Die Rote Korsarin wandte sich ab – sie wollte es tun, aber in diesem Moment brach abermals die Hölle in der Bucht los.
Ein großer Dreimaster segelte in die Bucht ein. Düster wie der Tod, und seine Geschützpforten waren geöffnet. Ohne jede Warnung feuerte er eine Breitseite auf den vor Anker liegenden Viermaster der Roten Korsarin ab. Die Breitseite lag aus der kurzen Entfernung voll im Ziel, und sie hatte eine verheerende Wirkung. Der Rumpf zersplitterte unter den Einschlägen der schweren Kaliber, gurgelnd schoß das Wasser in die Laderäume.
Nur wenige Augenblicke später löste sich donnernd die zweite Breitseite aus dem unteren Geschützdeck des Dreimasters, und auch sie lag nahezu voll im Ziel.
Was dereinst der „Le Vengeur II.“ Ribaults geschehen war, geschah nun Siri-Tongs „Roter Drache“. Das Schiff nahm durch die vielen zum Teil halbyard großen Lecks soviel Wasser, daß es wie in Zeitlupe weiter und weiter nach Steuerbord krängte.
Mister Boyd, Araua und den übrigen Männern der Besatzung blieb keine andere Möglichkeit, als über Bord zu springen. Mister Boyds Stimme schallte über die Decks, und die Männer sprangen. Araua mit ihnen.
Verzweifelt versuchten sie aus der Nähe des sinkenden Viermasters zu gelangen, und den meisten von ihnen gelang es auch. Dann kenterte „Roter Drache“ mit einem Ruck. Für einen Moment lag er still im Wasser der Bucht, während die Piraten an Bord der Galeone der Black Queen in wildes Triumphgeschrei ausbrachen. Doch dann wälzte der Viermaster sich herum, als sei er seines langen Lebens auf allen Meeren der Welt überdrüssig geworden. Über das Heck kippte „Roter Drache“ ab und verschwand im nachtschwarzen Wasser der Bucht. Die Reflexe des am Strand immer noch lodernden Feuers tanzten Dämonen gleich über die Stelle seines Untergangs.
Wrackteile schossen empor, eine gewaltige Luftblase zerplatzte an der Oberfläche der Bucht mit lautem Schmatzen, und dann begann ein wilder Strudel über der Stelle zu kreisen, an der eben noch der einstige stolze Viermaster der Roten Korsarin geankert hatte.
Die Piraten ließen ihre Boote zu Wasser. Unter Führung der Black Queen begannen sie ihre Treibjagd auf die Schiffbrüchigen. Sie kriegten nicht alle, aber sie erwischten Araua, als sie unglücklicherweise halb erstickt und halb ohnmächtig vor Atemnot vor einem der Piratenboote auftauchte, denn der Strudel hatte sie mit sich in die Tiefe gerissen.
Ein derber Hieb mit einem der Riemen raubte ihr auf der Stelle das Bewußtsein. Dann wurde sie von derben Fäusten gepackt und unter Hohngelächter an Bord gezogen. Lüsterne Blicke tasteten ihren jungen Körper ab – aber dennoch wagte es keiner, sie zu berühren. Der Schlangenreif in ihrem dunklen Haar warnte sie.
„Wir werden sie der Black Queen bringen“, sagte einer der Männer. „Sie hat uns alle Strafen der Hölle angedroht, wenn wir eines dieser verdammten Indianermädchen anfassen. Der Geier mag wissen, warum, aber ihr alle wißt, daß die Black Queen keinen Spaß versteht, wenn man ihre Befehle mißachtet.“
Unwilliges Gemurmel war die Antwort – aber dann fügten sich die Männer und kehrten zur Galeone der Queen zurück.
Die Black Queen stand auf dem Achterdeck. Ihre Augen glitzerten. Dann blickte sie zum Ufer hinüber, dort, wo Caligula stand und ihr zuwinkte und gleichzeitig die gefesselte Siri-Tong mit beiden Armen emporhob, so sehr sie sich auch sträubte.
Dann ließ er sie in den weißen Sand fallen und lachte dröhnend.
„Wir haben sie, Black Queen, ich werde dir die Rote Korsarin in Fesseln auf dem Achterdeck vor die Füße legen! Und dann, dann wirst du dein Wort einlösen, das du Caligula, dem Sohn Caligus, gegeben hast!“ Er lachte dröhnend, und sein Lachen hallte von den Wassern der Bucht wider und kam als schauriges Echo aus den Felsen der Berge zurück.
Die Rote Korsarin spürte den wilden Schmerz, der ihre Seele durchschnitt, und nur mühsam unterdrückte sie ein Stöhnen. Es war eine der schwärzesten Nächte, die sie je erlebt hatte, mit Ausnahme einer einzigen, die wohl nie verging und sie bis an ihr Lebensende zu verfolgen schien.
Irgendwann schaffte man sie an Bord des Dreimasters der Black Queen. Und wahrhaftig, Caligula, dieser Hund, wagte es, sie, die Rote Korsarin, dieser pechschwarzen Piratin in Fesseln, blutüberströmt auf dem Achterdeck vor die Füße zu werfen.
Die Queen lachte, dann versetzte sie ihr einen Tritt – und da sah Siri-Tong plötzlich rot.
Sie warf sich in ihren Fesseln herum, krümmte sich zusammen und trat Caligula, der sich ihr am nächsten befand, die gefesselten Beine in den Leib. Sie legte soviel Kraft in diesen Tritt, daß er der Länge nach über das Achterdeck katapultiert wurde und schwer gegen die Schmuckbalustrade krachte. Dort blieb er einen Augenblick wie betäubt liegen, aber dann sprang er auf. Mit einem Wutschrei wollte er sich auf die Rote Korsarin stürzen, aber die Black Queen hielt ihn zurück.
„Laß sie, sie gehört mir. Aber das soll sie mir büßen!“
Sie fuhr herum.
„Legt sie in Eisen. Kettet sie an den Besanmast, ich will sie in meiner Nähe haben. Sie kriegt weder zu essen noch zu trinken, ich will sehen, wie sie zu winseln beginnt, aber auch das wir ihr nicht helfen. Vorwärts, holt den Schmied!“
Es geschah, wie die Black Queen befohlen hatte. Der Schmied kettete sie an den Besanmast – und damit war an eine Flucht für die Rote Korsarin nicht mehr zu denken.
Als der Morgen graute, setzte die „Caribian Queen“ Segel und verließ die Bucht des Unheils. Der Wind sang in der Takelage, und die tiefbraunen, düster wirkenden Segel standen prall im Wind. Der Dreimaster schob einen mächtigen weißen Bart als Bugwelle vor sich her.
Die Black Queen und Caligula standen auf dem Achterdeck. Ihre Blicke glitten über die Gefangenen, die man wie die Heringe auf dem Hauptdeck nebeneinander gelegt hatte, und ihre Gesichter leuchteten vor Triumph.
Arkana befand sich unter den Gefangenen ebenso wie Araua, ihre Schlangenkriegerinnen, Barba, Mister Boyd, der Erste Offizier der gesunkenen Viermastgaleone der Roten Korsarin. Es lagen außer Mister Boyd auch noch eine ganze Reihe anderer Besatzungsmitglieder von „Roter Drache“ auf dem Hauptdeck. Aber bei weitem nicht alle. Viele hatten es geschafft, der Treibjagd der Piraten zu entkommen – nur hatten sie nicht die geringste Chance gehabt, etwas zur Befreiung der Roten Korsarin zu unternehmen. Unter den Verletzten, die sich an Bord der „Caribian Queen“ befanden, war auch der einstige Stückmeister des Viermasters der Roten Korsarin, Mister Scrutton. Er benötigte wegen seiner Verletzungen dringend Hilfe, denn die Schmerzen, die er auszuhalten hatte, waren nahezu unmenschlich. Dennoch drang kein Laut der Klage über seine Lippen. Und in einer Anwandlung von Großmut hatte die Black Queen ausgerechnet Araua in Unkenntnis dessen, daß es sich um die Tochter Arkanas handelte, die Fesseln soweit lockern lassen, daß sie sich um den Verletzten zu kümmern vermochte. Araua verhielt sich still und unauffällig – aber sie lauerte und wartete auf ihre Chance. Doch schien die nicht zu kommen.
Die Black Queen trat an die Schmuckbalustrade, die das Achterdeck ihrer Galeone vom langen Hauptdeck trennte.
Noch einmal musterte sie voller Triumph die Gefangenen.
„Herhören, alle!“ befahl sie dann. „Ich, die Black Queen, die euch zu besiegen vermochte, habe euch folgendes zu verkünden: Ob ihr alle sterben müßt oder am Leben bleibt, hängt ganz allein von euch und euren Freunden auf der Schlangeninsel ab. Wenn ihr ihnen das Lösegeld wert seid, das ich festsetze, dann lebt ihr, wenn nicht, dann sterbt ihr. Das gilt auch für den Fall, daß jene da, die sich die Rote Korsarin nennt, sich weigern sollte, mein Schiff zur Schlangeninsel zu segeln.“
Die Black Queen wandte sich um und starrte Siri-Tong aus glitzernden Augen an.
„Du wirst meinem Rudergänger den Kurs angeben. Weigerst du dich, dann stirbt diese da zuerst!“
Sie deutete auf Araua, die halb aufgerichtet neben dem Stückmeister kniete.
„Damit du weißt, daß es mir ernst ist, hast du jetzt Zeit