„Roter Drache“ hingegen nahm Südwestkurs. Noch eine ganze Weile leuchteten seine roten Segel zur Schlangeninsel im Licht der tiefer und tiefer sinkenden Sonne hinüber. Der Boston-Mann, der das Kommando über die Schlangeninsel zusammen mit dem Häuptling des Araukanerdorfes, Tomota, übernommen hatte, blickten den beiden Seglern vom Felsendom aus nach.
Erst als die beiden Schiffe in der Ferne und in der einsetzenden Dämmerung verschwunden waren, kehrten sie zur Schlangenbucht zurück. Ohne viele Worte begannen sie mit ihrer Arbeit – und im Verlauf der nächsten Stunden verwandelte sich die Schlangeninsel in eine nahezu uneinnehmbare Festung.
Als Arkana wieder zu sich kam, begriff sie sofort, daß sie sich mit ihren Schlangenkriegerinnen in einer Lage befand, die nichts Gutes ahnen ließ. Sie stand gefesselt am Stamm einer Palme. Deutlich erkannte sie weiter unten das Wrack der „Mocha II.“. Weiter hinten in der Bucht ankerte jene fremde Galeone, deren Namen sie nicht kannte, die aber jener „Black Queen“ gehörte, mit der sie gekämpft hatte.
Arkana sah sich um, und neben ihr, zur Linken, stand Tatona, gefesselt wie sie.
Arkana tauschte mit ihrer Unterführerin einen Blick, und die beiden Frauen verstanden einander sofort.
„Gib das geheime Zeichen an alle auf deiner Seite weiter, für den Fall, daß sie uns foltern und verhören. Nichts über die Schlangeninsel darf über unsere Lippen, kein Wort, verstanden, Tatona?“
Tatona nickte, dann warf sie einen Blick auf den kleinen Ring an ihrer Hand, den man ihr vorläufig noch nicht abgenommen hatte. Ihr nicht und auch keiner der anderen Schlangenkriegerinnen.
„Wer von uns verhört wird, muß losgebunden werden. Dieser Augenblick genügt. Dann mögen sie fragen, Tatona. Sie werden uns wach finden, aber wir werden keine Schmerzen leiden und auch keine Erinnerung mehr an irgend etwas haben, was wichtig für sie ist. Sie werden nicht wissen, was das zu bedeuten hat, und sie wissen auch nicht, wie lange das Gift benötigt, um unsere Körper wieder zu verlassen. Wer starb von uns in dem Kampf?“ fragte Arkana, denn sie wußte, daß sie länger bewußtlos gewesen war als Tatona. Die wilden Schmerzen in ihrem Kopf ignorierte sie.
„Niemand, Arkana. Niemand starb, der Schlangengott hat uns beschützt, und ich spüre, daß er uns auch weiterhin beschützen wird. Aber diese ‚Black Queen‘ ist gefährlich. Ich weiß, daß wir mit ihr noch einen erbitterten Kampf führen werden.“
Arkana sah Tatona erleichtert an.
„Du hast recht, der Schlangengott wird uns auch weiterhin beschützen. Und vergiß nicht – wir beherrschen nur die Sprache der Araukaner, wir …“
Arkana unterbrach sich. Sie entsann sich des schweren Fehlers, den sie der Black Queen gegenüber begangen hatte, denn sie hatte ihr auf Spanisch geantwortet, als die Black Queen gefragt hatte, wer sie sei.
„Nein, das geht nicht, jedenfalls nicht für mich, und alle anderen provozieren damit nur, gefoltert zu werden. Es ist mein Fehler, ich hätte nicht reden dürfen …“
Am Strand hatte sich die „Black Queen“ erhoben. Gefolgt von Caligula, ihrem Unterführer, stieg sie die wenigen Meter zu den Palmen, an die die Piraten die Schlangenkriegerinnen gefesselt hatten, empor.
„Rasch, Tatona, gib das Zeichen“, flüsterte Arkana und wandte gleichzeitig den Kopf nach rechts. Dann vollführten ihre Lippen ein paar Bewegungen, die aber sofort von allen anderen Araukanerinnen verstanden und denen, die Arkana nicht hatten sehen können, weitergegeben wurden.
Dann war die Black Queen heran. Sie blieb vor Arkana stehen. Ihre dunklen Augen hatten sich zu Spalten verengt.
„Was hast du eben den anderen für ein Zeichen gegeben?“ fragte sie. „Ich rate dir, zu antworten, denn ich habe es deutlich gesehen. Mich kannst du nicht täuschen!“
Arkana schüttelte den Kopf.
„Ich weiß nicht, wer mir den Hieb heimtückisch und von hinten auf den Kopf verpaßt hat, aber der Schmerz wütet in meinem Hirn, und da waren es sicherlich unkontrollierte Zuckungen, von denen ich selbst nicht einmal etwas bemerkt habe. Aber was willst du? Wenn du uns töten willst, dann tu es. Man wird uns rächen, und du wirst nicht soweit segeln können, daß meine Krieger dich nicht finden.“
„Stolz ist sie, diese Araukanerin“, sagte die Queen. Ihre Stimme sollte höhnisch klingen, aber es schwang eine Menge Respekt in ihr mit. „Und zu kämpfen versteht sie auch. Aber jetzt will ich wissen, woher ihr kommt. Das Märchen mit dem Land weit im Süden nehme ich dir nämlich nicht ab. Ihr werdet reden, verlaßt euch darauf. Entscheide dich – also?“
Die Black Queen war gerissen genug, Arkana nicht wissen zu lassen, daß der Kreole, der sich offenbar wirklich auf der Schlangeninsel befunden und einige ihrer Geheimnisse belauscht hatte, in seinem Suff weit mehr ausgequatscht hatte, als der Schlangeninsel guttat. Das hätte den feinen Plan, den Caligula ihr entwickelt hatte, sofort gefährdet.
Arkana schwieg, doch dann schüttelte sie schließlich abermals den Kopf.
„Es war die Wahrheit. Wir sind Araukanerinnen und stammen aus einem Land, das so weit im Süden liegt, daß du es nicht kennst. Wir fürchten weder deine Verhöre, noch deine Folter, die du sicher anwenden wirst. Du kannst bei mir beginnen, und du wirst erfahren, daß ich dir nichts anderes sagen kann.“
Die Black Queen starrte ihre Widersacherin an, und für einen Moment wurde sie unsicher. Denn von Arkana strömte soviel Selbstsicherheit und Ruhe aus, wie das unter normalen Umständen gar nicht möglich gewesen wäre. Jeder fürchtete die Folter, und sogar sie selbst schloß sich davon nicht aus. Aber sie gab noch lange nicht auf. Zog das eine bei dieser unheimlichen Indianerin nicht, dann doch vielleicht die andere Methode.
Sie trat noch näher an Arkana heran.
„Du hast noch etwas nicht bedacht, Araukanerin“, sagte sie. „Was glaubst du, wie scharf meine Kerle auf euch sind? Die würden sich mit dir und den anderen Mädchen gerne einen Spaß machen. Bisher habe ich das verhindert, und sie haben sich knurrend gefügt. Ihr habt eben Glück, daß ich eine Frau und kein Kerl bin. Aber ich muß es nicht verhindern, klar?“
Sie sah, wie Arkana erbleichte. Doch dann blitzten Arkanas Augen wütend auf, denn die Schmach, mit der diese Piratin sie und ihre Schlangenkriegerinnen bedrohte, war für Arkana einfach unvorstellbar. Es hatte auch eine Weile gedauert, bis sie und ihre Kriegerinnen den wilden Kerlen auf der Schlangeninsel beigebracht hatte, daß eine Schlangenkriegerin sich zwar freiwillig verschenken konnte, daß aber jede Andeutung von Gewalt schlimme Folgen für die Männer hatte. Sie alle hatten ihre Lektion gelernt, und am schlimmsten waren die Burschen vom Schwarzen Segler gewesen. Aber jetzt herrschte wieder Friede und bestes Einvernehmen unter ihnen allen, auch und ganz besonders in diesem Punkt. Aber das hier, was ihr diese Queen androhte, das ließ sie zunächst erblassen, doch dann trieb es ihr das Blut ins Gesicht.
„Das wirst du nicht wagen, Black Queen. Wer von deinen Kerlen Hand an mich oder eine von uns legt, der wird tausend Tode sterben, das sollst du wissen, und es ist mein voller Ernst. Der Schlangengott wird euch verfluchen, und du wirst erfahren, was das bedeutet. Und jetzt tu, wie du willst, aber ich habe dich gewarnt. Du und alle, die zu dir gehören, ihr werdet ausgelöscht sein, so, als hätte es euch nie gegeben, unter tausend Qualen werdet ihr jenes dunkle Reich betreten, das auf uns alle eines Tages wartet.“
Was es war, wußte die Black Queen nicht zu sagen, aber unwillkürlich trat sie ein paar Schritte zurück. Sie spürte eine unheimliche Kraft, die nach ihr griff, die sich ihr um Brust und Schultern legte, die ihr das Herz wie mit einer eisernen Faust zusammenzudrücken schien. Aus hervorquellenden Augen starrte sie Arkana an, aber sie war unfähig, auch nur ein einziges Wort hervorzubringen.
Dann ließ jener unheimliche Druck wieder nach, unter dem auch Caligula in sich zusammengekrochen war und jetzt mit wild rollenden Augen um sich starrte.
„Was, zum Teufel, was war das …“, ächzte er, aber Arkana schnitt ihm das Wort ab.
„… das war nur eine Warnung, mehr nicht. Foltert