Charcot hält in der Salpêtrière eine Vorlesung über Hysterie. Seiner Ansicht nach verlief sie stets in geordneten, klar strukturierten Phasen und ließ sich durch Hypnose heilen.
EIGENARTIGE SCHWÄCHEZUSTÄNDE
EMIL KRAEPELIN (1856–1926)
IM KONTEXT
ANSATZ
Klinische Psychiatrie
FRÜHER
um 50 v. Chr. Der römische Dichter und Philosoph Lukrez bezeichnet mit dementia einen Zustand des Außer-sich-Seins.
1874 Wilhelm Wundt, Kraepelins Mentor, publiziert Grundzüge der physiologischen Psychologie.
SPÄTER
1908 Der Schweizer Psychiater Eugen Bleuler prägt den Begriff »Schizophrenie« (griech. schizein für »spalten« und phren für »Geist, Gemüt«).
1948 Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nimmt Kraepelins Klassifizierung psychischer Erkrankungen in ihre Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD) auf.
1950er-Jahre Chlorpromazin wird als erstes Neuroleptikum zur Behandlung von Schizophrenie eingesetzt.
Der deutsche Arzt Emil Kraepelin gilt als Begründer der modernen klinischen Psychiatrie. Er führte die meisten psychischen Erkrankungen, die er in seinem Compendium der Psychiatrie (1883) sehr detailliert klassifizierte, auf biologische Ursachen zurück. Unter anderem grenzte er die Dementia praecox – die vorzeitige Demenz – von später auftretenden Demenzerkrankungen wie z. B. der Alzheimer’schen Erkrankung ab.
Schizophrenie
1893 beschrieb Kraepelin die Dementia praecox, die heute Schizophrenie genannt wird, als »eine Reihe von Krankheitsbildern […], deren gemeinsame Eigentümlichkeit der Ausgang in eigenartige Schwächezustände bildet«. Später unterteilte er sie in vier Unterkategorien: Die erste Stufe, die Schizophrenia simplex, geht mit schleichendem Verfall und sozialem Rückzug einher. Die zweite Stufe, die Paranoia, manifestiert sich in Angstzuständen und Verfolgungswahn; Betroffene fühlen sich bespitzelt und sehen sich als Opfer übler Nachrede. Auf sie folgt die Hebephrenie, sie ist durch eine unzusammenhängende sprachliche Artikulation sowie häufig unangemessene emotionale Reaktionen und Verhaltensweisen gekennzeichnet, etwa lautes Lachen bei einem traurigen Anlass. Bei der vierten Stufe, der Katatonie, sind Bewegungen und Ausdruck extrem eingeschränkt. Die Patienten verharren oft stundenlang in derselben Position oder führen ständig die gleichen Bewegungen aus.
Kraepelins Klassifikation dient noch heute als Grundlage für die Diagnose von Schizophrenie. Durch Untersuchungen hat sich inzwischen bestätigt, dass die Gehirne Schizophrener biochemische und strukturelle Anomalien sowie Funktionsstörungen aufweisen. Kraepelins These, dass viele psychische Erkrankungen rein biologisch bedingt sind, hat die Psychiatrie stark beeinflusst. Bis heute werden viele psychische Erkrankungen mit Medikamenten behandelt.
DIE ANFÄNGE DES PSYCHISCHEN LEBENS REICHEN EBENSO WEIT ZURÜCK WIE DIE ANFÄNGE DES LEBENS ÜBERHAUPT
WILHELM WUNDT (1832–1920)
IM KONTEXT
ANSATZ
Experimentelle Psychologie
FRÜHER
5. Jh. v. Chr. Gemäß den griechischen Philosophen Aristoteles und Platon haben Tiere, anders als Menschen, keine Vernunftseele.
1859 Der britische Naturforscher Charles Darwin behauptet, dass Menschen und Tiere gemeinsame Vorfahren haben.
SPÄTER
1949 Konrad Lorenz schildert in Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen, wie ähnlich sich Mensch und Tier sind, und verändert damit unsere Sicht auf Tiere.
2001 Der amerikanische Zoologe Donald Griffin schreibt in Animal Minds, dass Tiere eine Vorstellung von der Zukunft, ein komplexes Erinnerungsvermögen und vielleicht sogar ein Bewusstsein haben.
Die Vorstellung, dass Tiere eine Seele haben und zu einer bestimmten Art von Denken fähig sind, reicht zurück bis zu den antiken Philosophen. Aristoteles unterschied drei Seelen: die Pflanzenseele, die Tierseele und die menschliche Seele, sie sind jeweils mit bestimmten Fähigkeiten ausgestattet. Während die Pflanzenseele ausschließlich auf Wachstum, Ernährung und Fortpflanzung ausgerichtet ist, kann die Tierseele darüber hinaus Schmerz, Freude und Begehren empfinden. Die menschliche Seele ist zudem zur Vernunft fähig. Gemäß Aristoteles sind also nur Menschen zur Selbsterkenntnis und zu komplexeren intellektuellen Leistungen in der Lage. Im 15. Jahrhundert vertrat der französische Philosoph René Descartes die Auffassung, dass Tiere schlicht reflexgesteuerte Maschinen seien. Hätte er recht, könnten wir aus der Beobachtung von Tieren nichts über unser eigenes Verhalten lernen.
Rund 200 Jahre später fand Charles Darwin heraus, dass Menschen und Tiere gemeinsame Vorfahren haben. Er folgerte daraus, dass selbst niedere Organismen eine Art Bewusstsein besitzen. Diese Ansicht vertrat auch der deutsche Arzt, Philosoph und Psychologe Wilhelm Wundt. In seinem Buch Grundzüge der physiologischen Psychologie schrieb er, dass alle lebenden Organismen seit Beginn des Evolutionsprozesses ein Bewusstsein besäßen: »Die Annahme, dass die Anfänge des psychischen Lebens ebenso weit zurückreichen wie die Anfänge des Lebens überhaupt, muss daher vom Standpunkte der Beobachtung aus als eine durchaus wahrscheinliche bezeichnet werden. Die Frage nach dem Ursprung der geistigen Entwicklung fällt auf diese Weise mit der Frage nach dem Ursprung des Lebens zusammen.« Selbst einfache Organismen wie Protozoen sind laut Wundt mit einer Art Geist ausgestattet. Eine überraschende These, die vor mehr als hundert Jahren sicher noch sehr erstaunte.
»Eine erste Scheidung der psychischen Funktionen vollzieht sich schon bei [bestimmten] Protozoen.«
Wilhelm Wundt
Wundt war ein Verfechter des Experiments und wird oft als »Vater der experimentellen Psychologie« bezeichnet. 1879 gründete er an der Leipziger Universität das weltweit erste Institut für experimentelle Psychologie. Sein Ziel bestand darin, die menschliche Psyche und das menschliche Verhalten systematisch zu erforschen. Zunächst wandte er sich der Untersuchung grundlegender Wahrnehmungsprozesse zu.
Verhaltensbeobachtung
Für Wundt konnte der Sinn und Zweck der experimentellen Psychologie nur darin bestehen, das Bewusstsein exakt