„Sie werden es zumindest versuchen“, erwiderte Ben Brighton und wies mit der rechten Hand nach vorn.
Hasard blickte über das Vorkastell hinweg und sah die drei Kriegsgaleonen, die beigedreht hatten und anscheinend warteten, bis die letzten Schiffe des Geleitzuges sie passiert hatten.
„Sie treiben die Schäfchen für die Nacht zusammen“, sagte Ben Brighton sarkastisch. „Wenn du glaubst, daß wir ihnen in dieser Nacht entwischen können, dann hast du einen sonnigen Humor.“
Hasard preßte die Lippen aufeinander. Er wußte, daß Ben Brighton recht hatte, aber er weigerte sich, die Ladung der „Santa Barbara“ verloren zu geben. Als Ben Brighton den Mund öffnete, wußte er schon, was der Bootsmann sagen würde.
„Wir sollten es uns noch mal überlegen“, sagte Ben. „Drake wird uns nicht die Köpfe abreißen. Sicher hätte auch er in dieser Lage die Ladung aufgegeben und wäre mit der ‚Barcelona‘ davongesegelt. Niemand wird uns einen Vorwurf machen.“
Hasard schüttelte stur den Kopf.
„Das stimmt nicht, Ben“, sagte er. „Ich selbst würde mir mein Leben lang vorwerfen, daß ich beim ersten Kommando, das mir übertragen wurde, jämmerlich versagt hätte. Ich soll eine Prise nach Plymouth bringen, und das werde ich auch tun. Es muß einfach einen Weg geben.“
Ben Brighton schwieg. Er kannte den Seewolf inzwischen gut genug, um zu wissen, daß jetzt Widerspruch sinnlos war. Er hoffte nur, daß sie nicht alle durch die Sturheit Hasards mit dem Leben zahlen mußten.
Die vier Kriegsgaleonen – eine weitere war an Backbord aufgetaucht – scheuchten die „Barcelona“ und die „Santa Barbara“ dichter an die anderen Schiffe heran. Die Besatzungen der beiden Galeonen hatten alle Hände voll zu tun, die Segel zu bedienen.
Hasard stand an der Reling der Poop und schlug die Faust auf das breite Geländer. Wenn der Wind weiterhin mit dieser Stärke aus Westen blies, hatten sie die spanische Küste in zwei, höchstens drei Tagen erreicht. Und wenn die Kriegsgaleonen sie den Guadalquivir hinauf nach Sevilla geschleust hatten, saßen sie in der Falle, aus der es kein Entrinnen mehr gab.
Ben Brighton hatte Hasard in den letzten Tagen einiges über die spanischen Häfen erzählt. Insbesondere über Sevilla, wo die Casa de Contratacion ihren Sitz hatte und den gesamten Handel zwischen Spanien und der Neuen Welt kontrollierte. Die Casa hatte ihre eigenen Zollbeamten und Soldaten, deren Grausamkeiten bei allen Seefahrern bekannt waren. Der Tod war noch das geringste Übel, das ihnen geschehen konnte, wenn sie in die Hände der Casa-Soldaten fielen.
Warum, zum Teufel, war er nicht gleich von Flores aus nach Norden gesegelt? Er hatte sich von der Kriegsgaleone täuschen lassen. Er hatte angenommen, daß sich die Flota nördlich von Flores befunden hatte. Dieser Irrtum konnte jetzt tödlich für sie sein.
Hasard blickte zur Mondsichel hoch, die ihr bleiches Licht auf die bewegte See warf. Durfte er das Leben seiner Männer aufs Spiel setzen, nur weil er selbst die Niederlage nicht eingestehen wollte, die doch unausweichlich war?
Hasard schüttelte den Kopf. Wie groß war denn ihre Chance, mit der „Barcelona“ den Kriegsgaleonen zu entkommen, wenn er die Männer von der „Santa Barbara“ herüberholte und die andere Galeone aufgab? Gewiß, das Schiff war ohne Ladung schnell, doch sicher war es nicht, daß sie den Kriegsgaleonen ungeschoren davonsegelten.
Zwei Nächte und zwei Tage hatte Hasard noch Zeit, etwas zu unternehmen. Vielleicht half ihnen der Wettergott, indem er einen Sturm schickte, der die Schiffe des Geleitzuges auseinandertrieb.
Hasard bedauerte, daß er nicht auf die „Santa Barbara“ gegangen war. Mit ihr hätte er die Flucht vielleicht gewagt. Die „Barcelona“, die ohne Ladung war, hätte er ohne Bedauern zurückgelassen.
Der nächste Tag begann so strahlend, wie der letzte zu Ende gegangen war. Kein Wölkchen zeigte sich am azurblauen Himmel. Eine Herde Tümmler begleitete den Konvoi. Die schlanken, silbrig glänzenden Körper schossen elegant aus dem Wasser und tauchten fast spritzerlos wieder ein.
Hasard war von diesem Bild jedesmal aufs Neue fasziniert, doch heute hatte er kaum Augen dafür. Er hatte die ganze Nacht über auf Deck verbracht und auf eine Gelegenheit gewartet, den Dons doch noch ein Schnippchen zu schlagen.
Es war alles umsonst gewesen. Er wußte nicht, ob die Kapitäne den neu zum Geleitzug gestoßenen Galeonen mißtrauten, jedenfalls schien es ihm so, als würden die Kriegsschiffe besonders auf die „Barcelona“ und die „Santa Barbara“ aufpassen.
Der Wind wehte mit einer entnervenden Gleichmäßigkeit. Wenn er nicht bald umschlug oder zu blasen aufhörte, würden sie am nächsten Abend die portugiesische oder spanische Küste erreichen. Es waren kleinere Schiffe als die „Barcelona“ und die „Santa Barbara“ im Geleitzug, aber sie hatten Lateinersegel an allen Masten und waren ziemlich schnell.
Die „Santa Barbara“ war eins der langsamsten Schiffe – zum Glück nicht das langsamste, sonst hätte Ferris Tucker wahrscheinlich Schwierigkeiten mit den Kriegsgaleonen gekriegt. Noch hinter den beiden von den Engländern gekaperten Prisen segelte eine dickbäuchige Galeone, die bis zu den Ladeluken mit Schätzen beladen zu sein schien, denn sie lag sehr tief im Wasser.
Ben Brighton, den Hasard hinunter in die Kammer zum Schlafen geschickt hatte, erschien auf dem Achterkastell. Sein erster Blick galt dem Himmel. Für die Spanier war dieses Wetter ein Geschenk Gottes, für die Engländer der Anfang vom Ende.
„Wenn der Wind anhält, sind wir morgen abend in Cadiz“, sagte der Bootsmann brummig.
Hasard schwieg. Was hätte er darauf auch schon antworten können? Ben Brighton hatte recht. Und mit jeder Minute, die verstrich, waren sie ihrem Verhängnis, das in dem spanischen Hafen auf sie wartete, ein Stück näher.
Hasard gab das Kommando über die „Barcelona“ an Ben Brighton ab. Er selbst ging hinunter aufs Mitteldeck, um mit den Männern zu sprechen.
Um Dan O’Flynn und Batuti brauchte sich Hasard nicht zu sorgen. Die beiden würden mit ihm dem Teufel ein Ohr absegeln, davon war er fest überzeugt.
Blacky und Smoky waren ebenso wie Matt Davies aus hartem Holz geschnitzt, aber es war zweifelhaft, ob sie mit seiner Entscheidung, die „Santa Barbara“ um keinen Preis aufzugeben, einverstanden waren. Er konnte es auch nicht an ihren Gesichtern ablesen.
Von allen Leuten war der Kutscher am zuversichtlichsten. Er konnte die Befürchtungen der anderen nicht verstehen. Schließlich hatten die Dons sie bisher in Ruhe gelassen, und dem Seewolf würde schon rechtzeitig etwas einfallen, um sie aus dieser Patsche wieder herauszuholen.
Die Männer hatten den verwundeten Gary Andrews an Deck geholt, damit er frische Luft schnappen konnte.
„Wie geht’s dir?“ fragte Hasard. Er bückte sich und schlug das Hemd beiseite, das über dem dicken Verband lag.
Gary Andrews grinste verkrampft. Sicher bereitete die klaffende Wunde über der Brust, die von einem Messerstich eines Spaniers herrührte, höllische Schmerzen.
„Alles halb so schlimm, Sir“, sagte er gequält. „Wenn es gegen die Dons geht, bin ich dabei.“
Hasard grinste ihn an.
„Nicht gleich übertreiben“, sagte er. „Vielleicht schaffen wir es nächste Nacht, heimlich zu verduften. Und wenn nicht, wird uns schon irgendwas einfallen, um den Dons eine Nase zu drehen. Ich wollte eigentlich die Ladung der ‚Santa Barbara‘ nicht aufgeben und mit leeren Händen zu Kapitän Drake zurückkehren. Er wird vielleicht nichts sagen, aber er und alle anderen werden denken, daß wir ganz schöne Flaschen sind, uns die Prise von den Dons wieder abjagen zu lassen. Was meint ihr?“
Er schaute Blacky und Smoky an, doch sie sahen stumm an ihm vorbei. Sie hatten bei Francis Drake gelernt, den Mund zu halten. Sie waren es nicht gewohnt, nach ihrer Meinung gefragt zu werden.
Matt Davies wischte mit dem linken Ärmel über den glänzenden Metallring an seiner Hand. Der spitzgeschliffene