Das sagt er wohl mit Bezug auf die (herrschende) Stellung, die damals Rom einnahm; diese Stadt hatte nämlich zu jener Zeit die Herrschaft über die Welt inne. Er will damit also gesagt haben: „Du nimmst dir selbst die Entschuldigung, wer immer du sein magst:“ Denn wenn du z. B. einen Ehebrecher verurteilst und du bist selbst ein solcher, dann hast du dir mit deinem Urteilsspruch dein eigenes Urteil gesprochen, wenn dich auch sonst gar niemand vor Gericht zieht.
V.2: „Wir wissen nämlich recht gut, daß Gottes Urteil über die, welche solches tun, der Wahrheit gemäß ist.“
Damit nämlich nicht jemand sage: Ich bin bis jetzt ohne Strafe davongekommen, will der Apostel Furcht einflößen. Er sagt, daß es bei Gott nicht so zugehe wie bei den Menschen hier auf Erden. Hier wird der eine bestraft und der andere, der dasselbe getan hat, kommt davon. Bei Gott ist es aber nicht so. Daß da der Richter das Rechte kennt, spricht der Apostel aus; woher er es kennt, fügt er nicht bei; es wäre überflüssig gewesen. Bezüglich der Gottlosigkeit legt er aber beides dar: sowohl daß der, welcher gottlos handelt, Gott kennt, als auch, woher er ihn kennt, nämlich aus der Schöpfung. Weil diese Quelle nicht allen bekannt war, darum nennt er sie eigens. Hier aber übergeht er die Quelle (der Erkenntnis, die Gott selbst hat) mit Stillschweigen, weil sie allgemein bekannt ist. — Wenn der Apostel sagt: „jeder, der da richtet“, spricht er nicht allein von den Berufsrichtern, sondern auch von Privatleuten und Untertanen.
2.
Alle Menschen richten nämlich die Fehlenden, wenn sie auch nicht gerade einen Richterstuhl innehaben und keine Scharfrichter und keinen Halsblock; sie richten sie in ihren Gesprächen, bei ihren Zusammenkünften nach dem Richterspruch, den ihnen ihr Gewissen eingibt. Niemand wird sich unterfangen, zu sagen, daß ein Ehebrecher keine Strafe verdient. Aber nur andere, sagt der Apostel, verurteilen sie, nicht sich selbst. Darum setzt er ihnen scharf zu, indem er sagt:
V. 3: „Meinst du etwa, o Mensch, der du die richtest, welche solches tun, während du dasselbe tust, du werdest dem Gerichte Gottes entgehen?“
Bisher hat der Apostel die Verschuldung der gesamten (heidnischen) Menschheit in Glauben und Tun aufgezeigt, daß die Heiden, obwohl sie begabt waren mit Verstand und die Schöpfung als Führerin hatten, doch nicht bloß Gott den Rücken gekehrt, sondern sich sogar den Abbildern von Kriechtieren zugekehrt haben, daß sie die Tugend verachtet und dem natürlichen Triebe folgend sich dem Laster in die Arme geworfen haben, obzwar dies sogar gegen die Natur war. Nun geht er einen Schritt weiter und zeigt, daß die, welche solches tun, auch Strafe zu gewärtigen haben. Auf eine Strafe hat er schon hingewiesen, als er von ihrem Tun sagte: „Sie empfingen die Vergeltung für ihre Verirrung, wie sie sich gebührte, an sich selbst.“ Da sie aber diese Strafe nicht achten, nennt er eine andere, vor der sie sich sehr fürchteten. Er hat dieselbe übrigens schon früher angedeutet; denn wenn er sagt, daß das Urteil Gottes der Wahrheit gemäß ist, so will er damit auch nichts anderes gesagt haben. Er führt diesen Gedanken aber noch weiter aus, indem er spricht: „Meinst du etwa, o Mensch, der du die richtest, welche solches tun, während du dasselbe tust, du werdest dem Gerichte Gottes entgehen?“ Du bist dem Urteilsspruche, durch dich selbst gefällt, nicht entgangen und solltest dem Gottes entgehen? Wer möchte so etwas behaupten? Du hast dir selbst dein Urteil sprechen müssen; so groß war die Strenge dieses Gerichtshofes, daß du deiner selbst nicht schonen konntest. Wieviel mehr wird dasselbe nicht erst Gott tun müssen, der sündenlose, überaus gerechte Gott? Du hast dich selbst schuldig erkennen müssen; Gott aber sollte dich freisprechen und loben? Wie hätte das einen Sinn? Also verdienst du eine größere Strafe als der, den du schuldig gesprochen hast; denn es ist nicht dasselbe, einfach eine Sünde begehen oder dieselbe selbst wiederholen, nachdem man sie an einem andern gestraft hat. Siehst du, wie der Apostel die Anklage steigert? Denn wenn du, sagt er, einen, der einen geringen Fehler begangen hat, strafst, obwohl du selbst daran bist, die Schande (der Sünde) auf dich zu laden, wie sollte nicht Gott, bei dem die Sündenschande ausgeschlossen ist, dich strafen, der du in größeren Stücken fehlst, und dich nicht verurteilen, nachdem du schon verurteilt bist durch deine eigene Vernunft? Wendest du aber ein, daß du dir zwar deiner Strafwürdigkeit bewußt bist, daß du dir aber mit Rücksicht auf Gottes Langmut nichts daraus machst und straflos auszugehen hoffst, weil du nicht gleich gestraft wirst: so solltest du gerade deswegen bangen und beben. Denn nicht dazu erfolgt der Aufschub der Strafe, daß du keine Strafe erleidest, sondern dazu, daß dich eine viel schwerere trifft, wenn du, was Gott verhüte, ungebessert bleibst. Darum fährt der Apostel fort:
V. 4: „Oder mißachtest du den Reichtum seiner Güte, seiner Nachsicht und Langmut, und weißt doch, daß Gottes Güte dich zur Buße leitet?“
Indem der Apostel die Langmut Gottes preist und zeigt, daß die, welche auf sie bauen, den größten Gewinn aus ihr ziehen können — der Gewinn ist nämlich der, daß sie die Sünder zur Buße zieht —, vermehrt er die Furcht. Denn so wie Gottes Langmut denen, die sie sich, wie es sein soll, zunutze machen, die Ursache zu ihrem Heile wird, so bringt sie denen, die sie mißachten, größere Strafe. Es ist eine oft gehörte Rede; Gott ist gütig und langmütig; er will keine Strafe. Wenn du das nachsprichst, sagt der Apostel, so sprichst du nur eine Erhöhung deiner Strafe aus. Seine Güte zeigt Gott deswegen, damit du von den Sünden ablassen, nicht damit du ihrer noch mehr begehen sollst. Läßt du nicht ab von ihnen, so wird die Strafe um so furchtbarer sein. Man darf daher nicht sündigen, weil Gott langmütig ist, und darf nicht dessen gute Absicht zum Anlaß der Undankbarkeit machen. Ist er auch langmütig, so straft er doch gewiß. Woraus geht das hervor? Aus den folgenden Worten. Ist des Bösen viel geworden und haben die Bösen noch keine Strafe erhalten, so werden sie sie sicher erst erhalten. Denn wenn Menschen so etwas nicht übersehen, wie wird es Gott übersehen? Darum bringt der Apostel die Rede auf das Gericht. Indem er nämlich zeigt, daß der Straffälligen, wenn sie nicht Buße tun, recht viele sind, ferner, daß sie hienieden nicht gestraft werden, kommt er wie von selbst auf das Gericht, das ein sehr schweres sein wird. Er sagt:
V. 5: „Mit deiner Verstocktheit und deinem unbußfertigen Herzen häufst du dir nur (Gottes) Zorn.“
Wenn sich etwas nicht durch Güte erweichen und nicht durch Furcht umbiegen läßt, was gibt es da Verhärteteres? Nachdem der Apostel die Liebe Gottes aufgezeigt hat, weist er dann hin auf seine Strafe und sagt, daß sie unerträglich sei für den, der sich sonst nicht bekehren läßt. Beachte da, welch treffender Worte er sich bedient! „Du häufst dir“, sagt er, „den Zorn.“ Damit drückt er aus, daß Gott selbst der Zorn ferne liegt und daß nicht der Richter, sondern der Gerichtete daran schuld ist. „Du häufst dir“, heißt es ja, nicht Gott dir. Er hat ja alles getan, was er konnte; er hat dir die Fähigkeit gegeben, das Gute zu unterscheiden von dem Bösen, er hat Langmut an den Tag gelegt, er hat zur Buße gerufen, er hat den schrecklichen Gerichtstag angedroht, alles um dich zur Umkehr zu bewegen; wenn du nun trotz alledem auf deinem Wege bleibst, so „häufst du dir den Zorn
am Tage des Zornes und der Offenbarung und des Strafgerichtes Gottes“.
— Damit du nicht, wenn du von Zorn hörst, an die Leidenschaft des Zornes denkst, setzt der Apostel bei: „des Strafgerichtes Gottes“. Treffend sagt er auch: „Am Tage der Offenbarung.“ Dann wird nämlich offenbar werden, was ein jeder nach Recht und Gerechtigkeit zu empfangen hat. Hier auf Erden tun nämlich viele andern ungerechterweise Kränkungen an und sind gegen sie feindlich gesinnt; dort wird dies nicht der Fall sein.
V. 6: „Er wird einem jeden vergelten nach seinen Werken: den einen, die in unerschütterlichem Dienst einer guten Sache …“
3.
Nachdem der Apostel in einem erschreckenden und ernsten Ton vom zukünftigen Gericht und der Bestrafung gesprochen hat, führt er nun nicht, wie man erwarten sollte, die Schilderung dieses Strafgerichtes weiter aus, sondern er bringt die Rede auf etwas Erfreulicheres: die Belohnung des Guten. Er sagt so: „den einen, die in unerschütterlichem Dienst einer guten Sache