„Ich weiß es selbst nicht“, log Jussuf. „Aber auch das werde ich herausfinden, verlaß dich drauf.“ Jetzt hatte er die Bestätigung: Die Black Queen lebte noch. Aber er mußte mehr erfahren. „Und wo hält sich die Königin auf?“ fragte er.
„Das weiß ich nicht.“ Maria del Mar benetzte ihre Lippen mit der Zungenspitze. Plötzlich hob sie die Hand. „Halt, Augenblick. Madam fragte ihn noch, wo denn das Königinnen-Liebesnest sei, sehr zum Vergnügen der Mädchen übrigens. Da brüllte Caligula, ob sie schon mal etwas von den Islas de Mangles gehört habe. Da gebe es nämlich eine wunderschöne Insel mit einer hübschen, versteckten Bucht, wo der Zweidecker ankere.“
„Nicht zu fassen“, sagte Jussuf. „Einfach toll. Diese Islas de Mangles liegen doch südlich von Kuba, nicht wahr?“
„Da fragst du mich jetzt wirklich zuviel.“
„Schon gut. Aber erzähle mir alles, was du sonst noch gehört hast.“
Das tat Maria del Mar. Jussuf verließ kurze Zeit später das Hurenhaus – mit entsagungsvoller Miene. Er mußte auf das verzichten, was sie ihm angeboten hatte. Aber es war auch besser so. Allah drückte in diesem Punkt bestimmt kein Auge zu, und ein gläubiger Muselman ließ sich mit keiner Dirne ein.
Aus einiger Entfernung behielt Jussuf das Bordell auch weiterhin im Auge. Seine Geduld wurde auf die Probe gestellt, aber nach Ablauf von ungefähr zwei Stunden erschien Caligula dann doch.
Er wankte ein wenig, schien aber höchst vergnügt und guter Dinge zu sein. Sein Weg führte ihn zurück in den Hafen, und er steuerte direkt die Kaschemme „Malagena“ an. Joanna war ihm wieder eingefallen, er wollte ihr unbedingt guten Tag sagen. Außerdem hatte er Durst – großen Durst.
Den Verfolger bemerkte Caligula nicht. Jussuf, der „alte Vollbart“, schritt ebenfalls auf die Kneipe zu, als der Kerl an ihm vorbei war. Er hatte sich in einer Hofeinfahrt verborgen. Jetzt zeigte er sich offen und betrat das Gewölbe der Kaschemme. Er tat so, als sehe er Caligula überhaupt nicht und trat an die Theke.
Caligula hatte bereits Gesellschaft. Zwei Zecher und eine dunkelhaarige, glutäugige Hure hatten sich an seinem Tisch niedergelassen.
Er füllte ihre Becher aus einem großen Krug und rief: „Wo ist Joanna? Ich will sie begrüßen!“
„Sie erscheint gleich“, erwiderte der Schankwirt. „Durch dein Gebrüll wird sie bestimmt wach.“
„Ich hätte gern ein Glas Wasser“, sagte Jussuf.
Der Wirt wandte den Kopf und sah ihn drohend an. „Wasser? Womöglich auch noch umsonst, wie?“
„Nein. Ich bezahle es.“
„Wasser gibt’s draußen, am Brunnen“, brummte der Mann. „Hier schenke ich nur Bier, Wein, Rum und aus Wein gebrannten Schnaps aus.“
„Dann bitte ein kleines Bier“, sagte Jussuf. Seine Stimme wurde aber fast ganz durch Caligulas Gebrüll übertönt. Caligula schien auf Wolken zu schweben. Er umarmte die Hure und rief: „Es lebe Havanna! Die Welt ist schön! Hoch die Becher, heute saufen wir uns die Hucke voll!“
„Hör dir den an“, sagte der Wirt zu Jussuf. „Der spinnt vielleicht. Aber mir soll’s recht sein. Zahlen kann er ja. Solange er keinen Ärger macht, bediene ich ihn.“
„Und die anderen saufen auch auf seine Kosten“, sagte Jussuf. Er trank nur die Hälfte von seinem Bier, schob dem Wirt eine Münze zu und ging. Er hatte genug gesehen und gehört. Der Wirt blickte ihm ziemlich verwundert nach, steckte die Münze weg und unterzog den Tresen einer symbolischen Reinigung. Dann eilte er zu Caligulas Tisch. Der Bierkrug war leer und mußte wieder gefüllt werden.
Jussuf kehrte zur Faktorei zurück und berichtete Arne und Jörgen, was er beobachtet und vernommen hatte – vor allem sein „Abenteuer“ in dem Hurenhaus, wobei er nicht versäumte, Maria del Mar ausführlich zu beschreiben.
„Du Ärmster“, sagte Jörgen. „Und so ein großzügiges Angebot hast du abgelehnt?“
„Mein Auftrag ist wichtiger“, erwiderte Jussuf mit Würde. „Und man muß Prioritäten zu setzen wissen. Außerdem verbietet der Prophet den Umgang mit solchen Frauenzimmern.“
„Schon gut“, sagte Arne. „Caligula hat also voll aufgedreht und den großen Mann gespielt, nicht wahr?“
„Ja. Die Weiber haben vor Vergnügen gekreischt“, hob Jussuf noch einmal hervor. „Das meiste, was er von sich gegeben hat, haben sie nicht für bare Münze gehalten. Aber sie haben ihn immer wieder animiert, noch mehr zu erzählen, vor allem Madam Luana. Er hat sich als großer Kapitän ausgegeben und verraten, wo sich sein Schiff zur Zeit befindet.“
„In einer Bucht der Islas de Mangles“, wiederholte Arne. Er hatte bereits eine Karte zur Hand genommen und die Position der Inselgruppe südlich von Kuba festgestellt. „Mein lieber Jussuf, dieser Hinweis ist für uns Gold wert. Nicht nur für uns, sondern auch für unsere Freunde von der Schlangen-Insel.“
Jussuf grinste breit und zufrieden. „Wir schicken also wieder einen meiner Lieblinge auf die Reise?“
„Ja. Aber erst, wenn es wieder dunkel ist.“
„Ich verstehe nicht, wie Caligula so unvernünftig sein kann“, sagte Jörgen. „Er muß doch damit rechnen, daß irgend jemand gegen ihn verwendet, was er ausplaudert. Vielleicht hat Madam Luana längst begriffen, daß mit der ‚Königin‘ die Black Queen gemeint ist. Sie könnte das an den Gouverneur weitergeben.“
„Das glaube ich nicht“, sagte Arne. „Aber Caligulas Ausrutschen könnte folgende Gründe haben. Mitte Dezember wurde die Queen ja von El Tiburon angeschossen. Seitdem mußte sich Caligula um sie und auch um den Zweidecker kümmern. Das hat an ihm gezehrt. Jetzt ist er in der großen Hafenstadt Havanna und kann das genießen, was er seit Monaten entbehrt hat. Versteht ihr?“
„So verliert denn auch ein Mann wie er den Kopf“, sagte Jussuf. „Und er redet Sachen daher, die er eigentlich für sich behalten sollte. Als Farbiger ist er nicht frei von Imponiergehabe vor weißen Frauen.“
„Ja, das leuchtet auch mir ein“, sagte Jörgen. „Ich schätze aber, daß er sich auf die Weise noch Ärger einhandelt.“
„Jussuf, du gehst zurück zu der Kneipe und beschattest weiterhin Caligula“, sagte Arne. „Wir müssen einen Plan entwerfen, aber ich weiß noch nicht recht, wie wir am besten verfahren.“
Die Black Queen lebte – wie er richtig vermutet hatte. Aber er mußte Jussufs neue Informationen erst überdenken. Das Wichtigste war zunächst einmal, den Bund der Korsaren über die neue Wendung zu unterrichten. Er mußte entscheiden, was unternommen werden sollte. Die Zeit drängte. Die Queen war genauso gefährlich wie Don Juan de Alcazar. Im übrigen mußte er, Arne, verhindern, daß Caligula die Gelegenheit erhielt, mit Don Juan Kontakt aufzunehmen.
Arne begriff, daß sein Spiel in Havanna immer gefährlicher wurde. Aber er durfte sich nicht entmutigen lassen, sie mußten weiterarbeiten.
Während die drei Männer noch herumgrübelten, Pläne faßten und wieder verwarfen, geschah etwas, was ihnen die Initiative entzog. Keiner hatte damit gerechnet, aber im Grunde war es Jörgen Brunn, der recht behielt. Caligula handelte sich Ärger ein.
4.
Die Kellerkaschemme „Malagena“ begann sich um die Mittagsstunde zu füllen. Caligula verfolgte lachend und grölend das Treiben an der Theke und an den Tischen, er war der Herr der Szene. Bei ihm waren inzwischen nicht nur die dunkelhaarige Hure, sondern auch Joanna und eine dritte, rothaarige Frau. Außerdem war er von Kerlen umringt, die alle auf seine Kosten zechten. Caligula ließ die Dublonen rollen, und der Schankwirt bediente ihn mit untertänigem, beflissenem Gebaren.
Caligula trank, brüllte herum, riß Witze, sang schmutzige Lieder und preßte die Frauen