Kommentar zum Briefe des Heiligen Paulus an die Römer. Johannes Chrysostomos. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johannes Chrysostomos
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849660161
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uns anlockt, an sich zieht: wenn wir uns das und Ähnliches zu Gemüte führen, werden wir imstande sein, eine solche Liebesglut in uns zu entfachen. Wenn derjenige, der so liebt, ein ganz armseliger Mensch wäre, der andere aber, der so geliebt wird, wäre ein König, müßte man vor der Größe solcher Liebe nicht Achtung haben? Ganz gewiß. Nun ist aber das Verhältnis gerade umgekehrt. Unaussprechlich ist die Schönheit und die Herrlichkeit und der Reichtum dessen, der liebt, unsere Armseligkeit dagegen ist groß. Verdienen darum wir, armselig und elend, wie wir sind, nicht tausendfältige Strafe dafür, daß wir diese seine große, staunenswerte, überschwengliche Liebe zu uns damit erwidern, daß wir sie verschmähen? Er braucht nichts von dem Unsrigen, und doch hört er nicht auf, uns zu lieben. Wir brauchen aber sehr nötig (vieles) von ihm, und doch widerstreben wir seiner Liebe! Und doch ziehen wir ihm Reichtum vor und die Freundschaft der Menschen, körperliche Bequemlichkeit, hohe Stellung und Herrlichkeit, während er uns nichts vorzieht! Er hatte einen einziggeborenen erhabenen Sohn, und auch dessen schonte er nicht wegen uns; wir aber ziehen ihm vieles vor! Verdienen wir also nicht die Strafe der Hölle, wenn sie auch zweimal und dreimal und tausendmal so groß wäre? Was können wir sagen, wenn wir die Befehle des Teufels den Gesetzen Christi vorziehen? Wenn wir unser Heil preisgeben, indem wir die Werke der Bosheit höher halten als den, der alles für uns gelitten hat? Welche Verzeihung, welche Entschuldigung gibt es dafür? — Keine.

      Stehen wir also fest fürderhin! Lassen wir uns nicht in den Abgrund reißen; wachen wir auf, erwägen wir alles das und erweisen wir ihm Ehre durch die Werke — denn es ist nicht genug, es durch Worte zu tun —, damit wir bei ihm die Herrlichkeit genießen! Möge diese uns allen zuteil werden durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, mit welchem dem Vater zugleich mit dem Hl. Geiste sei Ehre, Macht und Herrlichkeit jetzt und allezeit und bis in alle Ewigkeit. Amen.

      SIEBENTE HOMILIE. * Kap. II, V. 17—28 und Kap. III. V. 1—8. *

       1.

      Kap. II, V. 17—28 und Kap. III. V. 1—8. V. 17: „Siehe, du heißt ein Jude und ruhst auf dem Gesetz und rühmst dich in Gott und kennst seinen Willen, weißt klarzulegen das Unterscheidende, belehrt vom Gesetze.“

      Der Apostel hat bisher gesagt, daß dem Heiden nichts abgehe zu seiner Rettung, sofern er nur ein Befolger des Gesetzes sei, und hat jenen bewundernswerten Vergleich durchgeführt; nunmehr führt er die Vorzüge der Juden an, auf die sie sich gegenüber den Heiden etwas einbildeten. Der erste große Vorzug war ihr Name, so wie jetzt der Name „Christ“ ein solcher ist. Der Name machte auch damals viel aus. Darum macht er damit den Anfang. Beachte nun, wie scharf er unterscheidet! Er sagt nicht „Du bist ein Jude“, sondern: „Du heißt ein Jude und rühmst dich in Gott“, d. h. als seist du geliebt von ihm und bevorzugt vor den andern Menschen. Es will nur scheinen, als habe der Apostel bei diesen Worten ihre Einbildung und ihre große Ruhmredigkeit im Auge; er deutet an, daß sie dieses große Geschenk nicht zu ihrem Heile benützten, sondern zur Herabsetzung und Verachtung der andern. — „Und kennst seinen Willen, weißt klarzulegen das Unterscheidende“. Auch selbst das ist ein Nachteil, wenn das Werk dazu fehlt. Gleichwohl schien es ihnen ein Grund zum Stolze zu sein. Er wählt darum die Worte mit scharfer Unterscheidung. Er sagt nicht: „Du tust“, sondern: „Du erkennst und weißt klarzulegen“; zur Ausführung kommst du aber nicht.

      V. 19: „Du bildest dir ein, ein Führer der Blinden zu sein.“ Auch hier sagt er wieder nicht: „Du bist ein Führer von Blinden“, sondern: „Du bildest dir ein“, du gibst vor, es zu sein. Denn groß war der Dünkel der Juden. Darum gebraucht der Apostel hier fast dieselben Worte, mit denen sich jene rühmten. Sieh, wie sie im Evangelium sprechen: „Du bist ganz in Sünden geboren und willst uns lehren?“ 85 Sie dünkten sich hoch erhaben über alle. Das will Paulus rügen. Darum fährt er fort, die einen zu erheben, die andern herabzudrücken, damit er den Juden auf diese Weise mehr zusetze und die Anklage noch schwerer gestalte. Er verstärkt denselben Gedanken, indem er ihn in verschiedenen Gedanken wiederholt.

       V. 20: „Da bildest dir ein, ein Führer der Blinden zu sein, ein Licht denen, die in Finsternis sitzen, ein Erzieher der Unverständigen, ein Lehrer der Unmündigen, der ein Bild der Wissenschaft und der Wahrheit im Gesetze besitze.“

      Er sagt abermals nicht: im Gewissen, im Handeln, im Rechttun, sondern: „im Gesetze“. Was der Apostel oben von den Heiden gesagt hat, das sagt er auch hier. Dort sagte er: „Worin du einen andern richtest, darin verurteilst du dich selbst.“ Dasselbe sagt er hier.

       V. 21: „Einen andern belehrst du, dich selbst belehrst du nicht.“

      Dort gebraucht er übrigens eine schärfere Ausdrucksweise, hier eine gelindere. Er sagt nicht: Darum verdienst du größere Strafe, weil du so große Gnaden empfangen und keine davon, wie du solltest, benützt hast, sondern er kleidet seine Rede in die Form einer Frage, indem er spricht: „Einen andern belehrst du, dich selbst belehrst du nicht?“ — Betrachte indes noch von einer andern Seite das kluge Vorgehen des Paulus! Er führt lauter Vorzüge der Juden an, welche nicht eine Frucht ihrer eigenen Bemühung, sondern ein Geschenk von oben waren, und zeigt, daß sie ihnen bei ihrer Sorglosigkeit nicht nur nutzlos gewesen seien, sondern ihnen sogar noch eine Vergrößerung der Strafe eingetragen haben. Denn der Name „Jude“ war nicht ihr Verdienst, ebensowenig, daß sie das Gesetz empfangen hatten, noch auch das andere, das er aufzählt, sondern das alles war ein Werk der Gnade von oben. Früher hat er gesagt, daß das Hören des Gesetzes nichts nütze, wenn nicht das Handeln dazu komme. „Nicht die Hörer des Gesetzes“, sagt er, „sind gerecht bei Gott.“ Jetzt zeigt er noch mehr: Daß nicht bloß das Hören des Gesetzes, sondern, was viel mehr als das Hören ist, daß auch das Lehren desselben dem keinen Vorzug gewährt der bloß lehrt, aber selbst nicht tut, was er lehrt. Ja, nicht allein keinen Vorzug gewährt es, sondern es gereicht zur größeren Strafe. Er gebraucht dabei einen treffenden Ausdruck. Er sagt nämlich nicht: Du hast das Gesetz empfangen, sondern: „Du ruhst auf dem Gesetze.“ Der Jude brauchte sich nicht abzumühen, er brauchte nicht herumzugehen und zu suchen, was zu tun sei, sondern er hatte es bequem; das Gesetz zeigte ihm den Weg, der zur Tugend führt. Denn wenn auch die Heiden die natürliche Vernunft besitzen, weswegen der Apostel von ihnen rühmt, daß sie, ohne Hörer des Gesetzes zu sein, alles tun, so hatten es die Juden doch viel leichter. Wenn du einwendest: Ich bin nicht bloß Hörer des Gesetzes, sondern ich unterrichte darin, so vermehrt das nur deine Strafwürdigkeit. Weil sich die Juden darauf viel einbildeten, deswegen machten sie sich gerade recht lächerlich. Wenn er sagt: „Führer der Blinden, Erzieher der Unverständigen, Lehrer der Unmündigen“, so drückt er damit ihren Stolz aus. Er zeigt nämlich, wie hochmütig sie ihre Proselyten behandelten, daß sie ihnen solche Namen gaben.

       2.

      Daß er ihre vermeintlichen Lobestitel anführt, tut er deswegen, weil er weiß, daß sie die Grundlage einer um so schwereren Anklage bilden. — „Der ein Bild der Wissenschaft und der Wahrheit im Gesetze besitze.“ Das ist so, wie wenn jemand, der ein Bildnis des Königs besitzt, ihn trotzdem nicht danach malen kann, während ihn andere, denen keines zur Verfügung steht, auch ohne ein Vorbild richtig darstellen. Nachdem der Apostel ihre Ruhmestitel angeführt hat, die sie von Gott hatten, spricht er von ihren schwachen Seiten, die ihnen die Propheten zum Vorwurf machen, und führt sie einzeln vor. „Du belehrst einen andern, dich selbst belehrst du nicht.“ * „Du predigst, man dürfe nicht stehlen und stiehlst selbst.“

      V. 22: „Du sagst, man solle nicht ehebrechen und brichst selbst die Ehe; du verabscheust die Götzenbilder und schändest das Heiligtum.“ *

      Es war nämlich streng verboten, Dinge, die mit dem Götzendienst in Beziehung standen, auch nur zu berühren, weil sie als etwas Verabscheuungswürdiges galten. Aber die Geldgier, die euch beherrscht, will der Apostel sagen, hat euch dazu gebracht, das Gesetz auch in diesem Punkte zu übertreten.

       V. 23: „Du rühmst dich des Gesetzes, entehrst aber Gott durch Übertretung des Gesetzes.“

      Zwei Beschuldigungen wirft