Sotoro blieb stehen, bückte sich und griff mit einer Hand in das Seewasser, wie um die Temperatur zu prüfen. „Wir müssen auf der Hut sein“, murmelte er. „Der Portugiese ist zu allem fähig, und er wird vor Wut, mir alles über die Diamanten von Kra erzählt zu haben, schreien. Aber ich glaube, der Stadtkommandant und die anderen Hunde richten sich jetzt nicht mehr nach seiner Order.“
Dan gab zu bedenken: „Immerhin könnte dieser Bursche auf eigene Faust mit seiner ‚Candia‘ lossegeln und uns hier oben suchen.“
Hasard wies auf die flach über der See treibenden Nebelschwaden. „Er weiß aber auch, daß er dann riskiert, wie die ‚Santa Trinidad‘ auf ein Riff zu laufen.“
„Es wäre mir ein Vergnügen, seinem Untergang zuzuschauen“, sagte der junge Mann. „O Sir, was wäre das für ein Fest. Warum haben wir diesen Sohn einer abgetakelten Hafenhure eigentlich nicht auch niedergeknallt?“
„Das weißt du ganz genau.“
„Richtig, er konnte sich nicht wehren, weil wir ihm die Waffen abgenommen hatten. Aber das eine ist sicher. Der Kerl ist gefährlicher als ein ganzer Sack voll Schlangen. Es wäre mir lieber gewesen, statt Uwak, Escribano und Lozano den portugiesischen Bastard fallen zu sehen.“
Sotoro hatte sich seiner Kleidung bis auf einen Lendenschurz entledigt. Tiku und Kutabaru, der Anführer der Orang Laut, folgten seinem Beispiel. Hasard streifte seine spanische Soldatenkluft nun ebenfalls ab.
„Moment!“ rief Dan O’Flynn. „Was soll denn das bedeuten?“
Hasard legte den Zeigefinger gegen die Lippen. „Ruhe, Mann, willst du ganz Sumatra auf den Plan rufen? Du bleibst an Land und paßt auf, während wir die ersten Tauchversuche unternehmen, das ist doch sonnenklar.“
Der Tiger von Malakka hatte mit Tiku und Kutabaru gesprochen, jetzt trat er noch einmal auf den Seewolf zu. „Ist es wahr, was du uns vorhin über Feuer gesagt hast, das auch unter Wasser brennt?“ fragte er.
„Ja. Ich habe zwei dieser Fackeln von der ‚Isabella‘ mitgenommen“, entgegnete Hasard. „Der Große Chan hat sie mir geschenkt, als wir ihn in der Verbotenen Stadt besucht haben. Es handelt sich um eine Art Magnesit, das auch durch Flüssigkeit nicht zum Erlöschen zu bringen ist.“
Er ging in die Hocke und beschäftigte sich mit den Stiefeln, die er gerade ausgezogen hatte. Auf dem Wehrgang des hinteren Traktes der Stadtkommandantur hatte er wohlweislich darauf geachtet, die beiden Stäbchen, die er jetzt aus den ledernen Stiefelschäften holte, nicht in seiner Batak-Tracht zurückzulassen.
„Wir müssen nur sparsam mit dem Licht umgehen“, sagte er. „Dan, hast du Feuerstein und Feuerstahl dabei?“
„Immer noch“, sagte O’Flynn junior. „Man sorgt schließlich vor. Soll ich deine Chinesenfunzel anzünden?“
„Noch nicht. Wir lassen die Magnesitfackeln hier zurück und holen sie erst, wenn wir wissen, wo die ‚Santa Trinidad‘ liegt“, erwiderte Hasard. „Paß gut auf sie auf. Ich trete dir auf die Füße, Dan, wenn die Dinger verlorengehen.“
Er watete mit den Malaien ins Wasser. Durch die lauwarmen Fluten drangen sie bis zu dem Platz vor, an dem Sotoro und der Batak das Wrack der Galeone vermuteten. Die ersten beiden Unternehmungen brachten ihnen keinen Erfolg, aber als sie das dritte Mal in die düstere Tiefe tauchten, stießen sie sich fast an den bizarren Korallenformationen.
Eine halbe Stunde später hatte der Seewolf die „Santa Trinidad“ entdeckt. Sie lag nicht sehr tief, nach seinen Schätzungen etwa vier Faden. Jetzt kehrte Hasard an Land zurück und verschnaufte eine Weile, während auch Sotoro, Tiku und Kutabaru mit ruhigen Zügen zum Ufer zurückschwammen.
„Keine besonderen Vorkommnisse“, meldete Dan O’Flynn trocken. „Darf ich jetzt auch mal oder verdonnerst du mich weiterhin zur Landwache?“
Hasard lachte leise. „Du hast es erraten. Dan, dich läßt man notfalls noch einmal als spanischen Posten durchgehen, deswegen beiß die Zähne zusammen und halte tapfer die Ohren steif. Los, zünde mal die erste Magnesit-Fackel an.“
Mit dem weißlichen Licht, das man wegen der Dunkelheit und des Nebels bis Bengkalis sicher nicht sehen konnte, begab sich der Seewolf zurück zu dem Riff, gefolgt von den drei malaiischen Rebellen. Wieder suchten sie die Tiefe auf und drangen mit ihrem Luftvorrat in den Lungen bis zu der zwischen schartigen, farbigen Phantasiegebilden der Natur placierten Dreimast-Galeone vor.
Nach weiteren zwei Vorstößen geriet Hasard zum erstenmal mit seiner Fakkel in den Frachtraum der „Santa Trinidad“. Hier bot sich ein scheußliches Bild. Der Wasserdruck hatte die Toten, die bis zuletzt Truhen des Schatzes auf Oberdeck gemannt hatten, unter die Deckenbalken gepreßt. Einer wandte dem Seewolf sein Gesicht zu. Hasard drehte sich von ihm weg und widmete sich den Truhen und Kisten, die im Licht der chenesischen Fackel deutlich zu erkennen waren. Er schaffte es, die erste Kiste zu bergen.
Später holten sie immer mehr Kisten herauf, prall gefüllt mit den Diamanten, die für Sotoro so unendlich viel bedeuteten. Sie schafften sie in eine Höhle des nahen Felsenufers. Dan hatte diese Kaverne entdeckt. Sie stellte während der Hebung des Schatzes ihren Unterschlupf dar.
Lucio do Velho erschien nicht, der Nebel hielt ihn und seine „Candia“ zurück. Die Bemühungen des Portugiesen, von Bengkalis aus wenigstens einen Landtrupp Soldaten in Marsch zu setzen, stießen auf den Widerstand des Stadtkommandanten, der bis zum Morgengrauen im Landesinneren nach den Flüchtigen fahndete und andere Sorgen hatte als den „idiotischen Kahn mit den verdammten Juwelen“.
Im Morgengrauen lichtete sich der Nebel. Er zerfaserte und fächerte nach Westen ab. Lucio do Velho witterte überall Unrat, er hatte deswegen die Deckswachen auf seinem Viermaster verdoppeln und verdreifachen lassen. So war er der einzige, der wirklich gewappnet war und sein Schiff gefechtsbereit hielt, als die „Isabella“ und die Prahos von der zweiten, nordöstlich gelegenen Buchteinfahrt her auftauchten und Feuer und Tod säten.
Rafael de Cubas und Raoul Souto Alonso, noch verwirrt und bestürzt über den Verlust von Lozano, handelten viel zu spät. Sie saßen noch in Booten und ließen sich zu den Kriegskaravellen „San Rafael“ und „Estremadura“ hinüberpullen, als die „Isabella“ als erstes feindliches Schiff in den Hafen von Bengkalis lief.
Der Durchbruch gelang, die Kanonen wummerten los. Lucio do Velho hatte eine volle Breitseite abgeben lassen, doch die Galeone der englischen Korsaren wich nicht von ihrem Kurs ab und war nicht wrackreif ramponiert. Kein Schmerzgeschrei drang herüber, kurz, die Schüsse des Viermasters waren zu hastig und zu schlecht gezielt abgegeben worden!
Do Velho und seine Leute mußten sich in Deckung werfen, als eine Kette von Explosionen über das Oberdeck raste – Höllenflaschen aus der Produktion eines rothaarigen Teufels namens Ferris Tucker.
Ben Brighton schoß auch die beiden Karavellen vor den Piers an, dann rückten die Prahos nach und deckten Hafen und Ortschaft mit ihrem gezielten Feuer aus kleinkalibrigen Geschützen ein.
Die Frachtsegler auf der Reede stellten keine ernsthafte Gefahr für den Verband dar. Und in Bengkalis brach Panik aus, weil die Bevölkerung glaubte, die Feinde würden nun landen und die Häuser anzünden. Ganze Menschenpulks ergriffen die Flucht in die Selvas. Vergeblich trachteten der Stadtkommandant und der Hafenkapitän, die allgemeine Disziplin wiederherzustellen.
Als aber die Angreifer urplötzlich von der Siedlung abließen und zur nördlichen Ausfahrt der Bucht abdrehten, war so schnell niemand da und bereit, den „Bastardos“ nachzusetzen.
Etwas später nahmen Ben und die anderen Männer der „Isabella“ in aller Ruhe den Seewolf, Dan O’Flynn, Sotor, Tiku und Kutabaru bei den Korallenriffen auf. Boote wurden abgefiert und bemannt, die fünf Schatzsucher wiesen den Besatzungen den Weg durch die tückische Barriere – bis zu der Höhle, in der sich mittlerweile die Diamanttruhen stauten.