Anhand eines Satzes aus zwölf Wörtern zeigte James, dass sich aus separaten Gedanken kein einheitliches Bewusstsein herstellen lässt. Wenn jeder nur an »sein« Wort denkt, kann kein Bewusstsein des ganzen Satzes entstehen.
James betonte, dass Gedanken nicht per se, sondern immer nur in Verbindung mit demjenigen, der sie denkt, existieren. Jeder Mensch habe seine eigenen Gedanken, und »es kommt auch kein Gedanke einem Gedanken irgendeines anderen persönlichen Bewusstseins als seines eigenen gegenüber in die Lage, direkt erfasst zu werden […] Zusammenhängende Gedanken, sofern wir sie als zusammenhängend auffassen, sind das, was wir unter dem persönlichen Ich verstehen«. Da Gedanken sich nicht vom Ich trennen lassen, muss das Ich laut James den Ausgangspunkt der Psychologie bilden. Experimentelle Psychologen waren mit dieser Auffassung nicht einverstanden, da das Ich sich mithilfe von Versuchen nicht erfassen lässt. Doch James fand, die Vorstellung von einem Ich, das bestimmte Dinge tut und auf bestimmte Weise fühlt, reiche als Basis für psychologische Untersuchungen aus. Er nannte dieses Ich, das sich durch sein Verhalten manifestiert, »empirisches Selbst« und unterteilte es in mehrere Bestandteile – das materielle Selbst, das geistige Selbst und das soziale Selbst –, die jeweils durch Introspektion erforscht werden können.
Die Theorie der Emotion
Bei seinen frühen Untersuchungen über das Bewusstsein wurde James klar, dass Gefühle eine wichtige Rolle in unserem Alltag spielen. So entwickelte er gemeinsam mit seinem Kollegen Carl Lange eine Theorie über den Zusammenhang zwischen Gefühlen, Handlungen und Verhalten. Die sogenannte James-Lange-Theorie besagt, dass Emotionen aus der bewussten Wahrnehmung physiologischer Veränderungen hervorgehen. Um diese Auffassung zu illustrieren, führt James als Beispiel die Flucht vor einem Bären an. Es sei nicht etwa so, dass man den Bären sehe, Angst bekomme und davonlaufe, weil man Angst habe. Tatsächlich sehe man den Bären, laufe davon und bekomme vom Davonlaufen Angst. Dies widerspricht dem, was die meisten annehmen würden, diametral. Dennoch war James der Meinung, dass die bewusste Wahrnehmung der physiologischen Vorgänge beim Rennen – schnelles Atmen, beschleunigter Herzschlag und starkes Schwitzen – in ein Angstgefühl übersetzt wird. Deshalb lächelt man James zufolge auch nicht, weil man glücklich ist, sondern ist glücklich, weil man sich seines Lächelns bewusst ist.
Aus unzähligen Farbpunkten besteht dieses Gemälde des französischen Pointillisten Georges Seurat. Unser Gehirn verknüpft sie zu einer menschlichen Figur.
»Es gibt bloß eine völlig sichere Wahrheit … die Wahrheit, dass der gegenwärtige Bewusstseinszustand existiert.«
William James
Pragmatismus
James hat sich auch mit der Frage beschäftigt, wie wir dazu kommen, Dinge für wahr oder falsch zu halten. Er ging davon aus, dass »Wahrheiten aus Fakten resultieren«, die Fakten selbst aber nicht wahr sind, sondern einfach nur existieren. Wahrheit sei das Resultat der Annahmen, die mit den Fakten beginnen und enden. Als »wahr« definierte James das, was dem Individuum nützt und was es leitet. Diese Betonung des Nützlichen steht im Mittelpunkt des amerikanischen Pragmatismus, der für James’ Denken von zentraler Bedeutung war.
Im Lauf unseres Lebens, so James, wägen wir immer wieder Wahrheiten gegeneinander ab – unsere bewussten Annahmen sind dauernden Veränderungen unterworfen: »Alte« Wahrheiten werden abgewandelt oder durch neue ersetzt. Ohne diese Grundvoraussetzung gäbe es keinen wissenschaftlichen Fortschritt. Als Beispiel nannte James die Isolierung des Elements Radium, die Marie Curie im Jahr 1902 gelungen war. Die Forschungen des Ehepaars Curie ergaben, dass Radium offenbar unbegrenzte Mengen von Energie freisetzt – was allem bisherigen Wissen über die Ordnung der Natur zu widersprechen schien. Die Curies schlussfolgerten, dass ihre Entdeckung überlieferte Annahmen zwar erweitere, sie in ihren Grundsätzen aber nur wenig verändere. Vermeintliches Wissen war infrage gestellt und modifiziert worden, doch die Grundwahrheiten waren intakt geblieben.
James’ Nachfolger
Nach James’ Tod geriet der Behaviorismus verstärkt in den Blickpunkt, das Interesse am Bewusstsein als Untersuchungsgegenstand ließ nach. Zwischen den 1920er- und den 1950er-Jahren tat sich hier nur wenig. Ausnahme war die in Deutschland entstandene Gestaltpsychologie, deren Vertreter hervorhoben, dass das Gehirn nicht einzelne Ereignisse betrachte, sondern komplexe Zusammenhänge ganzheitlich verarbeite. Wenn wir z. B. ein Bild betrachten, erkennen wir nicht nur einzelne Punkte, Linien und Formen, sondern ein bedeutungsvolles Ganzes. »Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile«, so lautet daher auch ein Grundsatz der Gestaltpsychologie.
In den 1980er-Jahren entdeckten Psychologen und Neurologen ein neues Feld: die Bewusstseinsforschung, die sich mit den Bewusstseinsinhalten sowohl gesunder als auch hirngeschädigter Menschen befasst. Zu Letzteren zählen z. B. Patienten im Wachkoma, bei denen alle höheren Gehirnfunktionen ausgefallen sind. Bei beiden Gruppen ging und geht es den Wissenschaftlern darum, herauszufinden, wie sich das Bewusstsein so objektiv wie möglich beurteilen lässt. Deshalb suchen sie nach Möglichkeiten, die ihm zugrunde liegenden physiologischen und psychologischen Mechanismen zu verstehen.
Die moderne Neurologie hat gezeigt, dass es Bewusstseinsmechanismen gibt. Ende des 20. Jahrhunderts behauptete der britische Molekularbiologe und Biophysiker Francis Crick, dass das Bewusstsein in einem bestimmten Hirnareal verankert sei – im präfrontalen Kortex, der an Denkprozessen wie Planen, Problemlösen und Verhaltenssteuerung beteiligt ist.
Gemäß dem kolumbianischen Neurologen Rodolfo Llinás hängt das Bewusstsein mit den Aktivitäten des Thalamus zusammen. Der Thalamus, ein Teil des Zwischenhirns, ist verantwortlich für die Regulierung von Wellen, die innerhalb des Gehirns in bestimmten Frequenzen auftreten. Werden diese regelmäßigen Rhythmen unterbrochen, etwa durch eine Infektion oder aufgrund einer genetischen Disposition, können laut Llinás neurologische Erkrankungen wie Epilepsie oder die Parkinson’sche Krankheit sowie psychische Krankheiten wie Depression die Folge sein.
Pierre und Marie Curies Erkenntnisse bewirkten, dass frühere Theorien modifiziert wurden. Ganz ähnlich werden laut James unsere Grundannahmen durch neue »Wahrheiten« verändert.
Bis heute ist es niemandem gelungen, das Bewusstsein genau zu definieren. Der amerikanische Neurologe António Damásio z. B. definiert es als Wissen, das auf Sinneseindrücken beruht. Bewusstsein zeigt sich für ihn darin, dass ein Organismus sich seiner selbst und seiner Umgebung gewahr ist.
Nachwirkungen
James’ Theorien haben bis heute viele Psychologen und andere Wissenschaftler beeinflusst. Seine pragmatische Herangehensweise an Fakten – die Konzentration auf das, was zu glauben uns nützt, statt auf das, was »wahr« oder »vermeintlich wahr« ist – hat der Psychologie sehr geholfen. Denn sie konnte damit philosophische Fragestellungen bezüglich der Trennung von Geist und Körper hinter sich lassen und eher anwendungsorientiert arbeiten, indem sie sich z. B. mentalen Prozessen wie Aufmerksamkeit, Erinnerung, logischem Denken, Imagination und Intention zuwandte. James war fest davon überzeugt, dass sein Ansatz Philosophen und Psychologen dabei unterstützen könne, von Abstraktionen, festen Prinzipien, geschlossenen Systemen, vorgegebenen Absolutheiten und Ausgangspunkten Abstand zu nehmen, um sich Tatsachen und Handlungen zuzuwenden. Sein Beharren darauf, Ereignisse in ihrer Ganzheit zu betrachten und dabei auch die Auswirkungen des