V. 24: „Darum übergab sie Gott in den Lüsten ihres Herzens zur Unreinigkeit, daß sie untereinander sich ihre eigenen Leiber schänden ließen.“
Hier weist der Apostel darauf hin, daß auch am Umsturz der Gesetze die Gottlosigkeit schuld war. Das „übergab“ ist hier soviel wie „überließ“. Wenn ein Heerführer bei zunehmender Heftigkeit der Schlacht davongeht, so übergibt er seine Soldaten den Feinden, nicht so, daß er sie gerade zu ihnen hinstößt, sondern daß er sie ohne seine Hilfe läßt. So zog sich auch Gott von den Heiden zurück, nachdem er von seiner Seite alles getan hatte, sie aber das von ihm Dargebotene nicht annehmen mochten und so sie selbst zuerst ihn verlassen hatten. Sieh nur! Er hatte ihnen als Predigt von ihm das ganze Weltall vor Augen gestellt; er hatte ihnen Verstand und Vernunft gegeben, womit sie imstande waren, das Rechte zu erkennen. Doch von nichts von allem dem machten sie Gebrauch zu ihrem Heil, sondern sie verkehrten es sogar ins Gegenteil. Was sollte Gott noch weiter tun? Sie mit Gewalt zwingen, zu ihm zu kommen? Das ist nicht das richtige Mittel, jemanden auf den Pfad der Tugend zu führen. Es blieb also nichts anderes übrig, als sie sich selbst zu überlassen, damit sie auf diese Weise durch Erfahrung klug würden und von ihren schändlichen Gelüsten abließen. Wenn ein königlicher Prinz seinem Vater zur Schande sich in die Gesellschaft von Dieben, Räubern und Grabschändern begibt und den Umgang mit solchen Leuten dem väterlichen Hause vorzieht, so ist am besten, sein Vater läßt ihn gehen, bis er durch die Erfahrung belehrt wird über die Größe seiner Torheit.
4.
Warum nennt aber der Apostel kein anderes Laster mit Namen, z. B, Neid, Geiz u. dgl. sondern bloß Unzucht? Nun, ich glaube, er spielte damit auf Zustände an, wie sie seinen Zuhörern und den Empfängern seines Briefes bekannt waren. — „Zur Unreinigkeit, daß sie untereinander sich ihre eigenen Leiber schänden ließen.“ Beachte da die recht treffende Ausdrucksweise des Apostels! Sie brauchten, will er sagen, gar nicht andere, die sie schändeten, sondern das, was ihnen ihre Feinde hätten antun können, das taten sie sich selbst an. Dann faßt er noch einmal den Grund (der sittlichen Verirrungen) auf, indem er sagt:
V. 25: „Sie vertauschten die Wahrheit Gottes mit der Lüge, sie brachten ihre Weihegeschenke und Opfergaben den Geschöpfen dar und setzten den Schöpfer beiseite.“
Was ganz besonders lächerlich ist, führt der Apostel im einzelnen an, was weniger grob erscheint, im allgemeinen; die ganze Beweisführung läuft aber darauf hinaus, zu zeigen, daß die Anbetung der Geschöpfe ein Merkmal des Heidentums ist. Beachte auch, was der Apostel noch für ein Wort beifügt! Er sagt nicht bloß: „Sie brachten ihre Opfergaben den Geschöpfen dar“, sondern: „und setzten dabei den Schöpfer beiseite“. Im ganzen Abschnitt erhebt er gegen die Heiden diesen Vorwurf, durch diesen Beisatz aber spricht er ihnen jedwede Entschuldigung ab.
„Der gepriesen ist in Ewigkeit. Amen.“
— Doch dadurch, will er sagen, erlitt Gott keinen Schaden. Er bleibt ja doch gepriesen in Ewigkeit. Hiermit bringt der Apostel zum Ausdruck, daß Gott die Heiden nicht etwa sich selbst überlassen hat, um sich an ihnen zu rächen; er litt ja nicht dadurch. Mochten sie ihn schmähen, er wurde durch ihre Schmähungen; nicht getroffen, seine Ehre erfuhr keine Minderung, er ist und bleibt doch der Gepriesene allezeit. Wird ja doch oft auch ein Mensch dadurch, daß er sich der Weisheit befleißt, unverletzbar durch Schmähungen, um wieviel mehr muß es nicht Gott sein, der seinem Wesen nach unsterblich und unveränderlich ist, dessen Ehre unverlierbar und unantastbar ist.
Auch Menschen werden Gott ähnlich, wenn sie nicht zu verletzen sind durch Schimpf, den ihnen andere antun wollen, wenn sie durch Schmähungen von andern nicht geschmäht, durch Hiebe nicht getroffen, durch Verspottungen sich nicht verspottet fühlen. Ja, wie ist das möglich? fragst du. Nun, es ist möglich, ganz wohl möglich, wenn du dich nämlich nicht kränkst, was immer geschehe. Ja, sagst du, wie soll ich mich denn nicht kränken? Nun, sag’ mir, wenn dein kleines Kind gegen dich unartig ist, faßt du das etwa als Beleidigung auf? Kränkst du dich darüber? Keineswegs. Ja, wenn du dich kränktest, würdest du da nicht lächerlich? In dieselbe Stimmung müssen wir uns nun dem Nebenmenschen gegenüber versetzen, und wir werden nichts Unangenehmes zu erleiden haben. Sind ja doch solche, welche uns schmähen, unverständiger als kleine Kinder. Wir wollen nicht ängstlich bestrebt sein, ja keine Beleidigung zu erfahren, und wenn uns eine angetan wird, sie zu ertragen wissen. Dann ist unsere Ehre wirklich sicher. Wieso? Weil das letztere (auf keine Beleidigung zu achten) bei dir steht, das erstere (dir keine zuzufügen) beim andern. Siehst du nicht, wie der Diamant den verwundet, der auf ihn schlägt? Ja, sagst du, das hat der Diamant von Natur aus. Und du kannst frei gewollt das sein, was jenem von Natur aus zukommt. Wieso? Siehst du nicht, daß die Jünglinge im Feuerofen nicht verbrennen und Daniel in der Löwengrube unversehrt bleibt? Auch jetzt kann das geschehen. Umgeben uns ja auch Löwen — der Zorn, die böse Lust —; sie haben scharfe Zähne und zerfleischen den, welcher ihnen in den Rachen fällt. Sei du darum ein anderer Daniel und laß die Leidenschaften nicht ihre Zähne in deine Seele schlagen. — Aber, sagst du, bei Daniel war das Ganze rein ein Werk der Gnade. Ja, aber die Tat des freien Willens war doch voraus gegangen. So steht auch uns die Gnade zur Seite, wenn wir uns ebenfalls so bewähren wollen. Mögen uns diese Bestien auch hungernd umlauern, sie werden uns nicht anpacken. Denn wenn sie scheu zurückweichen beim Anblick des Leibes eines Dieners (Gottes), wie werden sie erst Ruhe geben, wenn sie Glieder Christi — das sind nämlich die Gläubigen — vor sich sehen? Geben sie aber keine Ruhe, dann liegt die Schuld an denen, die sich ihnen (als Beute) vorwerfen. Denn es gibt auch