Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Ja, schon gut. Aber was du nicht bedacht hast, ist, daß Cariba bei dieser Gelegenheit unser Versteck auch gleich mit verraten könnte. Das liegt bei diesem Hurensohn doch nahe, oder?“
„Das glaube ich nicht“, sagte Caligula, aber seine Miene war doch verdutzt. Damit hatte er wirklich nicht gerechnet.
„Glauben ist nicht wissen“, sagte die Queen kalt. „Sollte Cariba den Spaniern in die Hände gefallen sein, müssen wir mit allem rechnen. Der Kerl würde seine eigene Mutter verraten, wenn er eine Chance dabei sähe, seine eigene Haut zu retten.“
„Dann wünsche ich ihm, daß er in Havanna gevierteilt wird.“ Caligula wurde genauso nervös wie seine Geliebte. Das lag nicht nur an der Sache mit Cariba. Auch ihm setzte es zu, in dem Schlupfwinkel praktisch wie ein Gefangener zu leben. Die Warterei, die sich ewig in die Länge zu ziehen schien, war auch eine Zeit der Entsagung und Abstinenz.
Nie hatten die Kerle so wenig herumgehurt und gesoffen wie in diesen Wochen. Und Caligula? Nun, die Queen war zwar seine Geliebte, aber dieser Begriff bedeutete inzwischen so gut wie gar nichts mehr, denn in dieser Beziehung spielte sich zwischen ihnen schon gar nichts mehr ab. Logisch, denn die Queen war durch ihre Verwundung gewissermaßen „vom Fleisch gefallen“, wie Caligula ihren Zustand zu bezeichnen pflegte.
Ganz abgesehen von den körperlichen Folgeerscheinungen wie Wundfieber, Gewichtsverlust und Schwäche, mit denen sie auch in den letzten Tagen noch zu kämpfen gehabt hatte, war sie zudem noch gereizt und unausstehlich.
Sie konnte sich kaum auf den Beinen halten, jeder Schritt wurde ihr zur Qual. Sie nahm kaum Nahrung zu sich und verspürte einfach keinen Hunger. Das war ihr Problem. Es gelang ihr nicht, sich in der Zeit der Rekonvaleszenz entsprechend zu erholen.
Caligula wußte nichts von den medizinischen Begriffen, er hatte nicht die geringste Ahnung vom Metier eines Wundarztes. Aber er spürte instinktiv, daß etwas nicht in Ordnung war und alles viel länger dauerte, als ursprünglich erwartet.
Das verursachte auch bei ihm beinahe eine Art des körperlichen Unwohlseins. Schließlich war er ein Vollblutmann und empfand wie alle anderen hin und wieder das Verlangen, sich so richtig auszutoben. Das konnte er jedoch nicht. Er mußte an Bord des Zweideckers die Queen ersetzen und durfte nie das Schiff verlassen. Eine geringe Unaufmerksamkeit konnte zum Verhängnis werden, gerade jetzt. Die Luft schien wie vor einem Gewitter geladen zu sein. Man konnte es fast knistern hören.
Die Kerle konnten wenigstens ab und zu zur Südküste von Kuba übersetzen und in der Kaschemme „Yerba Buena“ die Mäuse auf dem Tisch tanzen lassen. Ihm, Caligula, war diese Art von Vergnügen versagt. Er lebte wie ein Mönch.
Aber auch der Horde reichten die gelegentlichen Abstecher zur Bucht von Matamano nicht aus. Zur Untätigkeit waren sie verurteilt, daran war nicht zu rütteln. Kein Raid mehr, keine Beutezüge und demzufolge auch keine Münzen, mit denen man sich Wein, Bier, Rum und Weiber kaufen konnte.
Nur Warten. Die Hitze war an manchen Tagen unerträglich. Und der Müßiggang nährte die Gedanken, die sich mit Meuterei und der Veränderung der Lage beschäftigten. Der Geist des Aufruhrs wuchs.
Leise erhoben sich in der Nacht drei Gestalten von ihrem Lager auf der Back der „Caribian Queen“. Sie hießen Ross, Arco und Bragozo und hatten die Nase gestrichen voll von der Situation an Bord. Die Unbestimmtheit, das Herumlungern und das Ausbleiben der Black Queen, die sich nie an Deck zeigte, hatten sie in ihrem Beschluß bekräftigt. Sie wollten sich verdrücken.
Ihr Vorhaben hatten sie seit Tagen abgesprochen. Jetzt war es soweit. Sie hatten darauf gewartet, daß die richtigen Kerle die Wache übernahmen – Codaro und Mescalin, zwei üble Galgenstricke, mit denen sie sich bei einem heimlichen „Kriegsrat“ einig geworden waren. Codaro und Mescalin hatten für ihre Komplicenschaft vier Silberlinge eingeheimst. Dafür waren sie bereit, sich zu „opfern“.
Caligula ahnte nichts von dem Komplott. Es wurde viel gemurrt und getuschelt in diesen Tagen, er konnte nicht überall mithören. So lag er in seiner Koje und schlief, und auch die Black Queen bemerkte nichts von dem, was zur Zeit der Hundewache an Deck vor sich ging.
Ross, Arco und Bragozo verließen die Back und huschten zu Codaro und Mescalin, die seit zwei Glasen die vorherige Wache abgelöst hatten. Als sie sich gegenüberstanden, grinste Codaro.
„Geht es los?“ fragte er. „Habt ihr es euch auch wirklich gut überlegt?“
„Natürlich“, raunte Ross, der sich selbst zum Wortführer des Trios ernannt hatte. „Und ihr beiden könnt es euch immer noch überlegen.“
„Nein“, flüsterte Mescalin. „Das ist mir zu heiß. Ich bleibe an Bord.“
„Ich auch“, sagte Codaro gedämpft. „Und wir können der Queen und Caligula einen schönen Gruß von euch bestellen, wenn ihr wollt.“
„Erzähl keinen Mist“, zischte Ross. „Es bleibt dabei. Wir verfahren so, wie wir das besprochen haben.“
Codaro grinste immer noch. „Schlagt aber nicht zu fest zu.“
Ross ballte die rechte Hand und riß sie zur Antwort hoch. Er rammte sie Codaro unters Kinn, und dieser brach neben der Nagelbank des Großmastes zusammen. Mescalin schien einen Einwand erheben zu wollen, aber Bragozo hieb ebenfalls zu und fällte ihn. Bewußtlos blieben die beiden vor der Nagelbank liegen.
Ross winkte seinen Kumpanen zu. Sie durften keine Zeit verlieren. Ross hastete zum nächsten Niedergang und suchte das Logis auf. Hier stöberte er eine Weile herum und nahm mit, was er zu fassen kriegte – ein paar Silberlinge, zwei Dublonen, Pistolen, Messer und Munition. Das war mit Codaro und Mescalin nicht vereinbart worden, aber die beiden konnten dagegen keinen Protest mehr erheben.
Im Logis schlief alles. Ross hatte keinerlei Schwierigkeiten, im Schnarchen seiner Spießgesellen alle vereinnahmten Habseligkeiten einzustecken und wieder zu verschwinden.
Bragozo und Arco hatten unterdessen die zweite, kleinere Jolle der „Caribian Queen“ von ihren Zurrings befreit, vorsichtig hochgehievt und ausgeschwenkt. Sie bemühten sich, keinen Laut zu verursachen. Das gelang auch fast, nur ein leises Knarren der Taljen, durch die die Taue liefen, war zu vernehmen.
Als Ross wieder bei ihnen erschien und ihnen durch eine Gebärde zu verstehen gab, daß auch dieser Teil des Unternehmens geklappt hätte, fierten die beiden die Jolle bereits außenbords ab. Der Rest war ein Kinderspiel. Die Jakobsleiter wurde ausgebracht, dann enterten sie in die Jolle ab, verstauten ihr „Gepäck“ unter den Duchten, griffen zu den Riemen und legten ab.
Leise tauchten die Riemenblätter ein, und ebenso geräuschlos hoben sie sich wieder aus dem Wasser. Behutsam entfernten sich die drei. Sie behielten das Schiff, das in der Nacht noch unheimlicher als sonst wirkte, im Auge. Die ganze Zeit über rechneten sie damit, daß jemand unverhofft auftauchte und ihr Verschwinden meldete – vielleicht sogar Caligula höchstpersönlich.
Aber wider Erwarten trat dies nicht ein. Ross, Arco und Bragozo tauchten in der von leichten Nebelschleiern durchwirkten Nacht unter. Später setzten sie das Segel und gingen auf Kurs Nordwesten – in Richtung auf die Küste von Kuba, wo sie zunächst einmal zu landen gedachten. Ihr Plan war, die Jolle mit einem anderen Boot zu vertauschen, wieder bei Nacht. Die Jolle sollte versenkt werden. Sie würden keine Spuren hinterlassen, und der Queen und Caligula sollte es nicht gelingen, ihre Fährte irgendwo wiederaufzunehmen. So blieb die Rache aus, die Deserteuren und Meuterern drohte. Schon jetzt hatten Ross, Arco und Bragozo allen Grund zum Lachen.
Sie stießen sich gegenseitig an und grinsten, dann förderte Ross eine Flasche Rum zutage, die er aus dem Logis hatte mitgehen lassen.
„Auf ein gutes Gelingen!“ rief er, während er sie entkorkte und den ersten Schluck trank. „Und zur Hölle mit der Queen!“
„Und mit Caligula!“ stieß Bragozo hervor. Am liebsten hätte er Caligula noch ein Messer in die Brust gestoßen, bevor sie geflohen waren. Er konnte ihn schon seit langem nicht mehr leiden.