sprichwörtlich geisterhafte Szene, die sich ihren Augen bot.
Ohne Zweifel hätte sich Old Donegal in diesem Moment mehrfach bekreuzigt und gleichzeitig einen Bannspruch gegen böse Geister und Dämonen von sich gegeben. Der Seewolf hatte gut daran getan, den abergläubischen Alten, der sonst weder Tod noch Teufel fürchtete, an Bord der „Isabella“ zu belassen.
„O Hölle und Verdammnis!“ murmelte Edwin Carberry, dann klappte seine amboßartige Kinnlade nach unten.
Der Seewolf, dessen Blicke blitzschnell durch den langgestreckten Raum wanderten, schob seine doppelläufige Pistole in den Gürtel.
„Aber Sir!“ entfuhr es dem Profos, der das mit Verwunderung registrierte. „Meinst du nicht …?“
Hasard unterbrach ihn, indem er ihm die linke Hand auf die Schulter legte.
„Bleib völlig ruhig, Ed“, sagte er mit leiser Stimme. „Und steck die Pistole weg.“
„Aber …“
„Ich erkläre es dir später, Ed.“
Zögernd und mit mißtrauischem Gesicht schob nun auch der bullige Profos seine Steinschloßpistole in den Gürtel, jedoch ohne den Blick auch nur für eine einzige Sekunde von dem wunderlichen Treiben abzuwenden, dessen Geräusche ihm und seinen Kameraden