Einen Moment lang, während Araua den Atem anhielt und ihr Herz vor Schreck fast stehenbleiben wollte, geschah nichts. Es war, als hätte es diese drei Pfeile nie gegeben. Aber dann puffte auf der „Mocha“ plötzlich eine Flamme empor. Sie tauchte das Wrack in ein unheimliches Licht, und sie fraß sich blitzschnell über das Hauptdeck.
„Die Falle, das ist die Falle, vor der der Schlangengott uns gewarnt hat!“ Araua schrie diese Worte in die Nacht hinaus, aber sie wußte gar nicht, daß sie das tat. Denn im nächsten Augenblick ging die Welt um sie herum in einem grellen, alles verschlingendem Blitz unter, der sich zu einem riesigen Glutball ausweitete. Dem Blitz und dem Glutball folgte ein ohrenbetäubender Donnerschlag.
Araua sah, wie das Wrack der „Mocha“ auseinanderflog. Die volle Wucht dieser Explosion aber traf den Viermaster Siri-Tongs.
Araua schrie abermals auf, und in diesem Schrei mischten sich Zorn, Schreck und alles, was sie bisher an Angst und Sorge um ihre Mutter und um die ihr seit ihrer Kindheit vertrauten Schlangenkriegerinnen ausgestanden hatte.
Araua starrte halb geblendet durch den grellen Detonationsblitz zur Galeone Siri-Tongs hinüber, und sie sah die Masten fallen, sie hörte die Schreie der Männer an Deck, sie erlebte das Chaos, das jetzt über die Bucht hereinbrach, aus allernächster Nähe.
Dann regnete es Trümmer vom Himmel. Glühende, brennende Trümmer in allen Größen.
Araua war geistesgegenwärtig genug, sofort zu tauchen, so tief sie konnte. Und dort, in der schwarzen Tiefe verharrte sie, bis ihr die Lungen zu platzen drohten, erst dann wagte sie sich an die Oberfläche der Bucht zurück.
Das Wrack der „Mocha“ war verschwunden, aber auf „Roter Drache“ loderten überall Brände. Der stolze Viermaster sah entsetzlich aus. Alle Masten waren zersplittert, nicht ein einziger hatte die Explosion der „Mocha“ überstanden. Der Rumpf wies schwere Beschädigungen auf – „Roter Drache“, der stolze Viermaster der Roten Korsarin, war innerhalb weniger Augenblicke jetzt selber zum Wrack geworden.
Araua zögerte nicht. Sie durfte nicht zum Strand hinüberschwimmen. Wenn es dort überhaupt noch etwas zu helfen gab, dann waren Siri-Tong und die anderen da. Sie wurde jetzt auf „Roter Drache“ gebraucht.
So schnell sie konnte, schwamm sie zurück und enterte an Bord. Sie traf auf Verletzte, aus vielen Wunden blutende Männer, deren rauchgeschwärzte Gesichter sie nicht zu erkennen vermochte. Aber diese Männer bargen andere aus den Trümmern der Rahen und Spieren, zogen sie unter dem an vielen Stellen brennenden Segeltuch hervor, zerrten sie aus dem Gewirr des einstigen stehenden und laufenden Guts. Einer, dessen Kleidung Feuer gefangen hatte, rannte halb irrsinnig vor Panik und Schmerz über das Deck. Araua stellte ihm ein Bein, dann packte sie ihn und warf ihn über Bord.
Zischend erloschen die Flammen im Wasser der Bucht, und Araua sprang hinterher. Sie packte den Mann, und mit aller Kraft, über die sie durch das harte Training bei den Schlangenkriegerinnen der Tempelwache verfügte, rettete sie den wild um sich schlagenden Mann vor dem sicheren Tod. Es war Mister Scrutton, der Stückmeister der Roten Korsarin, und er vergaß Araua seine Rettung sein Leben lang nicht mehr. Auch wenn die Brandwunden, die später nur nach und unter der guten Pflege der Schlangenkriegerinnen verheilten, ihm zum Teil entstellten. Aber er blieb am Leben.
Danach begann der zähe Kampf um das, was von „Roter Drache“ noch übrig war. Araua bewies Umsicht, und zusammen mit Mister Boyd schaffte sie es, die zum Teil arg mitgenommenen Männer so einzusetzen, daß es gelang, die Brände einzudämmen.
Doch dann – Ewigkeiten schienen inzwischen vergangen – drang plötzlich vom Ufer wüstes Geschrei zu den Männern und Araua an Bord von „Roter Drache“ hinüber.
Araua stürzte ans Steuerbordschanzkleid – und sie mußte mit ansehen, wie die Piraten über Siri-Tong und ihre Gefährten herfielen. Ein erbitterter Kampf tobte dort, aber die Übermacht war einfach zu groß, einer nach dem anderen fiel oder mußte, in die Enge getrieben, aufgeben. Zum Schluß kämpften nur noch die Rote Korsarin und Barba wie die Berserker.
Als Siri-Tong sah, was mit „Roter Drache“ geschah, war sie für einen Moment wie gelähmt. Doch dann begriff auch sie, in welch eine teuflische Falle die Black Queen sie gelockt hatte. Dazu paßte auch, daß keine der Schlangenkriegerinnen tot war, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte, sondern daß man sie lediglich bewußtlos geschlagen hatte, um so zumindest aus der Entfernung ihre Ermordung vorzutäuschen und den Gegner dazu zu verleiten, jede Vorsicht außer acht zu lassen. Das aber war dieser schwarzen Teufelin gelungen.
Siri-Tong, noch wie betäubt durch den Donnerschlag und den grellen Blitz der Explosion, die die „Mocha“ zerriß, sah die Masten ihres Seglers fallen, sie hörte die wilden Schreie, die von Bord zu ihr herüberdrangen – und sie wußte, daß sie gefangen waren. Alle, ohne jede Ausnahme. Zu spät erkannte sie, daß der Schlangengott sie aus guten Grund gewarnt hatte, aber sie hatte das nicht ernst genug genommen, sieggewohnt, wie sie seit vielen Jahren war.
Siri-Tong sah die Brände auf „Roter Drache“, die an vielen Stellen zugleich aufloderten – und schon wollte sie Barba Anweisungen geben, da fielen Caligula und seine Männer über sie her. Das geschah so überraschend, daß selbst die Rote Korsarin kaum noch Zeit fand, ihren Degen zu ziehen.
Ein wilder Hieb Caligulas traf sie gleich zu Anfang des Kampfes, der jetzt zwischen Siri-Tong und ihren Männern und den Piraten zu toben begann.
Barba packte einen der Piraten und wirbelte ihn brüllend in die Felsen, den nächsten erwischte er an den Beinen, riß ihn um und schleuderte ihn dann ebenfalls nach ein paar wilden Drehungen um die eigene Achse auf die in diesem Moment aus dem Dunkel der Felsen hervorbrechenden Piraten.
Der Mann, der sich unter den gewaltigen Kräften Barbas in ein fast zwei Zentner schweres Wurfgeschoß verwandelt hatte, riß eine breite Lücke in die anrückenden Piraten, aber dann beendete Caligula den ungleichen Kampf auf seine Weise.
Er sprang Siri-Tong in einem Moment, in dem sie sich ohnehin gegen zwei sie hart bedrängende Gegner zu erwehren hatte, von hinten an und riß sie zu Boden. Im nächsten Moment preßte er ihr den Lauf seiner schußbereiten Pistole gegen den Kopf.
„Ergebt euch – oder sie stirbt!“ brüllte er. Barba fuhr herum – er sah die Rote Korsarin am Boden liegen und Caligula, der ihr die Mündung seiner Waffe ins lange, blauschwarze Haar preßte.
Mit einem Wutschrei warf er sich herum, aber in diesem Augenblick erwischte ihn der Hieb mit einem Musketenkolben. Er warf den Hünen Barba auf der Stelle in den Sand, und ein anderer Schädel, als der von Barba, hätte diesem Hieb nicht standgehalten.
Das entschied den ungleichen Kampf.
Caligula lachte dröhnend, während seine Männer die Rote Korsarin banden und dann über Tatona und die anderen Schlangenkriegerinnen herfielen, um auch ihnen Fesseln anzulegen.
„Die Black Queen wird sich freuen dich zu sehen, Rote Korsarin“, sagte Caligula, „sieh mich genau an – erinnere ich dich nicht an jemand, den du gut gekannt hast? So gut, daß du vor aller Augen an Bord von deinem Roten Segler mit ihm geschlafen hast, bevor er dich auspeitschen ließ im Hafen von Tortuga? He, rede, oder ich löse dir die Zunge!“
Siri-Tong schloß die Augen. Blitzartig überfiel sie die entsetzliche Erinnerung an die größte Erniedrigung, die ihr je ein Mann in ihrem Leben angetan hatte. Die Erinnerung daran, daß der Pirat Caligu sie heimtückisch auf ihrem Schiff überfallen, sie vor aller Augen vergewaltigt und sie dann nackt und geschändet, wie sie war, auch noch hatte auspeitschen zu lassen. Sie war einfach nicht imstande, diesen Kerl anzusehen, der sie so schlimm an Caligu erinnerte.
Aber sie zwang sich, die Augen wieder zu öffnen. Ein Blick voller Haß traf Caligula, und unwillkürlich wich er einen Schritt zurück.
„Caligu!“ stieß Siri-Tong hervor und bäumte sich in ihren Fesseln auf. „Du hast es gewagt, mich an diesen Hundesohn zu erinnern. Damit hast du dein Todesurteil gesprochen. Du