„Pest, Queen. Mit der beschäftigen wir uns morgen weiter. Heute werden wir erstmal unseren Sieg feiern.“
Er versetzte Tatona noch einen Tritt in die Seite und dann tat er, als wollte er weitergehen. Doch plötzlich blieb er nochmal stehen.
„Was ist mit dem Boot für morgen früh, Queen? Ist es fertig ausgerüstet? Ich muß frühzeitig hinüber zur anderen Bucht, du weißt ja …“
„Es ist fertig. Es liegt fix und fertig vertäut beim Wrack da unten, und dort liegt es gut. Aber ich will, daß die Fesseln der anderen Gefangenen auch noch kontrolliert werden. Besonders die dieser Arkana, sie ist die gefährlichste von allen. Komm, die hier, die nehmen wir uns gleich selber nochmal vor!“
Caligula und die Queen untersuchten die Fesseln der anderen Schlangenkriegerinnen, die gleich Tatona wegen ihrer angeblichen Bewußtlosigkeit in den Sand gebettet worden waren.
„Alles in Ordnung“, sagte Caligula schließlich. „Um die brauchen wir uns bis morgen früh nicht mehr zu kümmern. Also los dann, untersuchen wir jetzt auch die anderen, und dann nichts wie ans Feuer, oder diese verdammten Kerle saufen uns den Wein aus!“
Die Queen und Caligula entfernten sich. Tatona atmete auf – aber sie sah nicht, daß Caligula sich nach einer Weile wieder vom Feuer entfernte.
Arkanas Unterführerin und Kommandantin der Tempelgarde arbeitete jetzt rasch. Die Fesseln schnitten tief in ihre Haut – aber dann hatte sie es geschafft. Sie konnte erst die eine, dann die andere Hand herausziehen. Alles andere war das Werk eines Augenblicks.
Als auch die Beinfesseln gelöst waren, blieb sie still liegen und wartete. Aber es rührte sich nichts, nur am Feuer grölten die Piraten. Tatona hoffte inständig, daß diese Piratenbrut nicht doch noch irgendwann damit beginnen würde, sich an den Kriegerinnen zu vergreifen. Und allein bei diesem Gedanken knirschte sie schon mit den Zähnen.
Ein Boot hatten sie also am Wrack liegen! Ausgezeichnet, denn dort war es stockfinster, besser hätte es gar nicht sein können.
Tatona überlegte. Wie groß war das Boot – konnte sie es allein segeln? Nein, das war zu unsicher, und so beschloß sie, auch die Schlangenkriegerinnen zu befreien, die unweit von ihr auf dem Sand lagen.
Vorsichtig, Stück um Stück, kroch sie über den Sand. Dann hatte sie die erste der Kriegerinnen erreicht. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sie deren Fesseln gelöst hatte. Sofort kroch Tatona zurück, denn Naurana würde die nächste befreien, und die dann wieder ihre Nachbarin. So war es am unauffälligsten. Anschließend würden sie auch nicht alle zusammen verschwinden, sondern ebenfalls einzeln. Tatona fiel dabei die Aufgabe zu, das Boot vom Wrack zu lösen, es auf die Bucht hinauszupaddeln oder zu rudern. Die anderen würden das Boot dann schwimmend erreichen.
Tatona warf einen Blick in die Richtung, in der sie Arkana wußte – und sie erschrak. Vor Arkanas Palme, an die man sie gefesselt hatte, brannte ein Feuer, und eine Wache saß an diesem Feuer. Sie konnte also Arkana nicht einmal verständigen, ohne ihre Flucht zu gefährden.
Tatona handelte. Sie kroch zum Wasser hinab, und gleich darauf war sie verschwunden. Dann schwamm sie in die Richtung, in der sie das Wrack der „Mocha II.“ wußte, und sie erreichte es schon nach kurzer Zeit. Und wie die Black Queen behauptet hatte, lag dort ein Boot. Aber ein freudiger Schreck durchzuckte Tatona – denn dieses Boot war ein Langboot mit Auslegern, wie es die Eingeborenen der Karibik benutzten. Sogar ein Segel befand sich an Bord und Paddel. Außerdem ein Wasserfäßchen, das bei sparsamen Gebrauch sogar mehrere Tage reichen konnte.
Tatona löste das Boot, dann paddelte sie es behutsam auf die im Dunkeln daliegende Bucht hinaus. Sie hütete sich dabei, irgendwo in den Schein der am Strand brennenden Feuer zu geraten. Danach wartete sie, und es dauerte nicht lange, bis ihre Kriegerinnen eintrafen, eine nach der anderen. Vier insgesamt.
Sofort begannen die Schlangenkriegerinnen zu paddeln. So gelangten sie aus der Bucht. Aber sie ahnten nicht, daß ihre Flucht von Caligula beobachtet worden war.
Der Mond war aufgegangen, als Tatona das offene Meer erreicht hatte, und sie atmete auf. Viel später hätten sie ihre Flucht nicht mehr bewerkstelligen können, dann nämlich hätte der Mond schon über den Felsen gestanden, die die Bucht umgaben. Sein bleicher Schein wäre an ihnen zum Verräter geworden.
Caligula ließ sie aus der Bucht paddeln. Erst als sie hinter dem Felsvorsprung verschwunden waren, gab auch er das Kommando zum Ablegen. Die große Galeone der Black Queen, die über zwei übereinander liegende Geschützdecks verfügte und die den Namen „Caribian Queen“ trug, blieb hinter ihnen zurück.
Caligula grinste. Nein, diese Schlangenkriegerinnen würden ihn nicht entdecken. Denn sein Boot war pechschwarz gestrichen, und es hatte ein ebensolches Segel. Es würde mit der Nacht verschmelzen, während das, in dem die Schlangenkriegerinnen flohen, von heller Farbe war. Außerdem hoffte Caligula, daß Tatona irgendwann eine Schiffslaterne setzen würde, um rechtzeitig gesehen zu werden. Denn daß irgend jemand so verrückt sein würde, ihre Verfolgung bei Nacht aufzunehmen, damit brauchte sie nicht zu rechnen. Caligulas Rechnung ging auf – er war ein gerissener, gefährlicher Gegner, der zwar über gewaltige Körperkräfte verfügte und ein Meister aller Waffen war, der aber auch ein Gehirn sein eigen nannte, das bestens funktionierte und das schon manchem Gegner zu seinem Untergang verholfen hatte.
An Bord von „Roter Drache“ verhielten sich die meisten schweigsam. Der große Viermaster der Roten Korsarin segelte auf Südwestkurs dahin, und Vor- wie Großmars waren mit scharfäugigen Ausgucks versehen.
Auf dem Achterdeck befanden sich Siri-Tong, Araua, Mister Boyd, der Erste Offizier, und Mike Wimpole, der dürre Rudergänger. Der Viermaster hatte alles an Segeln gesetzt, was Rahen und Masten zu tragen vermochten. Aber der Viermaster kam trotzdem nicht so rasch voran, wie die ungeduldige Rote Korsarin sich das wünschte. Das große Schiff mußte gegen den fast aus Südwest blasenden Wind immer wieder in langen Schlägen kreuzen. Aber kein Mann der Besatzung murrte bei der Knochenarbeit, die das bedeutete. Alle brannten darauf, Arkana zu finden, der zumindest das Unwetter arg mitgespielt haben mußte. Die Ausläufer, in die sie selbst mit „Roter Drache“ geraten waren, hatten ihnen das gezeigt. Dabei vertrug der große Viermaster Siri-Tongs ganz bestimmt eine Menge mehr als die viel kleinere „Mocha II.“, die zudem auch noch viel älter war.
Jeder Mann an Bord schuftete wie ein Berserker, und die Rote Korsarin war nicht gewillt, auch nur eine einzige Meile unnötig zu verschenken. Sie stand auf dem Achterdeck und kontrollierte jedes der Segelmanöver persönlich. Wo ihr etwas zu langsam ging, griff sie sofort ein, und auch ihrem Rudergänger schaute sie auf die Finger.
Stunde um Stunde verging. Die Nacht verstrich, und als sich der erste, schwache Silberstreif am Westhimmel abzeichnete, der zaghaft verkündete, daß die Nacht sich ihrem Ende näherte und in neuer Tag beginnen würde, atmete mancher an Bord des Viermasters auf. Denn sie hatten es schon oft erlebt, daß sich auch der Wind mit dem neuen Morgen zu drehen begann.
Aber das geschah nicht, und sie mußten weiter und weiter kreuzen, Schlag um Schlag. Längst war Araua aus freien Stücken in den Kreuzmars emporgeentert und von dort weiter bis in den Topp, um so weit wie möglich die See überblicken zu können. Es war eigenartig – eine innere Unruhe hatte sie dazu getrieben.
Die Nacht begann der Morgendämmerung zu weichen – dann plötzlich schienen sie die grünen Augen des Schlangengottes geradewegs aus dem Himmel heraus anzuglühen.
Araua wandte den Kopf – und in diesem Moment entdeckte sie das winzige Boot, dessen Insassen in diesem Moment auch den Viermaster entdeckt haben mußte, denn das Boot änderte den Kurs und hielt direkt auf „Roter Drache“ zu.
Araua geriet in unbeschreibliche Erregung. Der Schlangengott – er schickt uns sein Zeichen! jubelte sie innerlich. Wir werden Arkana finden und ihr helfen, der Schlangengott ist mit uns!
Araua enterte ab, dann stürmte sie auf das Achterdeck.
„Ein Boot, Siri-Tong. Ein Langboot, wie es die Eingeborenen segeln, mit einem Ausleger. Das Zeichen, das uns