Die zweite Möglichkeit war, die Spanier zu täuschen und im Geleitzug mitzufahren. In der Nacht konnten sie dann ihre Chance suchen, aus dem Verband auszubrechen und nach Norden zu entfliehen.
Hasard winkte zur „Santa Barbara“ hinüber. Ben Brighton, der auf dem Achterdeck stand, winkte zurück und brüllte ein paar Befehle. Langsam schob sich die „Santa Barbara“ dichter an die „Barcelona“ heran.
Hasard kletterte inzwischen hinunter und begab sich aufs Quarterdeck.
„Laß dich zu uns rüberpullen!“ schrie er gegen den steifen Wind hinüber.
Wenig später wurde an der Steuerbordseite der „Santa Barbara“ ein Boot abgefiert. Ben Brighton und zwei Männer kletterten über eine Jakobsleiter hinunter. Hasard erkannte Lewis Pattern, den dicken Segelmacher, und den Schweden Stenmark.
Mit kräftigen Schlägen pullten die beiden das Boot zur „Barcelona“ herüber. Hasard schickte Dan O’Flynn in den Großmars. Er sollte ihn warnen, wenn eins der Kriegsschiffe Kurs auf sie nahm.
Blacky half Ben Brighton an Bord. Dann hievten ein paar Männer das Boot an Deck, während Hasard mit Ben Brighton und Ferris Tucker hinunter in die Kapitänskammer ging.
Hasard kam sofort zur Sache.
„Wir haben keine andere Wahl, als im Geleitzug mitzusegeln, Ben“, sagte er. „Und dazu brauche ich dich hier an Bord der ‚Barcelona‘. Sicher wird man uns fragen, woher wir kommen. Du bist lange genug auf einem Spanier gefahren, um die richtigen Antworten geben zu können.“
Ben Brighton nickte.
„Die ganze Sache gefällt mir gar nicht“, sagte er. „Wir sollten die ‚Santa Barbara‘ sausen lassen, die Männer herüberholen und uns nach Süden verdrücken.“
Hasard ruckte herum.
„Und die Ladung der ‚Santa Barbara‘?“ fragte er scharf. „Würdest du Kapitän Drake mit leeren Händen unter die Augen treten, nachdem er dir eine Prise anvertraut hat?“
Ben Brighton schüttelte den Kopf.
„War nicht so gemeint, Hasard“, sagte er. „Es ist nur ein höllisches Ding, in einem spanischen Geleitzug mitzufahren. Wenn sie merken, daß wir Engländer sind, werden sie uns an den Rahen aufbaumeln.“
„Wir müssen es riskieren“, sagte der Seewolf verbissen. Er schüttelte den Kopf. Nein, er konnte die „Santa Barbara“ nicht einfach aufgeben. Drake hatte ihm die Prise anvertraut, und er, Hasard, war dafür verantwortlich, daß sie sicher im Hafen von Plymouth landete. Vielleicht würde Drake es ihm nicht einmal übelnehmen, wenn er erfuhr, in welch einer Situation Hasard ein Schiff aufgegeben hätte, aber Hasard selbst hätte es sich niemals verziehen. Wenn er die „Santa Barbara“ nicht nach England brachte, war er ein Versager.
„Ferris“, sagte er, „du läßt dich von Stenmark und Pattern zur ‚Santa Barbara‘ hinüberpullen. Setz die spanische Flagge und sag Stenmark, er soll sich seine verdammten blonden Haare mit Teer einschmieren, damit man ihn für einen Don hält. Das gilt auch für Jim Maloney und alle anderen Männer. Ihr werdet genügend Klamotten an Bord finden, mit denen ihr euch wie echte Dons verkleiden könnt.“
Ferris Tucker fuhr sich mit seiner linken Hand durch die borstige rote Mähne.
Hasard grinste. Ihm fiel etwas ein. Er hatte doch in der großen Truhe, die neben der Koje stand …
Er ging hinüber, öffnete den Deckel und zog grinsend eine lockige schwarze Perücke hervor.
Ferris Tucker riß den Mund auf und vergaß, ihn wieder zu schließen.
„Nein, Sir“, sagte er heiser. „Das kannst du nicht von mir verlangen. Die Männer werden sich die Bäuche halten vor Lachen. Ich werde zum Gespött aller englischen Seeleute!“
„Das ist noch nicht alles, Ferris“, sagte Hasard, der sich ein Lachen kaum verkneifen konnte. „Mit deinen Klamotten siehst du wirklich nicht wie ein Capitan aus.“ Er zog eine betreßte Montur aus der Truhe und hielt sie in die Höhe. Wußte der Teufel, wem sie einmal gehört hatte. Dem Giftzwerg Juan Descola auf keinen Fall. Der hätte zweimal in die Hose hineingepaßt.
Ferris Tucker erklärte sich nach einigem Hin und Her bereit, die Sachen zu probieren. Sie paßten nur knapp. Tuckers Schultern schienen die Nähte der Jacke sprengen zu wollen.
„Die Perücke, Ferris“, sagte Hasard sanft, als sich der Schiffszimmermann in seiner neuen Montur aus der Kammer schleichen wollte.
Tucker stöhnte. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse. Doch dann riß er Hasard die Lockenperücke aus den Händen und stülpte sie sich über den Kopf.
Ben Brighton, der die ganze Zeit kein einziges Wort gesagt hatte, konnte sich nicht mehr beherrschen. Er prustete los.
„Beim dreimal verfluchten Klabautermann!“ brüllte Ferris Tucker. „Warum muß er nicht einen solchen Mop aufsetzen?“
„Wir haben keine roten Haare, Ferris“, sagte Hasard grinsend. „Wir sehen auch so von weitem wie Dons aus.“
Ferris Tucker drehte sich wütend herum und stiefelte aus der Kammer und den Gang entlang hinaus aufs Quarterdeck. Am Niedergang zum Mitteldeck blieb er stehen und starrte die Männer der „Barcelona“ wütend an.
Blacky, Smoky und die anderen standen mit offenem Mund da. Es dauerte eine ganze Weile, ehe sie Ferris Tucker erkannten.
„Das – das – das ist doch …“, stotterte Matt Davies.
Sie brüllten alle auf einmal los. Blacky schlug sich auf die Schenkel. Der Kutscher kicherte in seinem hohen Diskant.
„Ruhe, ihr Bastarde!“ Ferris Tuckers Gesicht war rot angelaufen. „Ich werde euch mit der Peitsche übers Deck jagen, wenn nicht jeder von euch innerhalb einer Minute wie ein Don aussieht, verstanden?“
Blacky trat ein paar Schritte vor und wackelte dabei mit den Hüften.
„Haben Sie für mich nicht auch so eine feine Lockenpracht, Sir?“ fragte er und spitzte beim Sprechen die Lippen.
Ferris Tucker begann zu kochen. Er riß einen Belegnagel aus der Quarterdecksbrüstung und schleuderte ihn auf Blacky, der erst im letzten Moment dem Geschoß ausweichen konnte.
„Schluß jetzt, Leute!“ befahl Hasard laut. „Tut, was Ferris euch gesagt hat. Wir werden mit dem Geleitzug segeln, und dazu müßt ihr wie Dons aussehen. Ihr wißt, was euch erwartet, wenn uns die Spanier erwischen.“
„Aye, aye!“
Die Männer verschwanden unter Deck. Sie wußten, daß ihnen ein paar harte Stunden bevorstanden, in denen es buchstäblich um ihr Leben ging, wenn sie nicht gut genug schauspielerten. Die Männer mit hellen Haaren rieben sich Teer, und Asche in die Haare. Sie zogen die Sachen der Spanier an, die sich noch fanden, und nach wenigen Minuten standen sie wieder an Deck. Ferris Tucker und die beiden Rudergasten pullten bereits wieder zur „Santa Barbara“ hinüber.
„Eine Kriegsgaleone hält auf uns zu!“
Der Schrei aus dem Großmars ließ die Männer zusammenzucken. Schnell und scharf erfolgten Hasards Befehle. Dan O’Flynn schwang sich über die Wanten nach unten und nahm wie die anderen Männer seinen Platz ein, nachdem auch er seine blonden Haare mit Teer schwarz gefärbt hatte.
Hasard hoffte, daß der spanische Kommandant kein zu scharfer Hund war. Er ahnte, welche Schwierigkeiten er ihnen bereiten konnte. Wenn er annahm, daß sie auf eigene Faust aus der Neuen Welt zurück nach Spanien gefahren waren, würde er sie vielleicht alle in Ketten legen lassen. Und eins war sicher: Wenn auch nur ein Spanier die Decks der „Barcelona“ oder der „Santa Barbara“ betrat, waren Hasard und seine Männer verloren.
Die Flota, die Hasard jetzt deutlich mit